Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Als ich dann doch etwas aus den Tiefen emporsteige, umschließt ein unangenehmer Druck meinen Oberarm und eine fremde, tiefe Stimme sagt etwas, was ich nicht verstehen kann. Beunruhigt kämpfe ich mich weiter aus der Tiefe, die mich immer noch seltsam gefangen hält. Ich schaffe es nicht, die Augen zu öffnen, um zu sehen, was passiert. Etwas in mir will einfach nicht gehorchen. Aber die Stimmen werden deutlicher und mich erreichen verständliche Wortfetzen.
„Ah, deine Freundin. Das freut mich für dich. Dann bekommt dein Leben mal etwas Normalität.“
Etwas streicht über meine Armbeuge.
„Du wohnst jetzt hier in Clemens Wohnung? Ach, sie wohnt hier. Naja, dann steht das wenigstens nicht mehr länger leer.“
Mir wird etwas in die Armbeuge geklebt.
„Das sieht mir nach einem kleinen Nervenzusammenbruch aus. Hat sie viel Stress oder belastet sie etwas extrem? Dass sie ohnmächtig wurde ist eine Schutzmaßnahme des Körpers. Sie braucht absolute Ruhe und keine Aufregung. Kannst du dafür sorgen? Sonst lasse ich sie ins Krankenhaus überweisen. Mit dem Beruhigungsmittel wird sie erst mal schlafen.“
Lauter Sätze, die aus dem Nichts an mich herangetragen werden. Ich spüre etwas Warmes meine Hand ergreifen und festhalten. Auch meine andere Hand wird genommen und ich höre Marcel leise raunen: „Das musste ja mal so kommen. Was in dem letzten halben Jahr alles passiert ist!“
Marcel? Oh nein! Was macht er hier? Erik wird ausflippen!
Ich will nicht schlafen. Ich darf nicht schlafen. Ich muss aufwachen, aufstehen, Erik zeigen, dass alles in Ordnung ist und Marcel hier nichts zu suchen hat. Eriks Stimme hatte ich immer nur wie ein verunsichertes Hintergrundrauschen gehört. Diese ganze Situation und Marcel … das muss ihn völlig überfordern.
Aber ich kann nicht. Mein Körper streikt. Etwas zieht ihn immer mehr in eine dunkle Tiefe. Meine Hände werden losgelassen. Ich werde etwas hochgezogen und ein Arm schiebt sich unter meinen Nacken. Ein warmer Körper drängt sich an mich und ein Arm hält mich an diese Wärme gepresst. Ich atme Eriks Geruch ein und will mich ganz zu ihm umwenden, aber mein Körper will nicht gehorchen. Doch die innerliche Unruhe wird langsam weniger und ich spüre die Panik abflauen, eigentlich funktionieren zu müssen, und das mit Marcel und Erik zu regeln. Ich kann nichts regeln. Ich kann gar nichts mehr.
„Passt du vernünftig auf sie auf?“, höre ich Marcel fragen und das holt mich wieder aus meiner Versenkung, in die ich immer mehr abzudriften drohe. „Vielleicht kann dein Arzt etwas tun, damit sie nicht zur Verhandlung muss. Sie wird das da nicht durchstehen. Sieh sie dir doch an! Sie ist nur noch ein Schatten!“ Marcels dunkle Stimme klingt aufgebracht und wütend.
„Ich werde sehen, was sich machen lässt. Morgen früh kommt Dr. Bremer noch einmal vorbei und wird entscheiden, was passieren soll. Dann werde ich mit ihm noch einmal über alles reden und sehen, was er dazu meint. Soll ich ihre Eltern verständigen?“ Ich spüre an meiner Wange das leichte Zittern in Eriks Brust, der versucht mit der Situation klarzukommen.
Marcel antwortet ihm: „Das übernehme ich. Ich fahre da gleich sowieso vorbei und werde denen wohl sagen müssen, was wirklich los ist. Aber mir ist lieber, sie ist bei jemandem, der nach ihr sieht - und wer sich einen privaten Hausarzt leisten kann …“
„Danke! Du kannst dich darauf verlassen, dass ich bei ihr bleibe und auf sie aufpasse. Ich melde mich dann morgen bei dir und sage dir Bescheid, was Dr. Bremer entschieden hat“, höre ich Erik raunen.
