Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Im Wohnzimmer ist niemand und ich gehe weiter zur Küche, aus der mir Kaffeegeruch entgegenweht und aus der ich die Stimmen höre. Als ich im Türrahmen erscheine, sehe ich Erik aufspringen. „Schatz, du sollst doch nicht aufstehen!“
Am Tisch sitzt ein älterer Mann mit grauen Haaren und einer Brille mit Goldrand, die seine blauen Augen, in dem schon etwas faltigen Gesicht, vergrößert.
„Ah, unsere Patientin!“, sagt er lächelnd und stellt seine Kaffeetasse auf den Tisch zurück, um mir die Hand zu geben. „Ich bin Dr. Bremer. Ich bin der Hausarzt der Zeiss-Clarkson und kenne Erik und Ellen schon seit klein auf. Wie geht es Ihnen? Erik war so nett, mir ein wenig von den Umständen zu berichten, die gestern wohl ihren Tribut forderten. Fräulein Maddisheim, setzen Sie sich zu uns. Ich denke, wir müssen uns mal unterhalten.“
Erik zieht mich am Arm zu einem der Stühle und ich setze mich. Ich bin über den Umstand verwirrt, dass ein Arzt in meiner Küche sitzt und mich behandeln will. Mein Blick läuft beunruhigt in Eriks Gesicht. Doch der nickt nur mit ernstem Gesicht und bleibt neben mir stehen, eine Hand schwer auf meiner Schulter gestützt, als müsse er mich fixieren.
„Soll ich rausgehen?“, fragt er den Arzt, der fragend auf mich verweist. Ich schüttele den Kopf und Erik lässt mich los und setzt sich.
„Möchtest du einen Tee?“, fragt er und ich schüttele erneut den Kopf. Ich will das hier schnell hinter mich bringen.
„Darf ich Carolin zu Ihnen sagen?“, fragt Dr. Bremer und lächelt freundlich.
„Sicher!“, raune ich leise.
„Ich weiß nicht, wie weit Sie sich an gestern erinnern. Sie hatten so etwas wie einen Nervenzusammenbruch. Erik sagt, Sie waren sogar kurz ohnmächtig, was schon einiges heißen soll. Ihr Körper ist akut in den Streik getreten. Ich habe Ihnen eine Beruhigungsspritze gegeben, um Sie etwas zur Ruhe kommen zu lassen.
Der menschliche Körper reagiert mit so einem Nervenzusammenbruch auf Stress und psychische Belastung, mit der er nicht mehr fertig wird. Er kann sich sogar komplett ausschalten. Mehr oder weniger war das gestern der Fall. Ich möchte, dass Sie in den nächsten Tagen noch zu einem EKG zu mir kommen und wir noch einige Tests machen. Bis dahin verordne ich Ihnen Ruhe und keinerlei Stress.“ Der Doktor sieht Erik an, als müsse er ihm das extra noch mal einbläuen.
„Okay, wir haben Ferien“, sage ich nachdenklich und frage zögernd: „Aber was ist mit meinem Job?“
„Sie sollten diese Woche gar nichts machen. Ich werde Ihnen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen. Aber mit Ihrem Gerichtstermin ist das etwas anderes. Sie sind als Opfer und Zeuge vorgeladen und Ihr Bruder ist der Angeklagte. Dass dies auch ein Aspekt ist, der Sie dahin brachte, wo Sie gesundheitlich jetzt sind, sollte jedem einleuchten. Aber ich denke, um ihre Aussage kommen Sie nicht herum.“
Erik braust auf: „Das geht nicht! Das steht sie in ihrem Zustand gar nicht durch!“
„Leider ist das Gericht schwer zu überzeugen, dass jemand nicht vernehmungsfähig ist. Aber ich werde sehen, was sich machen lässt. Wollen Sie denn gegen ihren Bruder aussagen oder werden Sie ihr Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen?“
Das ist das, worüber Marcel mich mal aufgeklärt hatte und ich weiß, dass ich gegen Tim, und Julian mit seinem neuen Anwalt, keine Chance habe. Ich nicke nur unsicher und bei dem bloßen Gedanken an die Verhandlung bricht mir schon der Schweiß aus.
