Der verborgene Erbe. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Der verborgene Erbe - Billy Remie страница 32
»Ich will, dass unsere Wachen Tag und Nacht auf einen Angriff vorbereitet sind«, wandte sich der Lord an Hauptmann Seaks. »Ich will mehr Bogenschützen hier oben, zu jeder Stunde. Macht die Kriegsmaschinen kampfbereit, verstärkt die Wachen beim Tor, haltet die Stadt geschlossen, lasst keine Fremden herein, nur unsere Versorgungseinheiten dürfen passieren. Schickt Späher aus, die die Ebenen stets überwachen. Ich will jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend einen Bericht.«
»Ja, mein Lord«, bestätigte Seaks.
»Was für eine vergeudete Mühe«, klagte Cocoun. »Vater, Ihr wisst, dass Ihr uns damit angreifbar macht. Rahff stellt sich gegen uns? Dann zieht die Truppen zurück, im Westen nützen sie uns nichts mehr!«
»Rahff hat seine Entscheidung noch nicht getroffen, und ich will sie nicht dadurch begünstigen, indem wir uns ihm gegenüber weiterhin trotzig zeigen. Ich werde ihn daran erinnern, dass wir seine stärksten Verbündeten sind.«
»Und gewähren ihm so das Recht, uns wie niedere Vasallen zu behandeln? Keinesfalls! Ich bin nicht breit, vor diesem falschen König zu-«
Und wieder schallte eine Ohrfeige durch die Nacht. Cocouns Kopf zuckte zur Seite, seine Nasenflügel bebten. Er war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Im Augenwinkel bemerkte er, wie Seaks unbehaglich den Blick abwandte.
»Du tust, was ich dir sage!«, beschwor der Lord Cocoun. »Und wenn du nicht dazu im Stande bist, werde ich dir deine Befehlsgewalt wieder wegnehmen!«
»Ich sage ja nur, dass wir uns selbst schützen müssen. Wenn Rahff schon entschieden hat, uns fallen zu lassen, wäre es klüger, unsere gesamte Stärke zusammen zu rufen. Unsere Truppen und die heiligen Ritter der Kirche.«
»Ich schrieb den Oberhäuptern der Kirche bereits eine Nachricht, doch nur um festzustellen, dass auch dort ein Machtwechsel im Gange ist. Die Jungen, mit ihren naiven Ansichten, begehren gegen die Alten auf, die die alten Lehren predigen.«
»Wer kann es ihnen verübeln …«
»Was hast du gesagt?«
»Nichts.«
Der Lord bedachte Cocoun mit einem warnenden Blick. »Dir ist doch bewusst, was dies bedeutet. Wenn der König ein Bündnis mit dem Wüstenvolk schließt, und die Kirche hinter diesem Frieden steht, wird Rahff vielleicht mächtiger, als er jemals war.«
»Und Ihr wollt auch noch dem Erben und seiner Armee freies Geleit zu den Rebellen geben?«, fragte Cocoun fassungslos. »Damit wir von allen Seiten angegriffen werden können.«
»Vielleicht bekämpfen sie sich ja auch gegenseitig. Rahff will nicht, dass wir unsere Truppen bewegen. Und rufen wir sie zurück, erklären wir ihm damit beinahe schon den Krieg. Wichtig ist nun ausnahmsweise, dass wir diplomatisch vorgehen. Rahff darf uns nicht fallen lassen. Heute brauchen wir ihn ebenso, wie er uns. Zumal sein letzter Sohn ein Verräter ist. Erinnern wir ihn und die Bevölkerung daran, wer immer treu zu ihm gestanden hat. Und wer weiß, vielleicht stirbt er, bevor seine Enkel alt genug zum Herrschen sind. Der perfekte Zeitpunkt für einen Emporkömmling wie dich!«
»Aber-«
»Je näher wir an Rahff sind«, unterbrach der Lord jeglichen Protest und trat an Cocoun heran, »je näher sind wir am Thron. Lerne, zu schmeicheln, mein Sohn, lerne dich in Geduld, um das oberste deiner Ziele zu erreichen.«
Cocoun presste die Lippen aufeinander. Er hatte so viele Einwände. Selbst wenn er seinem Vater zustimmen würde, würde er die Truppen zurückrufen, um den Erben aufzuhalten. Damit würde er nicht nur sich, sondern auch Rahff schützen. Selbst der sture König würde dies einsehen müssen. Außerdem war Cohen immer noch am Leben, und er befand sich unter den Truppen des Erben. Rahff war nicht die größte Bedrohung für Cocoun.
