Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich
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So taucht auch die Frage auf, wie sich wohl der Studienaufenthalt mit allem Drum und Dran auf ihre „Politische Einstellung“ auswirken. Beispiele wie Chau–En–Lai, ausgebildet in Moskau, später aber nicht nur der Politik der UdssR durchaus nicht grün, oder Gandhi, Nehru, Sukarno, alle ausgebildet im „Westen“, und später dann Führer der Unabhängigkeitsbewegung und Initiatoren der blockfreien Bewegung, oder Ho Chi Minh, ausgebildet in Paris, der später den französischen Streitmächten die schmähliche Niederlage in Dien Bien Phu beibrachte, legen die Frage nach der politischen Einstellung nahe. W. F. Wertheim, Universität Amsterdam, einer der Päpste auf diesem Gebiet, veröffentlicht die Theorie, daß der antikoloniale Kampf erst nach der Verinnerlichung der westlichen Werte durch die städtischen Intellektuellen mit Erfolg geführt werden könne. Ein Erkenntnisziel – etwas überspitzt formuliert – könnte lauten: Soll der Westen das Auslandsstudium der afrikanischen und asiatischen Studierenden im Westen oder im Osten finanzieren, um den maximalen politischen Einfluß auf die entkolonisierten Länder zu gewinnen? Ich trage König meine Gedanken vor. Er beauftragt mich, den Projektantrag zu formulieren.
Klaus von Bismarck wird neuer Intendant des „Westdeutschen Rundfunks“. Er ist auch der Vorsitzende der „Gesellschaft für Sozialen Fortschritt“. Diese Gesellschaft hat eine Monatsschrift. Ich hatte Gelegenheiten, für diese Zeitschrift zu schreiben. So weiß ich, daß Klaus von Bismarck an dem Problem ebenso interessiert ist wie auch an der wirksamen Vermittlung von Forschungsergebnissen durch die Medien. Und der WDR hat auch in beschränktem Umfang Forschungsmittel zu Programmzwecken zu vergeben. Nach einem ausführlichen Gespräch mit Klaus von Bismarck formuliere ich einen Antrag. Im Mai 1961 wird er gestellt. Vorausgegangen ist auch eine Zusage von „Free Europe Organizations and Publications“ in Paris, eine solche Untersuchung mit etwa 5.000,- US-$ zu unterstützen. Diese Zusage wird durch eine Vereinigung der ungarischen Exilstudenten in Krefeld vermittelt. Auch die Carl–Duisberg–Gesellschaft, die die ausländischen Praktikanten in Deutschland betreut, interessiert sich dafür, obwohl sie für Studierende nicht zuständig ist. Einer der beiden Geschäftsführer der Carl–Duisberg–Gesellschaft ist Doktorand bei König, Winfried Böll. Er befaßt sich zunehmend mit einer noch zu formulierenden Politik der Bundesrepublik gegenüber den „unterentwickelten Ländern“. Praktisch übt er drei Jobs aus: Studium, Carl–Duisberg–Gesellschaft (zuständig für Außenkontakte) und „Entwicklungspolitik“, verbunden mit Herumreisen und Vorträgehalten. Unsere Wege haben sich oft gekreuzt. Das Studium als Job bleibt bei Winfried Böll auf der Strecke. Er macht später eine unkonventionelle Karriere: Er brachte es zum Ministerialrat im ersten „Entwicklungshilfeministerium“ ohne einen akademischen Grad. Für mich sorgt er für eine Überraschung. Die Carl–Duisberg–Gesellschaft gewährt dem Institut für Soziologie an der Universität Köln ein Darlehen, weil das Genehmigungsverfahren beim WDR länger als erwartet andauert. Der WDR wird darüber informiert.
Der Bericht für die Unesco und für das Auswärtige Amt über die Situation der afrikanischen und asiatischen Studierenden wird umfangreich. 403 Seiten ohne den Anhang. Mir gelingt es nicht, ihn noch während des Sommersemesters 1961 vorzulegen. König ist seinem liebsten Steckenpferd gefolgt: „Summer school“ in den USA. Er reist gern. Jedes Jahr macht er den befreundeten Kollegen bekannt, wie es mit seinem Arbeitsdruck ausschaut und wann er wieder einmal Lehrverpflichtungen übernehmen könnte.
Ich überreiche König den Bericht, als er gerade aus den USA zurückkommt. In derselben Woche, am Samstagnachmittag, ruft mich Fräulein Lehner zum Telefon, etwas erregt, weil König am Apparat ist. Sie weiß natürlich, daß König die „Arbeit“ erhalten hatte. Ich melde mich. Unvermittelt fragt er mich, ob ich auch vor hätte, zu promovieren. Als ich ziemlich überrascht und mit einigem Zögern ein „Ja“ herausbringe, fragt er mich, warum ich den ihm vorliegenden Bericht nicht als Promotionsarbeit einreiche. Er schlägt mir einen Besprechungstermin vor, als ich die mir fehlenden Semester erwähne.