„Ich lasse dir die Nummer von mir da.“
„Das brauchst du nicht. Ich habe sie.“
Während mein Innerstes immer dumpfer wird, verfolge ich das Gespräch der beiden Männer. Ich mache allen so viel Stress! Aber mein Innerstes will das nicht mehr wirklich registrieren und schaltet immer mehr ab. Ich höre Ellens Stimme, verstehe aber nicht mehr, was sie sagt. Irgendwie registriere ich noch, dass Marcel sich verabschiedet und sie ihn nach draußen begleitet und dann versinke ich in einen traumlosen Schlaf.
Als ich wieder wach werde, ist es um mich herum dunkel. Ich spüre den warmen Körper an meinem und höre dessen ruhigen Atem. Aber als ich versuche, mich zu bewegen, schreckt der Körper neben mir auf. Die kleine Nachttischlampe erhellt plötzlich den Raum. „Carolin! Wie geht es dir?“, höre ich die besorgte Stimme von Erik fragen.
„Gut!“, sage ich aus einem Reflex heraus und weiß nicht, was los ist. Warum ist er so besorgt und reagiert so schnell auf mein Wachwerden? Hatte ich schlimm geträumt? Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern.
Die Decke wegschiebend, will ich aus dem Bett steigen, um mir etwas zum Trinken zu holen. Aber mir ist schwindelig und es fällt mir schwer, meinen Körper Befehle ausführen zu lassen.
„Halt! Was machst du? Wo willst du hin?“, höre ich Erik rufen und spüre ihn neben mir aufspringen, während ich mich seufzend ins Kissen zurücksinken lasse.
„Ich wollte mir etwas zu trinken holen“, raune ich mit belegter Stimme.
„Ich gehe! Du bleibst im Bett. Verstanden?“ Erik deckt mich wieder zu und ich höre ihn das Zimmer verlassen. Als er wieder an das Bett kommt, öffne ich erneut die Augen und sehe seinen beunruhigten Blick. Langsam setze ich mich auf und wundere mich, warum ich mich so elend fühle.
„Wie geht es dir denn jetzt? Du hast uns alle echt erschreckt! Jetzt ist erst mal Schluss mit allem. Und wenn ich dich hier einsperren muss“, brummt Erik aufgebracht und reicht mir ein Glas Orangensaft.
„Was?“, hauche ich, während sich in meinem Kopf die Erinnerungen hochschieben.
Marcel … der Parkplatz und Ellens Schrei nach Erik.
„Oh Mann! Tut mir leid“, kann ich nur stammeln und weiß, das muss für Erik, und auch für alle anderen, schlimm gewesen sein.
Ich trinke mit zittrigen Händen das Glas leer und Erik nimmt es mir ab, bevor es mir wegfallen kann.
Schnell lege ich mich wieder zurück, weil mein ganzer Körper zittrig und unruhig wirkt. Ein schreckliches Gefühl.
Eriks Hand streicht mir die Haare aus dem Gesicht. „Dr. Bremer hat gesagt, das war ein Nervenzusammenbruch und du musst dich jetzt schonen und darfst dich nicht mehr aufregen. Ich werde dafür sorgen. Und wenn ich dich dafür ans Bett binden muss“, brummt er und ich sehe in seinen Augen die unbeschreibliche Angst und Verwirrung, die seine harten Worte Lügen strafen. Mein armer Erik. So groß und stark und so schnell überfordert.
„Es geht mir wieder gut“, sage ich und lasse mich von ihm in die Arme ziehen.
„Das glaube ich erst, wenn Dr. Bremer das auch sagt. Und jetzt schlaf wieder. Es ist schon spät. Morgen früh sehen wir weiter.“ Seine Lippen legen sich kurz auf meine und ich lasse mich wieder in den Schlaf sinken, die aufkeimenden Gedanken ignorierend, die sich in mir aufbauen wollen. Nur der eine Satz will sich nicht ignorieren lassen: Hilf deinem Bruder und er wird seiner Schwester klarmachen, bei wem ihr Platz ist.
Als ich das nächste Mal wach werde, liege ich allein im Bett und aus dem Wohnzimmer höre ich Stimmen.
Ich sehe auf den Wecker. Es ist viertel nach Acht am Morgen.
Gut, dass ich nicht zur Schule muss.
Langsam