Eine unglaubliche Welt. Sabine von der Wellen
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Читать онлайн книгу Eine unglaubliche Welt - Sabine von der Wellen страница 5
Als er an ihrer Tür klingelt, reißt sie diese in großer Erwartung auf und nimmt ihm freudig strahlend die Decken ab.
„Ach Gerrit, das ist aber nett, dass du die vorbeibringst. Ich hatte das ein klein wenig gehofft.“
Breit grinsend zieht sie ihn ins Haus, wobei ihr langes, wallendes Gewand um sie herum zu schweben scheint.
Tante Angelika trägt, seit sie in Japan Urlaub machte, nur noch seltsame Gewänder in grell bunten Farben. Sie wirkt darin immer wie ein Papagei. Dazu steckt sie ihr Haar zu einem Knoten auf, der kein Härchen entwischen lässt und aus dem immer irgendwelche seltsamen Stäbe in bunten Farben staken. Ihre schwarz gefärbten Haare glänzen stets ölig und ein seltsamer Geruch von Orangen und Vanille umgibt sie.
„Kannst du mit mir zu den Fischteichen fahren, bei denen deine Mama immer die geräucherten Forellen kauft? Ich bekomme heute Abend Besuch und will sie mit dieser Köstlichkeit überraschen. Aber leider weiß ich nicht genau, wo das ist. Du weißt das doch bestimmt.“
„Nah klar!“, antwortet er seiner Tante und freut sich, dass jemand seine Hilfe braucht. Es tut gut, wenigstens einmal als wichtig angesehen zu werden.
So lässt Tante Angelika auch alles stehen und liegen und geht mit ihm hinaus zu dem alten, klapprigen Golf, der sie schon seit mehr als fünfzehn Jahre durch ihr Leben begleitet. Tante Angelika ist der Meinung, dass sie niemals ein anderes Auto fahren kann.
„Wenn ihn mir der TÜV eines Tages stilllegt, dann werde ich auf die Busse umsteigen müssen“, sagte sie einmal.
So fahren sie bald auf einer langen, geraden Straße aus dem Ort heraus. Gerrit kennt die Strecke mittlerweile wie im Schlaf. Hier führt der Fahrradweg entlang, den er in den letzten Monaten so oft auf der Suche nach der Katze abgefahren war.
„Dort, bei der nächsten Einfahrt gegenüber dem Gasthaus müssen wir rechts abbiegenden“, erklärt er, und seine Tante fährt auf den Schotterweg.
„Das nennst du Straße?“, murrt sie und wirft ihm einen misstrauischen Blick zu. „Meinst du wirklich, dass wir hier richtig sind?“
Doch Gerrit braucht nicht zu antworten. Hinter der nächsten Biegung erblickt man schon das glänzende Wasser der ersten Tischteiche.
„Ach Gerrit, du bist einfach toll! Das hätte ich ja nie gefunden!“ Tante Angelika wirft einen schmatzenden Luftkuss in Gerrits Richtung.
Der kann die Hitze in seinen Wangen regelrecht spüren. Schon lange hatte ihn keiner mehr gelobt. Er hatte fast schon vergessen, wie sich das anfühlt.
Sie fahren auf den Parkplatz und steigen aus. Die Sonne schimmert in dem grünen Wasser der Teiche und an einem sieht man einen Mann mit einem Kescher und Stiefeln, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichen, fischen.
Unschlüssig sieht Tante Angelika sich um, bis sie schnurstracks und mit wehendem Gewand auf ein kleines Häuschen zuläuft.
„Ich bleibe beim Wagen“, ruft Gerrit ihr nach. Er möchte lieber sehen, was der Mann mit dem Kescher aus dem Teich zieht. Doch er kann aus dieser Entfernung nicht ausmachen, was der so eifrig aus dem Wasser zu fischen versucht.
Bald darauf kommt seine Tante freudig strahlend zurück. Sie hat eine Tüte unter dem Arm und wuselt Gerrit durch das Haar. „Nah, können wir wieder?“
Sie steigen in den alten, klapprigen Golf und fahren über den Schotterweg zur Hauptstraße zurück. Mit auf dem weichen Untergrund durchdrehenden Reifen biegt Tante Angelika auf die Hauptstraße ein, was Gerrit grinsend quittiert. Genau ihnen gegenüber liegt auf der Anhöhe das alte Gasthaus und oben auf der Mauer, neben einem alten, verrosteten Kinderkarussell, sitzt … die Katze!