In der darauf folgenden Besprechung geht es nur um die vorzeitige Zulassung zur Prüfung. Den Bericht findet er gut. Änderungs– oder Ergänzungsvorschläge macht er nicht. Ich sollte den Bericht so lange zurückhalten, bis ich zur Prüfung zugelassen werde. Er spricht mit dem Dekan am 27. Oktober 1961. Am 29. Oktober stelle ich den förmlichen Antrag, um die Anerkennung der „Nicht–Fachsemester“ zum zweiten Mal. Am 7.November teilt mir der Dekan der philosophischen Fakultät mit:
„auf Ihren Antrag vom 29. 10. d. J. hat die Philosophische Fakultät Ihnen die beiden an der Wirtschaftsfakultät der Universität Bonn verbrachten Semester auf die zur Promotion erforderlichen acht Fachsemester angerechnet.“
Im Dezember 1961 mache ich meine abschließenden mündlichen Prüfungen.
Dies waren auch jene Monate, in denen ich das Befragungsinstrument für meine 2. Erhebung, also zur „Strukturierung der politischen Einstellung der afrikanischen und asiatischen Studierenden in den deutschsprachigen Ländern“ in Voruntersuchungen überprüfe. Die Interviews sollten bis Februar 1962 abgeschlossen sein. Diese Arbeit nimmt mich so in Anspruch, daß ich keinen Prüfungsdruck verspürt habe. Die Prüfung lief nebenher wie meine Teilnahme an den Hauptseminaren.
Erst nach den Prüfungen erhalten der ISSF, die Unesco, Paris, und das Auswärtige Amt jeweils eine Kopie des Berichts. Der ISSF und die Unesco, Paris, sind mit dem Bericht zufrieden. Das Auswärtige Amt nicht. Die Befunde sind politisch nicht opportun. Die Auswahl der Studierenden, die Beschreibung der Schwierigkeiten, das Hervorheben des Dilemmas: Erfolgreiche Überwindung der Schwierigkeiten, also die Anpassung an die hiesigen Verhältnisse, bedeutet im gleichen Maße die Entfremdung von der heimatlichen Kultur. Also fragt das Auswärtige Amt bei König diplomatisch an, ob es nicht opportun wäre, den Bericht vorläufig nicht zu veröffentlichen. König weiß den Brief richtig zu deuten. Er weiß, wie er das „vorläufig“ zu interpretieren hat. Er bestellt mich ins Institut. Er gibt mir das Schreiben zu lesen, ruft gleichzeitig eine seiner Sekretärinnen und diktiert das Antwortschreiben. Er will vom Auswärtigen Amt wissen, ob das Schreiben als Ankündigung einer Zensur zu deuten sei. Das Auswärtige Amt ist auf dem falschen Fuß erwischt. Natürlich will das Auswärtige Amt dieser Republik keine Zensur ausüben. Der Weg zur Veröffentlichung ist frei. Es wird aber leider ein Pyrrhussieg. Denn so etwas vergißt das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland nicht, wie ich später erfahren werde.
Bei der 2. Untersuchung darf meine Frau mir offiziell als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut helfen. Wir reisen zusammen zu den Universitäten, ziehen das Sample und bilden die Interviewer aus. Ihre Aufwandsentschädigungen und Reisekosten rechnet die Universitätsverwaltung getrennt ab. Bereits im Jahr 1967, im April wird König die Tatsache schriftlich leugnen, daß bei meiner 2. Untersuchung meine Frau mir offiziell als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts helfen durfte, obwohl viele Schriftstücke in den Akten des Instituts dieses belegen.
Insgesamt werden 709 Studierende an 8 verschiedenen Universitätsorten interviewt: Aachen, Berlin, Bonn, Göttingen, Köln, München, Wien und Zürich. Die Feldarbeit ist bis April 1962 abgeschlossen. Wieder das Erstellen der Schlüsselliste, Anmieten eines IBM–Handlochers, kodieren, ruhestörendes Lochen. Arbeitsplatz: Bonn, Weberstraße 96. Und fast immer zum Abschluß des langen Arbeitstages belohnen wir uns mit einer Kinospätvorstellung mit Fräulein Lehner.
Ich komme mit König überein, daß das Ergebnis der 2. Untersuchung zunächst nur vollständig aufbereitet, aber nicht schnellstmöglich veröffentlicht werden sollte. Denn zur sinnvollen Abrundung des Themas müßte logischerweise eine 3. Untersuchung durchgeführt werden zum Rückanpassungsprozeß nach dem Studium. Alle Aspekte des Auslandsstudiums sollen dann auch das Thema meiner Habilitation werden. Aber ich bin noch nicht an der Reihe. Im Institut gibt es eine inoffizielle Reihenfolge der Kandidaten. Vor mir sind Dietrich Rüschemeier, Hans–Jürgen Daheim und Franz–Josef Stendenbach dran. Rüschemeier geht in die USA, heiratet dort und will seiner jüdischen Frau ein Leben in Deutschland ersparen. Mit Hilfe von König