Andran und Sanara. Sven Gradert
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„Was ist jetzt wieder los?“ schrie er ihn aufgebracht an.
„Der Gasthof Zum wilden Eber,“ sprudelte es aus dem Mann heraus. „Er ist völlig abgebrannt. Ein gewaltiger Blitz ist dort eingeschlagen. Ein Blitz wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe - dabei ist das Gewitter doch längst abgezogen.“
1.2. Mirna
Vierzehn Tage waren seit den Ereignissen in Dormal vergangen. Vitras beschloss, zu seiner Hütte in den Wäldern zurückzukehren und fürs erste dort zu bleiben. Die Ausführungen des Kriegsgottes hatten den Kriegszauberer zutiefst erschüttert. Es war schwer genug mit der Tatsache umzugehen, dass die Götter ihm den Kontakt mit seiner Tochter Morna untersagten. Ein Verbot, gegen das selbst ihre Mutter nichts ausrichten konnte. Alles was er von seiner Tochter wusste, war das sie im Schwarzen Wald aufwuchs. Ein verwunschener Ort westlich des Darkanischen Herrschaftsgebietes, der die magischen Kräfte eines jeden Zauberers blockierte. Ihre Mutter erzählte Vitras, dass die göttliche Macht seiner Tochter erdgebunden war. Lediglich im schwarzen Wald, der sich immerhin vom Hohen Norden bis in den Süden Darkans zog, besaß sie göttliche Macht. Sollte sie den Wald verlassen, wäre sie eine normale Sterbliche, bis sie den Wald wieder betreten würde. Vitras versuchte sich abzulenken, indem er das Dach seiner Hütte reparierte und verschiedene Ausbesserungsarbeiten, die nicht unbedingt nötig waren, ausführte. Seinen Kampfstab allerdings, immer in der unmittelbaren Nähe liegend. Doch seine Gedanken wollten nicht aufhören, sich um seine Enkelkinder zu sorgen. Würden die Götter ebenfalls verhindern, dass er auch sie jemals zu Gesicht bekommen würde? Wer war der Vater – der ganz offensichtlich von königlichem Blut sein musste. Harun Ar Sabah, der den Dämon ES erweckt hatte, wusste mit Sicherheit von der Prophezeiung der Zwei die Eins sein müssen. Daher lag es auf der Hand, dass Harun alles versuchen würde, der Zwillinge habhaft zu werden. Das Gefühl der Hilflosigkeit machte den Kriegszauberer rasend vor Wut.
Wieder und wieder, ließ er die Axt auf einen frischen Holzschacht niederfahren, obwohl sein Vorrat an Brennmaterial für den Kamin inzwischen auf Wochen im Voraus gesichert war. Irgendwann bemerkte Vitras die ersten dicken Tropfen auf seinem kahlen Kopf und blickte zum Himmel. Die Doronischen Wälder waren für ihre launigen Wetterumschwünge durchaus bekannt. Aber in der letzten Zeit waren diese äußerst übellaunig. Vor wenigen Augenblicken tauchte das warme Sonnenlicht die Lichtung, auf der sich seine Hütte befand, noch in die schönsten Farbtöne. Die erneut heranziehenden schweren Wolken nahmen den Farben jetzt jeglichen Glanz. Vitras blieb gerade noch genug Zeit, das frisch geschlagene Holz auf seiner Veranda in Sicherheit zu bringen, als von neuem ein schwerer Regenguss losbrach. In dieser Gegend war es jedoch nicht unüblich, dass solch ein Unwetter genauso schnell verschwand wie es gekommen war. Vitras betrat seine Hütte, schloss die Tür und wurde augenblicklich mit einer stürmischen Attacke von Filou begrüßt. Der kleine Nager tat seiner Freude kund, indem er zunächst einmal kreuz und quer durch den geräumigen Vorraum flitzte, bevor er sich dem Hindernisparcours über sämtliche Möbel widmete, von wo aus er zum finalen Sprung auf die Schultern seines Herrn ansetzte. Als nächstes zog er ausgiebig am sorgfältig gepflegten Bart des Kriegszauberers, bis er beschloss, dessen Ohren einer ausgiebigen Wäsche zu unterziehen. Erst als es eine Nuss zur Belohnung gab, ließ Filou von seinem Opfer ab. Vitras musste schmunzeln, als ihm wieder bewusst wurde, dass der kleine Kerl es immer wieder schaffte, ihn von seinen bedrückenden Gedanken zumindest kurzfristig abzulenken. Nach dieser Attacke hing Vitras seine nasse Weste an einen der Haken neben der Eingangstür, nahm die Öllampe von einem Haken, der an der Decke angebracht war, entzündete sie und hing sie zurück. Ein weiches, warmes, gemütliches Licht durchflutete den gesamten Raum nachdem er zwei weitere Lampen entzündete. Filou beobachtete Vitras neugierig, als dieser sich einen Kräutertee auf der Kochstelle zubereitete. Dann setzte sich der Kriegszauberer in einen seiner beschaulichen Sessel, die mit den verschiedensten Fellen überzogen waren und zog sich einen ebenfalls mit Fell überzogenen Schemel heran, auf den er seine Füße legte. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er seine geliebte Pfeife samt Tabak auf dem Kaminsims liegen gelassen hatte. Seine braun grünen Augen begannen zu funkeln. Wieso ließ er eigentlich noch immer solche Vorsicht walten? Erst recht nachdem was in Dormal geschah. Wenn er schon nichts unternehmen konnte, sollten doch andere den ersten Schritt wagen. Ein schnippen seiner Finger genügte und die Pfeife schwebte samt Tabakbeutel vom Kaminsims in seine Hand. Eine weitere Geste sorgte dafür das der Feuerscheit im Kamin augenblicklich zu brennen anfing. Vitras stopfte seine Pfeife, entzündete sie mit Kraft eines Gedankens und inhalierte tief vom Rauch des aromatischen Kirschtabaks. Seine Gedanken begannen sich nun um Kushtur zu kreisen. Er schloss die Augen und rief sich Bilder dieser fantastischen Stadt vor sein geistiges Auge, während das Kaminfeuer, eine wohlige Wärme verbreitend, angenehm vor sich hin prasselte.