Gerrit blickt erschrocken auf die kleine Gestalt, die scheinbar genauso zurückgafft. Es reißt ihn fast von seinem Sitz, als er durch das Heckfenster versucht, das Tier nicht aus den Augen zu verlieren. Aber seine Tante fährt mit durchgetretenem Gaspedal in einem irren Tempo nach Ankum zurück. Dabei pfeift sie gut gelaunt vor sich hin.
Die Katze verschwindet damit schnell aus Gerrits Sichtfeld und sein Herz klopft ihm bis zum Hals. Ein merkwürdiger Gedanke macht sich in ihm breit, der ihn plötzlich erschrocken zusammenfahren lässt. Ein neues Kind ist dran!
Nein, diesmal wird er das nicht zulassen.
„Tante Angelika, hast du die Katze bei der Kneipe gesehen?“, sprudelt es aus ihm hervor.
Mit gerunzelter Stirn sieht seine Tante ihn argwöhnisch an. „Nein, welche Katze?“ Ihre Augen verengen sich und Gerrit muss beunruhigt feststellen, dass sie ihn seltsam mustert. So sagt er lieber nichts mehr, denn ihm fällt im selben Augenblick ein, dass sie es gewesen war, die seinen Eltern damals den Psychologen empfohlen hatte. Bei ihm musste er zehn Sitzungen absitzen, in denen er alles über sich und sein Verhältnis zu seiner um ein Jahr jüngeren Schwester Nina erzählen sollte. Außerdem versuchte er herauszufinden, ob in Gerrits tiefstem Inneren ein übermäßiger Wunsch nach einem Haustier vorhanden ist, der die Geschichte mit der Katze heraufbeschwor.
Gerrit kam sich damals vor wie auf der Anklagebank. Doch alle anderen schienen von diesem Arzt begeistert zu sein und meinten auch, dass sich danach Gerrits „Zustand“ schon sehr gebessert hätte.
So ein Quatsch! Dabei hatte er doch nur allen begreiflich machen wollen, dass die Katze etwas mit dem Verschwinden seiner Schwester zu tun haben könnte und dass sie ihn damals regelrecht zum Wald gelockt hatte.
Dieser oberschlaue Doktor meinte dazu nur, dass er sich diese Hirngespinste ausdenkt, um Ninas Verschwinden besser verkraften zu können und er eine Katze in den Vordergrund seiner Verdrängung rücken lässt, weil das besser zu verkraften ist und weniger Angst macht.
Aber sein Schlusspladoie war eindeutig.
„Schließlich locken Katzen keine Kinder in einen Hinterhalt und lassen sie dann auch noch so unauffindbar verschwinden“, war sein abschließender Kommentar in seinem Bericht und Gerrit musste ihm widerwillig recht geben, sonst hätte er noch ein paar Sitzungen mehr aufgebrummt bekommen.
Nun scheint Tante Angelikas Blick zu sagen: „Ist es wieder soweit? Müssen wir Dr. Meer wieder aufsuchen? Armer Junge!“
Bei ihr zu Hause angekommen, schleppt sie ihn ohne Wenn und Aber mit ins Haus und braut ihm einen heißen Kakao.
Gerrit will schnell wieder los, sich auf sein Fahrrad schwingen und die Katze suchen. Aber irgendwie hat Tante Angelika wohl das Gefühl, ihm noch einiges Gutes tun zu müssen.
Der Kakao ist unglaublich heiß und die nun vor ihm abgestellten Plätzchen riesengroß.
„So mein Junge. Nun trink erst mal in Ruhe deinen Kakao und iss die Plätzchen. Du wirst mir viel zu dünn!“ Sie lächelt ihm zu und trinkt selbst einen schrecklich riechenden Tee aus undefinierbaren Wurzeln und Blättern.
Gerrit verbrüht sich zweimal den Mund und gibt es somit auf, das Zeug so heiß hinunterzuwürgen. Doch er schiebt sich zwei Plätzchen in den Mund, damit seine Tante ihn dann auch wirklich gehen lässt. Doch erst endlos lange zwanzig Minuten später entlässt sie ihn endlich.
„Du fährst sofort nach Hause, ja?“,