Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich
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Das Angebot ist vielfältig: diverse Lederwaren, Schmiedearbeiten, auch in Gold und Silber, und Edelsteine. Wir dürfen alles genau betrachten. Der Händler ist freundlich und geduldig. Vieles hätten wir gern gekauft. Aber wir erkundigen uns nicht einmal nach den Preisen. Wir haben auch keinen Vergleich. Und Geld auch nicht, leider. Zum Schluß zeigt er uns Schmuck und Edelsteine, auch Alexandrite. Wunderschöne Steine, die je nach Lichteinfall grün, blau und dunkellila durchschimmern. Meine Frau ist hingerissen. Sie betrachtet intensiv einen Stein. Der Ladeninhaber und unser Begleiter unterhalten sich. Am Ende der Unterhaltung sagt uns unser Begleiter, also drei englische Pfund müßte der Ladeninhaber für den Stein wirklich haben. Der Stein hat ca. 18 Karat. Es kommt uns fast wie ein Geschenk vor. Meine Frau trägt den Stein gefaßt in einem Ring heute noch am liebsten. Wir werden schließlich bis zum Motorboot begleitet. Was für ein schöner Tag in Port Said!
Dieses Erlebnis und zuvor die Warnungen auf dem Schiff beschäftigen uns lange. Selbst die Ein– und Ausfahrt in Jidda, gelotst von einem Araber in landeseigener Kleidung, lenken uns nicht ab. Auch nicht die britischen Soldaten mit angezogenen Schnellfeuerwaffen an jeder Straßenecke in der zollfreien Hafenstadt Aden, das reiche Angebot an internationalen elektrotechnischen Konsumgütern oder die papierfressenden Ziegen auf den gepflasterten Straßen. Uns bleibt es ein Rätsel, wie die deutschen Seeleute auf dem Schiff zu dem negativen Urteil über die Ägypter gelangt waren und wo sie ihre Erfahrungen mit den Ägyptern gesammelt haben. Durch den Rotlichtviertel waren wir natürlich nicht spaziert und auch nicht in eine Bar eingekehrt. Aber gibt es diesbezüglich überhaupt Unterschiede zwischen den Städten oder den Ländern?
Ansonsten haben wir schlicht in den Tag hineingelebt, das heißt gefaulenzt ohne zu bedenken, daß selbst wenn alles gut geht, wir eine sehr ereignisreiche und hektische Zeit vor uns haben werden. Entwürfe von möglichen unterschiedlichen Szenarien hätten für uns durchaus hilfreich sein können. Fehlanzeige. Wir verließen uns einfach darauf, daß die Lehrveranstaltungen mir kein Problem bereiten dürften, und auf die Durchführung der geplanten Interviews der „Zurückgekommenen“ sind wir ja bestens vorbereitet. Das Erhebungsinstrument stand schon. Umfangreiche Voruntersuchungen würden wahrscheinlich nicht nötig sein. Also wozu Szenarien entwerfen, schwarzmalen? Erholung hatten wir schließlich auch nötig. Im Nachhinein muß ich mir schwere Vorhaltungen machen, so arglos, so sorglos, so naiv, so vertrauensselig, so faul, so gedankenlos und so geschichtslos gewesen zu sein – insbesondere in jenen Tagen auf dem Schiff.
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Das Zimmer im Gästehaus der Universität in Jaipur ist von Sonnenschein überflutet als wir wach werden. Der Morgen ist kühl, obwohl die Sonne schon warm ist. Die Holzfensterläden im Speisesaal sind bereits beim Frühstück zugezogen, damit die Hitze nicht in den Saal eindringt. Die Abdunkelung ist das kleinere Übel. Wir nehmen uns Zeit, bevor der erste Arbeitstag für mich beginnt. Unnithan holt mich kurz nach 10.00 Uhr ab. Der Tag ist bereits heiß. Wir müssen etwa 10 Minuten laufen bis zu dem „Department“. Unnithan empfiehlt mir, für den nächsten Tag einen Sonnenschirm zu besorgen, einen wie seinen. Trotz der geringen Luftfeuchtigkeit bin ich fast durchgeschwitzt. Unnithan nicht. Unter dem Schirm ist es kühler.
Es ist ein freistehendes Gebäude ohne Stockwerke mit hohen Räumen. In den Räumen ist es auch ohne die obligatorischen elektrischen Ventilatoren kühl. Vier Departments sind dort untergebracht. Ökonomie, Politik, Statistik und Soziologie. Das Gebäude ist von allen vier Seiten begehbar. Individuelle Arbeitsräume gibt es nur für die „Head of the Department“. Die übrigen Kollegen teilen sich einen Raum jeweils in einem Department. Keine richtig eigenen Arbeitsplätze.