„Wissen Sie, ich werde mir Ihren Fall einmal anschauen. Ich kenne ein paar Leute bei Gericht und als ihr Arzt wird man mir auch Auskunft geben. Auf alle Fälle sollten Sie nicht der ganzen Gerichtsverhandlung beiwohnen und auch nicht stundenlang auf Ihre Aussage warten müssen. Haben Sie die Vorladung hier?“
Erik steht auf und drückt seine Hand auf meine Schulter, damit ich ja nicht auf den Gedanken komme aufzustehen. „Wo liegt sie? Ich hole sie dir. Unser Dr. Bremer ist gewöhnt sich in allen Belangen um uns zu kümmern“, erklärt er etwas widerstrebend.
„Meine Papiere liegen alle in der untersten Schublade im Sideboard. Da müsste das auch bei sein.“
Erik geht und ich sehe den Doktor unsicher an. Dann beuge ich mich dicht zu ihm herüber und frage leise, aber eindringlich: „Was muss ich tun, damit es schnell wieder besser wird?“
Er lächelt wieder. „Sich vor allem keinen Stress machen. Treten sie mal ein wenig kürzer. Besteht denn Hoffnung, dass Sie nach der Verhandlung wieder ein normales Verhältnis zu ihrer Familie aufbauen können? Sie sind zu jung, um sich allein durchs Leben zu schlagen.“
„Das braucht sie auch nicht! Sie ist nicht allein. Sie hat Ellen und mich!“, höre ich Erik energisch ausrufen, als er mit einem Zettel in der Hand wieder in die Küche kommt. Er gibt ihn an den Doktor weiter, der einen Blick darauf wirft.
„Alles klar. Ich dachte mir das schon. Das Gericht hier in Osnabrück ist zuständig und ich kenne da den einen oder anderen.“
Er stellt eine Bescheinigung für Alessia aus, obwohl ich ihm sage, dass er das nicht machen muss und belehrt mich nochmals, mich zu schonen. Sich erhebend, raunt er zu Erik: „Erik, es ist schön, dass du dich hier so einbringst. Aber du solltest sie nicht überfordern! Deine Probleme können auch schnell zu ihren werden.“
Ich weiß nicht, was Dr. Bremer genau meint. Aber Erik nickt nur und raunt leise: „Ist mir bewusst. Ich werde das jetzt ernsthaft in den Griff bekommen. Alles!“
Der Doktor nickt und legt Erik die Hand freundschaftlich auf die Schulter. „Das hoffe ich für euch beide!“
Er gibt mir die Hand und erneut den Auftrag, mich in den nächsten Tagen noch für ein EKG in seiner Praxis anzumelden und ermahnt mich noch einmal, mich zu schonen.
Erik drückt er ein Rezept mit irgendwelchen Baldriantropfen und Tabletten für mich in die Hand. Dann gehen die beiden zur Tür und ich sitze nur da, völlig verstört. Also kann ich nicht mal arbeiten gehen! Und das alles wegen gestern. Dabei weiß ich gar nicht mal genau, was eigentlich passiert ist. Mir scheinen einige Stunden in meinem Leben zu fehlen.
Erik kommt in die Küche. Er setzt sich an den Tisch und sieht mich beunruhigt an. „Wie geht es dir heute Morgen? Du hast mir gestern einen riesen Schreck eingejagt, und den anderen auch.“
„Was ist denn passiert?“, frage ich mit zittriger Stimme, die Erik schon wieder aufhorchen lässt.
Er steht auf und hält mir seine Hand hin. „Komm, ich bringe dich ins Bett zurück und erzähle dir, was gestern los war.“
Mich im Bett fest an sich drückend, berichtet er mir von Ellen, mir und Marcel und wie ich mit Marcel gesprochen hatte, er mitansehen musste, wie ich vor Marcel in die Knie ging und Ellen ihn panisch rief. Ich höre an Eriks Stimme, wie entsetzt er selbst jetzt noch darüber ist, dass ich einfach zusammengebrochen bin.
„Marcel hat uns hierhergebracht und Ellen hat Dr. Bremer angerufen, der sofort kam. Er meint, dass dies eine Reaktion deines Körpers war, weil er mit dem ganzen Scheiß nicht mehr klarkam.“
Ich sehe in Eriks Gesicht. Seine Stimme lässt mich schon seinen aufgebrachten Blick erahnen.
„Und Marcel ist fast ausgeflippt, weil er dachte, das liegt an Drogen und so. Aber wir konnten ihm versichern, dass du nichts genommen