Eine unglaubliche Welt. Sabine von der Wellen

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Eine unglaubliche Welt - Sabine von der Wellen

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Waldes hinein, immer auf dem Sprung, jederzeit die Flucht zu ergreifen. Immer tiefer senkt sich die Dunkelheit über den Wald und nimmt ihm die Sicht. Doch er schleicht vorsichtig weiter und steht plötzlich vor einem dunklen, baumlosen Platz.

      Es braucht einige Zeit, bis er erkennt, dass es eine große, tiefe Mulde ist, die sich vor ihm auftut. Als er näherkommt, glitzert in etwa drei Meter Tiefe etwas auf und Gerrit weiß, dass es sich um ein funkelndes, grünes Augenpaar handelt.

      Die Katze!

      Der Junge sieht sich verängstigt um. Spinnenweben legen sich auf sein Haar und Schweißtropfen rinnen ihm in die Augen. Er wischt sie schnell weg und starrt wieder zu der Katze hinunter, die nun anfängt zu mauzen, als wolle sie ihn rufen. In dem Moment kracht es über ihm in den Bäumen und mit lautem Krächzen erhebt sich ein Eichelhäher in die Luft, um allen Waldbewohnern mitzuteilen, dass er einen Eindringling ausfindig gemacht hat.

      Gerrit erschrickt dermaßen, dass er sich umdreht und kopflos davonrennt.

      Er hört das jämmerliche Schreien der Katze, bleibt aber keine Sekunde stehen. Er rennt, als wäre der Teufel hinter ihm her und meint, dass ihm hundert Füße folgen. Doch das ist nur das Echo seiner eigenen panischen Schritte.

      Die Tannen mit den tief liegenden Zweigen ragen vor ihm auf und er stürzt sich im Tiefflug darunter her. Krachend landet er auf dem schlammigen Weg. Seine Hand schmerzt ihm, aber er springt sofort auf und rennt weiter, mit der anderen Hand die Spinnweben aus seinen blonden Haaren wischend. Immer wieder sieht er sich gehetzt um, doch es scheint ihm keiner zu folgen, außer den schrecklichen Schreien der Katze, die jammert, als würde sie über eine verloren gegangene Beute trauern.

      In dieser Nacht kann Gerrit lange nicht einschlafen. Er liegt in seinem Bett und starrt an die Decke. Er wird heute Nacht die Lampe brennen lassen müssen, denn er hat Angst vor der Dunkelheit. Schließt er die Augen, dann sieht er die Katze vor sich, die ihn mit ihren giftgrünen Augen aus dem dunklen Loch im Wald anstarrt. Dann beginnen seine Hände wieder zu zittern und ihm bricht der Schweiß aus, als hätte er die Grippe.

      Was soll er jetzt nur machen? Nie wieder will er der Katze folgen! Nie wieder!

      So liegt er da und grübelt vor sich hin. Wenn er nun der Polizei zeigt, wohin die Katze ihn gebracht hat? Werden sie ihm glauben? Werden sie dort etwas finden?

      Gerrit weiß es nicht. Doch eines ist ihm klar. Erzählt er jemanden von dem, was er noch vor ein paar Stunden erlebt hat, dann wird er keinen Schritt mehr aus dem Haus machen dürfen. Und was dann?

      Dann wird die Katze sich ein neues Opfer suchen. Eines, dass ihr unwissend folgen wird und in die Falle tappt.

      Was ist das nur für eine seltsame Mulde gewesen, in die diese Katze ihn locken wollte? Warum hatte niemand etwas von so einem Krater im Wald erwähnt?

      Die Suchkräfte hatten diese Gegend mehrfach nach den Kindern abgesucht. Nein, wenn dort eines der Kinder läge, dann hätte man es auch gefunden.

      Er wirft sich auf die Seite und starrt an die Wand. In seinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Was, wenn die Katze eigentlich doch nichts mit dem Verschwinden der Kinder zu tun hat? Vielleicht ist sie wirklich nur ganz harmlos und hat dort unten im Loch ihre Jungen versteckt? Wenn sie vielleicht doch nur seine Hilfe brauchte, weil eines der Jungen nicht mehr aus dem Loch herauskommt?

      Er wirft sich energisch auf die andere Seite und zieht die Decke frierend hoch. Alles in ihm sagt ihm, dass er sich nicht irren kann. In seinen Träumen sieht er immer wieder Nina mit dieser Katze auf dem Arm. Das kann doch nicht nur ein unbedeutender Albtraum sein? Es muss mehr sein. Wie soll er sonst je herausfinden, was mit ihr passiert war? Und das muss er wissen. Er muss der Sache mit dieser Mulde im Wald schleunigst auf den Grund gehen. Aber mit Bedacht und Schläue.