Die Veranstaltungen beginnen um 11.00 Uhr. Nach 18.00 Uhr ist dieser Teil des Campus leer. Nur die heißeste Tageszeit wird für die Veranstaltungen genutzt. Warum? Weil es schon fast immer so gewesen ist. Ich weiß dies auch aus meiner eigenen Schul– und Studienzeit. Auch eine koloniale Hinterlassenschaft. Unnithan und auch andere Kollegen, es sind im Ganzen vier, haben meiner Bitte großzügig entsprochen, daß ich in den ersten Tagen auch ihre Veranstaltungen besuchen darf, immer wenn ich frei habe. Ich nehme die Gelegenheit schon am ersten Tag wahr.
Noch vor dem Abendessen besichtigen wir jene Unterkunft im sogenannten „Teachers' Hostel“, die für uns reserviert worden war. Der Weg führt vom „Guest House“ zur sogenannten „residential area“ vom Südwestrand hin zum Südostrand des Campus. Zu Fuß ca. 15 Minuten. Es ist das einzige Gebäude im Campus mit mehreren Stockwerken. Es ist noch im Bau. Die für uns vorgesehene Unterkunft ist noch lange nicht bezugsfertig. Es sind zwei kleine Räume mit einer Kochnische und einem kleinen Badezimmer. Das Platzangebot reicht nicht einmal für unsere mitgeschleppten Koffer, von einem eigenen Arbeitsplatz ganz zu schweigen. Deshalb informiere ich Unnithan, daß wir wohl solange im Guest House bleiben müssen, bis wir in einer Wohnung oder in einem Haus untergebracht werden können. Selbst die Suites im Guest House sind geräumiger als die Unterkunft im Teachers' Hostel. Unnithan versteht uns und macht uns Hoffnung, daß wir in wenigen Wochen vielleicht sogar mit einem Haus auf dem Campus rechnen könnten.
Ich habe ausschließlich Postgraduierte zu unterrichten. 15 Wochenstunden. Ich werde mich also mit Studierenden befassen, die mindestens 14 (M. A. previous) bzw. 15 Ausbildungsjahre (M. A. final) hinter sich haben. Andere Kollegen müssen auch noch nichtgraduierte Studierende unterrichten, in den „Colleges“ in der Stadt. Alle meine Veranstaltungen finden nur innerhalb des Campus statt. Eine gerade noch zu bewältigende Aufgabe, die uns noch Zeit lassen wird für unsere Forschungsvorbereitung, das heißt Anschriften der Rückkehrer sammeln, „Samples“ ziehen, Termine machen, usw.
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Das indische Ausbildungssystem – ich vermeide den Ausdruck „Bildungssystem", denn die Vermittlung indischer Bildung findet nicht in den Institutionen des Ausbildungssystems statt – sieht „Primary Schools“ als die breite unterste Stufe für vier Jahre vor. Nach dem geltenden Gesetz soll jedes Kind die Möglichkeit haben, diese Primarstufe zu durchlaufen. Je entfernter ein Ort von der Bundeshauptstadt, von den Landeshauptstädten, von den Städten ist, um so stärker bleibt die Wirklichkeit hinter diesem Ziel zurück. In der Regel sind die Schulen auf der Primarstufe öffentliche Einrichtungen. In der Regel sind diese auch schlechter eingerichtet als die wenigen Privatschulen. Kindergärten als Regeleinrichtung sind nicht vorgesehen. In den Städten gibt es private Kindergärten. Diese sind teuer.
Der Primarstufe folgt die „Secondary School“ für weitere sechs bzw. sieben Jahre, mit Abschlüssen: „Matriculation“ oder „Higher Secondary“. „Higher Secondary“ ist in Indien die Eingangsqualifikation für „Colleges“, die zwischen der Schule und der Universität angesiedelt sind. Von „Matriculation“ aufwärts werden die Prüfungen zentral abgehalten. Klausuren in verschiedenen Fächern. Nicht landeseinheitlich zentral, sondern universitätseinheitlich. Die gesamte Republik ist in „States“, also Länder, und in die sogenannten „Union Territories“, d.h. zentral regierte Gebiete, aufgeteilt. Indien ist ein föderaler Bundesstaat mit kultureller Autonomie. Die Universitäten sind flächendeckend.
Die Zugangsvoraussetzung für die Universität wird erworben mit der „Graduation“. Ein Graduierter hat mindestens 14 Ausbildungsjahre hinter sich. Ein Graduierter wird auch „Bachelor“ genannt. In den Universitäten erwirbt man in zwei Jahren den „Degree“ eines „Post–Graduates“, der auch der Grad eines „Masters“ genannt wird, etwa vergleichbar mit der Magisterprüfung. Dieser Grad ist die Eingangsvoraussetzung für „Research Degrees“. Das Niveau der Universitäten ist unterschiedlich, funktioniert aber nach demselben Prinzip, also je entfernter von der Hauptstadt, um so niedriger ist das Niveau. Die Medizin– und Ingenieurausbildung sieht nach „Higher Secondary“