Der verborgene Erbe. Billy Remie
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Nein, was Eagle brauchte, und was er in den Büchern und Schriftrollen verzweifelt suchte, war etwas, das ihm helfen sollte, weniger Kämpfe als wirklich nötig zu verursachen, um die Krone zurückzuerobern. Er wusste, dass es nicht leicht werden würde, doch er gab die Hoffnung nicht auf, dass ihm irgendwann ein Geistesblitz treffen würde, der ihm zu einem weniger blutigen Sieg verhalf, wie Desiderius ihn sich erhoffte.
Wenn es nach dem Blutdrachen ginge, würden sie einfach systematisch jeden Feind niederstrecken. Erst die Schavellens, dann Rahff. Doch Eagle fürchtete, dass ihnen dazu die Truppen fehlten. Natürlich waren ihre Feinde geschwächt, doch selbst wenn die Rebellen sich ihnen anschlossen, waren sie zahlenmäßig immer noch unterlegen.
Jedoch waren ihre Männer frische, enthusiastische Kämpfer, während Rahffs und Schavellens Truppen müde und das Kämpfen leid waren.
Ein Sieg war für beide Seiten ungewiss.
Und die Armeen seiner Feinde waren nicht einmal Eagles einzige Sorge. Der Kampf gegen die Dämonen würde ihre Zahl weiter dezimieren. Er musste also genau abwägen, wann sich ein Kampf gegen wen lohnte, denn mit Diplomatie würde er die Dämonen gewiss nicht dazu bringen, zurück in die Unterwelt zu gehen, da hätte er vermutlich sogar mehr Chancen, Rahff die Krone für einen Sack Mehl abzuschwatzen.
Es war keine leichte Aufgabe, das Für und Wieder abzuwägen und einen guten Plan zu schmieden. Zumal Cohen nur vom Kampf gegen die Dämonen sprach, und Desiderius nur daran dachte, Rahff mit Gewalt niederzuknüppeln. Eagles engste Berater und Freunde waren ihm zurzeit also keine große Hilfe, obwohl er ihren Rat natürlich schätze und berücksichtigte.
An der Unterlippe nagend hing er über einem Buch, in dem er über die Schlachtfeldtaktiken der Elkanasai las, verfasst von einem legendären luzianischen General, zu Zeiten eines weniger gefährlichen Konfliktes des Kaiserlands mit Nohva.
In der Geschichte hatten die Elkanasai oft versucht, das heilige Land Nohva zurückzuerobern, von den – in ihren Augen – niederen Menschenvölkern zu befreien, und die Luzianer wieder zu unterjochen. Sie waren jedoch immer wieder kläglich gescheitert. Laut des Generals und Autor des Buchs lag dies an der nohvarianischen Stärke, wobei diese sich fast ausschließlich auf die Einheit der Völker bezog.
Wir sind ein buntgemischter Haufen unterschiedlicher Völker, aber wir sind viele. Viele starke Kämpfer, gegen einen gemeinsamen Feind. Sie können uns nicht bezwingen, weil wir trotz Unterschiede fest zusammenhalten. Weil wir alle ein gemeinsames Ziel haben: Freiheit. Weil wir unsere Schwächen durch die Stärken anderer ausgleichen. Weil wir Eins sind. Schrieb der Verfasser des Textes.
Außerdem besaß Elkanasai fast ausschließlich Sklavenarmeen, während in Nohva stets freie Männer kämpften. Der Kampfgeist konnte auf dem Schlachtfeld manchmal eher einen Sieg erringen, als eine zahlenmäßige Überlegenheit.
Eagle ließ sich diese Weisheit einen Moment durch den Kopf gehen. Auch seine Männer waren willig, in die Schlacht zu ziehen und gegen ihre Feinde anzukämpfen, während Rahffs Truppen derart zweifelten, dass viele fahnenflüchtig wurden.
Ein müder Soldat, der nur den Krieg kennt, und dadurch alles verloren hatte, kämpfte wohl kaum noch mit dem Herzen für seinen Herrscher. Aber darauf konnte Eagle sich nicht verlassen. Es gab gewiss noch genug Männer, die bis auf den Tod ihre Heimat vor jedem Feind verteidigen würden, ganz gleich, was sie von Rahff halten mochten.
Der zähe Feind, ist des Taktikers Schwäche.