Der Lord schien Cocouns Gedanken von seinem Gesicht abzulesen, denn er schüttelte bedauernd den Kopf. »Vielleicht täuschte ich mich in deiner Intelligenz, du bist einfach nicht im Stande, vorrausschauend zu denken. Du hast die Klugheit deiner Mutter, die im Kopf nicht heller als eine blökende Ziege war.«
Er machte kehrt und ging davon.
Cocoun, überwältig von Wut, handelte instinktiv. Er packte eine Gleve, die an der Mauerwand lehnte, und hob sie bereits über den Kopf. Doch als er sie auf den Rücken seines Vaters hinabsausen lassen wollte, konnte er sie nicht bewegen.
»Nicht!« Seaks drängte sich an seine Seite und nahm ihm die Waffe, die er aufgehalten hatte, behutsam aus der Hand. »Jeder würde wissen, dass Ihr es wart, mein Lord.«
Widerwillig ließ Cocoun die Waffe los, der Hauptmann stellte sie außerhalb seiner Reichweite wieder gegen die Mauer.
»Er macht einen gewaltigen Fehler und bringt uns alle in Gefahr!«, zischte Cocoun. »Wir müssen den Erben aufhalten, und das schaffen wir auch ohne Rahff, wenn wir unsere Truppen zurückrufen.«
»Ich weiß. Aber noch ist er der Lord. Und auch wenn er stirbt, und Euch die Schuld gegeben wird, wäre unsere Stadt zu schwach, um sich zu verteidigen. In der Einheit liegt die Stärke, mein Lord. Wir müssen alle Eurem Vater dienen, solange er hier verweilt.«
Cocoun sah seinem Vater mit Wuttränen in den Augen nach. Er wusste, dass Seaks ihn gerade vor einem schweren Fehler bewahrt hatte, würde sich jedoch gewiss nicht dafür bedanken; zu sehr hatte er es gewollt.
»Wie war Euer Vater, Seaks?«, fragte Cocoun, ohne sich umzudrehen.
»Ein Trunkenbold, der seine Verbitterung darüber, im Leben nichts erreichen zu können, an mir ausließ«, antwortete Seaks.
Sie teilten also etwas, auch wenn es keine schöne Gemeinsamkeit war. Doch aus Erfahrung wusste Cocoun, dass die finsteren Gemeinsamkeiten stärker verbanden, als die schönen.
»Ihr sagtet einst, Eure große Liebe wäre diese Stadt«, erinnerte sich Cocoun. »Sicher würdet Ihr dann auch alles tun, um sie zu beschützen.«
»So ist es, mein Lord.«
»Und wenn der Lord für die Stadt die größte Bedrohung darstellt?«
»Euer Vater ist alt«, sprach Seaks auf ihn ein. »Um ihn seiner Macht zu berauben, braucht Ihr keinen Mord zu begehen.«
»Was wurde aus Eurem Vater, Hauptmann?«
»Er wurde dabei erwischt, wie er Wein aus dem Palast stahl. Euer Vater ließ ihn in den Kerker sperren. Er sitzt noch immer dort, und behauptet wütend, jemand hätte ihm eine Falle gestellt.«
Cocoun drehte sich mit einem Lächeln zu Seaks um. »Ich glaube, ich verstehe, worauf Ihr hinauswollt.«
7
Nach dem Gespräch mit Arrav, war es für Eagle unmöglich, Schlaf zu finden. Voller Tatendrang wälzte er wieder die Bücher in der Bibliothek, durchforstete Schriftrollen mit allerlei Aufzeichnungen großer Herrscher, um so viel wie möglich über Taktiken und politisches Geschick zu lernen. Er wollte nicht aus einer Laune heraus eine Entscheidung treffen, die für ein ganzes Land viele Konsequenzen haben konnte.
Alles, was er in Zukunft plante, würde Nohvas Schicksal bestimmen. Dabei hatte er oberflächlich betrachtet