Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich
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Das „Dienstverhältnis“ wird verlängert. Routinemäßig. Das ausgefüllte Formularblatt vom 21. September 1965 erreicht die Universität schon am nächsten Tag. Zwischenzeitlich hat sich etwas ereignet. Vermittelt durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) taucht im Juli 1965 T. K. N. Unnithan, Soziologieprofessor an der Universität Rajasthan in Jaipur, im Institut in Köln auf und erzählt von möglicher Zusammenarbeit zwischen den beiden Universitäten. Nun, „Zusammenarbeit“ ist auch damals „in“, denn Zusammenarbeit bringt für den stärkeren Teil in der Partnerschaft großen Einfluß. Solche Zusammenarbeit wird vom Auswärtigen Amt gern gesehen. Der DAAD ist eine Unterabteilung des Auswärtigen Amtes. Die Universitäten Köln und Bochum unterhielten zu der Zeit eine WiSo–Außenstelle an der Universität Kabul, natürlich mit dem Segen des Auswärtigen Amtes. Was die „Zusammenarbeit“ dieser Art auch an Nutzen für den Steuerzahler erbracht haben mag, eröffneten sie doch ungeahnte Reisemöglichkeiten für viele. Reisen ohne Kosten, versteht sich.
König reicht den indischen Kollegen weiter an seinen neuen Kollegen Scheuch. Beide sind für eine Zusammenarbeit. Bonitätsfragen sind ein zu teurer Luxus, wenn gesicherte Reisen winken. Schließlich ist Indien märchenhaft exotisch. König erzählt Unnithan die Erfolgstory seines „hochentwickelten Unterentwickelten“ und fragt an, ob nicht sinnvollerweise die Zusammenarbeit mit einer Einladung zu Gastvorlesungen an mich beginnen sollte. Unnithan ist begeistert. Ich werde ihm vorgestellt. Unnithan setzt seine Deutschlandsreise fort. Seine Reisekosten werden selbstverständlich auch von den deutschen Steuerzahlern übernommen. Denn er ist Gast des DAAD. Nach seiner Rückkehr bemüht sich Unnithan mit Erfolg um die anvisierte Einladung an mich. Aus dieser zufälligen (wirklich zufälligen?) Begebenheit entwickelt sich bis zum März 1966 der Plan meines Aufenthaltes in Indien beginnend vom Juli 1966. Geplante Abreise aus Köln Anfang Juni, dann per Frachtschiff von Rotterdam, auch wegen der Kosten. Wir sind keine Minibotschafter.
Dazwischen, genauer am 25. Januar 1966, schreibt König mir einen Brief. Er ist nicht nur unvermittelt, nein, er ist auch auf den ersten Blick irrational, weil er in keinem mir bekannten Zusammenhang steht. Was soll denn zwischen dem 2. September 1965 und dem 25. Januar 1966 vorgefallen sein? Hier ist der vollständige Text:
„Mein lieber Herr Aich, schon seit längerer Zeit wollte ich auf unsere Besprechung von neulich zurückkommen. Ich mußte es aus verschiedenen Gründen immer verschieben. Nachdem nun aber die Verlängerung Ihres Dienstverhältnisses mit dem Soziologischen Institut akut geworden ist, möchte ich noch einmal mit aller Deutlichkeit auf die besprochenen Fragen zurückkommen.
Ich hatte von Ihnen erwartet, daß Sie im Laufe der letzten zwei Jahre Ihre Arbeit fertiggestellt hätten. Darum hatte ich Sie ja auch außer der Abhaltung von Übungen von der Arbeit im Institut völlig freigestellt. Nun teilen Sie mir mit, daß gar nichts geschehen ist. Ich finde das sehr enttäuschend und auch durch schwierige persönliche Verhältnisse nicht erklärlich. Ich kann auch die Weiterführung dieser Situation gegenüber der Universitätsverwaltung nicht mehr verantworten. Darum legte ich Ihnen neulich nahe, daß Sie nun möglichst umgehend irgendeine Arbeit fertigstellen, die mir zeigt, daß Sie in den letzten Jahren überhaupt irgendetwas getan haben. Ich gab Ihnen dafür zwei Monate Frist. Ich möchte in diesem Brief unterstreichen, daß ich diese Frist beim Wort zu nehmen bitte, d.h. mit anderen Worten, ich erwarte von Ihnen ein Manuskript spätestens bei meiner Rückkehr aus Afrika am 20. April dieses Jahres. Das ist aber auch der letzte Termin. Ich möchte Ihnen jetzt schon sagen, daß ich Ihr Arbeitsverhältnis werde eingehend überprüfen müssen, wenn Sie mich nochmals enttäuschen wie in der Vergangenheit. Ich bitte Sie, diesen Brief sehr ernst zu nehmen.