      So beschließt er, gleich am nächsten Tag in den Wald zu gehen und sich diesen dunklen Krater genauer anzusehen. Er wird einen anderen Weg nehmen, damit ihm die Katze nicht begegnet. Denn auf die will er dort besser nicht treffen. Vorsichtshalber.

      Am nächsten Tag bringt Gerrit seine Schultasche nach Hause, isst seine Linsensuppe aus der Mikrowelle schnell auf und schwingt sich kurz darauf auf sein Fahrrad. Er hatte den ganzen Vormittag in der Schule kaum an etwas anderes denken können und wollte so gerne jemanden von seiner Fahrt in den Wald erzählen. Auch zur Absicherung, damit jemand weiß, wo gesucht werden muss, sollte er doch verschwinden. Aber er hatte Angst, dass ihn jemand verraten wird. Außerdem hat er keinen so guten Freund, dem er vertraut. Er wünscht sich mehr denn je einen an seiner Seite, der vielleicht sogar mit ihm zusammen diese angsteinflößende Tour unternehmen würde. Doch er gilt, seit dem Verschwinden seiner Schwester, als verrückter Einzelgänger, dem keiner Beachtung schenkt.

      So fährt er allein durch den Nieselregen über Feldwege und enge Straßen, von denen er hofft, sie werden ihn von der anderen Seite her zu dem Wald führen. Da er seinen Nachbarn damals dort angetroffen hatte, muss diese hügelige Straße irgendwo herkommen.

      Gerrit muss daran denken, wie der ihn in sein Auto gezerrt und nach Hause befördert hatte und ihm somit das Leben rettete und dass deshalb seine Schwester in die Falle getappt war.

      Gerrit fährt an einer viel befahrenen Straße entlang Richtung Alfhausen, bis er bald auf eine Querstraße trifft, die ihn wieder nach Westen führt.

      Er müht sich einen schrecklich hohen Hügel hoch und fährt dann augenblicklich in ein Waldstück hinein, von dem er inständig hofft, es handelt sich nicht schon um seinen Wald. Alles in ihm drängt zur Umkehr und will sich nur schwer davon abbringen lassen, diesen Fluchtgedanken sofort umzusetzen.

      Er kommt an einem Hof mit sauber gemähten Grünstreifen am Weg vorbei und muss mit Entsetzen feststellen, dass nach den kleinen, im sauberen Grün stehenden Ostbäumen, die asphaltierte Straße in einen Schlackeweg mündet.

      Gerrit bleibt stehen. Er muss hier falsch sein. Das kann doch nicht der richtige Weg sein?

      Doch dann gibt er sich einen Ruck. Wenn das hier nicht der richtige Weg ist, dann kann ihm auch nichts passieren. Also kann er beruhigt noch ein Stück weiterfahren, bevor er umkehrt und es morgen noch einmal versucht.

      So fährt er fast schon erleichtert den Schlackeweg weiter, kommt bald aus dem Waldstück heraus und sieht auf wunderschöne gelbe Rapsfelder. Es riecht süßlich und lautes Summen von Insekten liegt in der Luft. Die Erde scheint nach dem Regen zu dampfen und die Sonne tritt schwach hinter ein paar sich lichtenden Wolken hervor.

      Gerrit fährt über den mit Pfützen übersäten Weg weiter und genießt einen Moment das schöne Leuchten der Felder und die wärmenden Sonnenstrahlen.

      Als sein Blick nach vorne fällt, tritt er erschrocken in die Bremse und steigt vom Fahrrad, das mitten in einer Pfütze zum Stehen kommt. Doch das bemerkt Gerrit nicht, denn hinter den Feldern erscheint riesengroß und mächtig der Wald. Von hier aus kann Gerrit die Querstraße erahnen und weiß, dass sie direkt am Wald entlangführt. Mit klopfendem Herzen ist er sich plötzlich sicher, dass er seine Straße gefunden hat.

      Nun bemerkt er die Nässe, die sich durch den Stoff seiner Schuhe frisst und macht schnell einen Schritt vorwärts ins Trockene.

      „Verdammt!“, flucht er leise und weiß selbst nicht, ob er das sagt, weil seine Füße nass sind oder weil er den Weg doch noch gefunden hat. Er hatte sich schon so sehr damit abgefunden, die Tour am nächsten Tag noch einmal zu fahren, dass er jetzt fast geschockt ist, dass er nun doch sein Vorhaben beenden muss. Fast wie ein böses Omen schieben sich wieder Wolken vor die Sonne und lassen die Welt in Sekundenschnelle trist

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