Eagle konnte eine Schlacht noch so sehr durchplanen, irgendetwas konnte stets schieflaufen, und selbst wenn er mit Gewissheit siegte, brachte ihn ein Sieg nichts, wenn seine Truppen danach so stark dezimiert waren, dass er weder weiter angreifen, noch sich verteidigen konnte. Und selbst mit List, selbst wenn sie durch Desiderius in Drachengestalt ihren Feinden Angst einflößten, es benötigte nur ein paar hundert mutige Männer, die standhielten, und Eagle würde seines Vorteils beraubt werden.
Auch Blutdrachen konnten sterben.
Aber die Taktik während der Schlacht war nicht das einzige, das einem Heerführer den Sieg bringen konnte. So schriebt der General, dass der kluge Taktiker schon Wochen vor der eigentlichen Schlacht einen Feldzug führt. Einen geheimen. Denn der klügere Feind schwächt die Truppen des Gegners noch vor dem Krieg. Eagle musste anfangen, sich auszurechnen, wie viele Ressourcen Rahff zur Verfügung hatte, und wie er sie verringern konnte. Da er darüber nicht informiert war, nicht einmal ahnte, woher und wie viel Rahff an Vorräten erhielt, konnte er nur spekulieren. Er würde mit den Fahnenflüchtigen Menschen aus dem Gebirge reden, um mehr zu erfahren.
Laut Desiderius war die Schwarzfelsfestung uneinnehmbar. Wenn sie es widererwarten dorthin schafften, und Rahffs Versorgungswege abschnitten, gelang es ihnen vielleicht, die Burg solange zu belagern, bis Rahff freiwillig aufgab.
Doch Eagle griff zu weit vor, er musste sich bremsen. Bevor sie ins Gebirge gelangten, mussten sie Schavellen ausschalten, damit dessen Truppen ihnen nicht in den Rücken fallen konnten. Außerdem war noch nicht geklärt, was mit dem Wüstenvolk geschehen sollte. Eagle wusste nicht, ob sie Feinde oder Freunde waren.
Seine Gedanken überschlugen sich und drohten, seinen Kopf zum Zerbersten zu bringen. Er verstrickte sich in zu vielen Überlegungen, wusste nicht mehr, wo er eigentlich anfangen sollte. Er war in jenem Moment froh, sich nicht noch Gedanken um die Schwarze Stadt machen zu müssen.
Desiderius und Bellzazar hatten diesen Kampf geplant, sie wussten, was sie zu tun hatten, es war ihre Aufgabe, gegen Dämonen zu kämpfen, und sie hatten Erfahrung darin. Er überließ jene Planung ihnen, doch er war nicht willens, seinen gesamten Feldzug ihnen zu überlassen. Es war seine Bürde, die Entscheidungen zu treffen, und er ließ sich diese nicht abnehmen. Er wollte, genau wie Arrav ihm geraten hatte, allen beweisen, dass er nicht nur des Geburtsrechts wegen Prinz war. Er wollte beweisen, dass er wusste, was er tat. Dafür nahm er gerne so viel Wissen in sich auf, bis ihm der Kopf rauchte.
Über dem Buch stützte er das Gesicht in die Hände und fuhr mit den Fingerspitzen in seinen Haaransatz, der vom vielen Hindurchfahren mittlerweile gereizt war und schmerzte. Eagle war kurz davor, vorerst aufzugeben und wieder nach oben zu gehen, um etwas zu Frühstücken, ehe die anderen erwachten und sein Kampftraining begann, worin er übrigens auch nicht unbedingt besser wurde.
Doch genau in jenem Moment, als er sich zu einer Pause zwingen wollte, hörte er ein lautes Poltern.
Erschrocken drehte er sich auf seinem Stuhl um, konnte jedoch zwischen den dunklen Regalen nichts außer Staub erkennen, der im Schein seiner Kerze durch die stickige Luft der Bibliothek schwebte.
»Desiderius?« Gelegentlich trieb es den Blutdrachen hier herunter, doch was er hier suchte, hatte er Eagle nie verraten, es schien ihm stets peinlich, wenn Eagle ihn beim Herumschleichen erwischte.
Vielleicht, so glaubte Eagle mitleidvoll, suchte er Aufzeichnung über Wexmell, irgendetwas, das mit ihm zu tun hatte, sei es nur der Eintrag der Tag seiner Geburt. Aber da suchte Desiderius an der falschen Stelle. Die Aufzeichnung in diesem Abteil waren uralt und lange vor Wexmells Geburt verfasst worden.
Als es still blieb, glaubte Eagle beinahe, sich das Geräusch nur eingebildet zu haben. Er drehte sich wieder um und klappte die Bücher zu, rollte die Schriften zusammen, um etwas Ordnung zu schaffen, ehe er …
Wieder