In der Hoffnung, bald von Ihnen etwas über Ihre Arbeit zu hören, bin ich mit den besten Grüßen stets Ihr Prof. Dr. René König.“
Der Kulturschock?
Nach der Bahnreservierung gehe ich mit Mr. Metha zur Post und telegraphiere unsere Ankunftszeit in Jaipur. Mr. Metha will uns unbedingt zum Bahnhof begleiten. Wir werden es bald wissen und schätzen lernen, warum er so stur gewesen ist. Das Arrangement mit unserem vielen Gepäck, mit den hastigen Gepäckträgern und das in Marathi, hätte ich kaum fertiggebracht. Es ist nicht eine freundliche Geste. Es ist Fürsorge. Während wir ihn herzlich und dankbar verabschieden, kribbelt in mir die Sorge hoch, daß wir in Ahmedabad, der Hauptstadt des Bundesstaates Gujerat, umsteigen müssen. Die dortige Landessprache Gujerati verstehe ich auch nicht. Wie gesagt, ich bin Kalkuttaner. Kalkutta ist etwa 2000 km östlich von Bombay. In Westbengalen. Meine Muttersprache ist Bengali. Nun fahren wir von Bombay nach Nordosten. Fast eine gerade Linie von Bombay nach Delhi. Ahmedabad ist etwa in der Mitte. Aber das Umsteigen ist unausweichbar. Die Eisenbahn in Indien hat eine unterschiedliche Schienenbreite. Breite, mittlere und enge, mit ebenso unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Leistungsfähigkeiten. Eine Hinterlassenschaft der Kolonialzeit.
Die indische Eisenbahn wird von den „Entwicklungssoziologen“ viel besungen, als eines der positivsten Erbteile der Kolonialzeit. Über die unterschiedlichen Schienenbreiten erfährt man nichts. Eine Erwähnung würde ja auch nach einer Erklärung verlangen. Also bleibt sie unerwähnt. Dieses nicht Erwähnen verfälscht die Kolonialgeschichte. Dabei ist eine Erklärung dafür einfach. In der Phase des Raubkolonialismus ist alles zu den Häfen geschleppt worden zum Abtransport. Zunächst mit den dort vorhandenen Transportmitteln. Die wachsenden Mengen an Raubgut und die Erschließung der Märkte in den Kolonien, also die „Umstrukturierung" der Handels– und Wirtschaftsverhältnisse, verlangte nach leistungsfähigeren Transportsystemen. Die Gütermenge bestimmte die Breite der Schienen. Denn die Eisenbahn wurde vom Ausbeutungsgewinn finanziert.
Wo es wenig wegzuschleppen gab, reichte schon eine enge Schienenbreite (narrow gauge) aus. Von Ahmedabad nach Jaipur ist eine mittlere Schienenbreite (meter gauge) von einem Meter Breite gelegt. Zu den Häfen hin wurde natürlich immer die breiteste Schienenbreite (broad gauge) genommen. Auch heute kann von der Schienenbreite abgelesen werden, welche Regionen Indiens stärker in die „Weltwirtschaftsordnung" eingebunden sind. Aber welcher „Entwicklungssoziologe“ ist schon an dieser Beschreibung interessiert? Und wer will es wissen? Außerdem ist ein Langzeitgedächtnis in der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur eh nicht gefragt. Keine Nachfrage, kein Angebot.
Aber „Entwicklungssoziologie“ plagt mich im Augenblick wenig, sondern schlicht und einfach die Sorgen des Umsteigens. Der Zug rollt in Ahamedabad ein. Werde ich mit unserem vielen Gepäck problemlos umsteigen können? Meine Sorgen sind überflüssig, wie sich bald erweist. Der Zugführer kommt und organisiert das Umsteigen. Er war von Mr. Metha so instruiert worden. Der Zugführer sagt uns, was das Umsteigen kostet. Wir sitzen bequem im neuen Abteil und sind erleichtert. Ja, dieser Mr. Metha!
Wir nähern uns Jaipur. Der Übergang zur Wüste ist begleitet von immer geringerer Luftfeuchtigkeit. Auffällig sind auch die vielen bunten Vögel, Sittiche, Papageien, Pfauen. Der Wüstenstaat Rajasthan ist auch ein Vogelparadies. Jaipur ist die Hauptstadt des Bundesstaates Rajasthan. Rajasthan ist ein Zusammenschluß von „Princely States“ der Rajputs, die sich bei der „indischen Unabhängigkeit“ der neu gegründeten „lndischen Union“ anschlossen. Später darüber mehr.
Am Nachmittag rollt der Zug in Jaipur ein. Ich öffne die Tür und schaue aus dem Abteil.