Kushtur – die Stadt der Magier, seine Heimatstadt und das letzte Bollwerk der Menschheit an der Grenze zur unbekannten Welt.
Vor etlichen Jahrhunderten erbauten die Vorfahren, der mit der Magie Begnadeten, den Palast der Magier auf einem Felsplateau, nahe der Wüste der Tränen. Arbeiter, Handwerker, Tagelöhner, Künstler und Kaufleute aus aller Herren Länder, siedelten sich während des gewaltigen Baus rund um das Bergmassiv an. So entstand im Laufe der Jahre eine einmalige Stadt. Im Kern dieser Stadt thronte der Palast der Magier auf seinem Plateau. Schnell wurde den ersten Magiern der Vorteil einer ganzen Stadt, mit all ihren Werktätigen gegenüber einem einsamen Refugium klar. Es wurden Strukturen geschaffen und Gesetzte verfasst. Kushtur wurde zur einzigen Stadt in der gesamten bekannten Welt, die nicht von einem einzelnen Regenten, sondern von einem Rat – dem Magischen Rat regiert wurde. Der Rat bestand aus dreizehn Mitgliedern und wurde stets vom mächtigsten Zauberer geführt. Kushtur entwickelte sich schnell zu einer wahren Metropole, da den Menschen Freiheiten gestattet wurden, die zur damaligen Zeit revolutionär waren. Es stand jedem Bürger frei, sich an den magischen Rat zu wenden, um Veränderungen vorzuschlagen. Die Menschen durften ebenfalls zu allen Gottheiten beten, was selbst heute nicht überall gestattet war. Eine Tatsache, die besonders Tantras oftmals übellaunig aufstieß. Ebenso wenig wurden die Menschen nach ihrer Herkunft beurteilt. Kushtur harmonierte zudem hervorragend mit den anliegenden Königreichen und Fürstentümern. Dadurch entwickelten sich hervorragende Handelsbeziehungen, die zur weiteren Blüte der Stadt beitrugen.
In all den Jahrhunderten, wurde Kushtur nur ein einziges Mal ernsthaft bedroht. Ein gewaltiges Heer wilder Horden aus der Unbekannten Welt, hatte es irgendwie geschafft, sich durch die Wüste der Tränen zu kämpfen und zog gegen die Stadt. Die Kämpfe stellten sich jedoch schnell als sehr ungleich heraus, da die wilden Horden der geballten Magie des Rates nichts entgegenzusetzen hatten. Trotzdem beschloss der Rat daraufhin, Befestigungsanlagen zu errichten, die alsbald zu den mächtigsten der Bekannten Welt zählten. Wenn man von denen Darkans, der Hauptstadt des Darkanischen Reiches einmal absah.
Vitras nippte an seinem Tee und inhalierte erneut einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, als er an den Tag denken musste, an dem all seine Arbeit, sein Kampftraining, seine Studien und Mühen belohnt wurden. Als seine Ausbildung abgeschlossen und er auch die letzte und schwierigste Prüfung bestanden hatte. Der Tag, an dem er in der großen Halle, feierlich die schwarze Robe der Kriegszauberer überreicht bekam. Seit über hundert Jahren hatte es kein Novize mehr geschafft, in den höchsten Rang der Zauberer aufzusteigen. Nicht seit Harun Ar Sabah seine Robe erhielt. Vitras war nun der erste lebende Magier, der es ihm gleichtat. Der mächtig genug war, ihm die Stirn zu bieten. Dadurch hatte sich Vitras an diesem Tag einen mächtigen Feind geschaffen.
Allmählich ließ der Regen nach. Die dunklen Wolken verzogen sich und helles, freundlicheres Licht schien wieder durch die Fenster ins Innere der Hütte. Vitras erhob sich von seinem Sessel und beschloss, wieder hinaus zu gehen, da es noch einiges an Arbeit zu verrichten gab.