Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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du hast von mir eine eins bekommen. Wirklich gut!“, raunt die Lehrerin. Sie verteilt weiter und auch Ellen bekommt ihren Brief. Aber erst bei Sabine bleibt sie stehen. „Sabine, auch du hast klar eine eins verdient. Wundervoll geschrieben. Und so gefühlvoll!“

      Die letzten Briefe werden verteilt und ich werde nervös. Als sie sich vor meinem Tisch aufbaut und mir meinen Brief hinhält, kann ich sie kaum ansehen, weil mir mein herzergreifendes Liebesgeplänkel für Erik plötzlich peinlich ist.

      „Carolin! Unschlagbar! Ich habe einen Tag gebraucht, um mich von deinem Brief zu erholen. Wer immer der ist, dem du ihn geschrieben hast, er muss dir wirklich sehr viel bedeuten. Dich möchte ich gerne bitten, ihn vorzulesen. Ich möchte dich bitten, kann es aber nicht. Ich denke, es steckt so viel Herzblut da drinnen, dass mir nicht zusteht, dich zu bitten, alle daran teilhaben zu lassen.“

      Ihre Worte verunsichern mich und ich spüre die Blicke, die wie Brenneisen auf mich gerichtet sind.

      „Och, bitte!“, raunt Andrea mit einem Augenaufschlag, der sich gewaschen hat. Und auch Ellen knufft mich. „Ach komm! Stell dich nicht so an. Wir werden es auch keinem weitererzählen.“ Sie grinst frech.

      Jedes meiner Mädchen scheint vor Neugierde zu platzen und bittet mich, bis ich raune: „Meinetwegen. Aber ich lese das nicht vor!“

      Die Augen der Lehrerin leuchten auf und sie sagt: „Das übernehme ich gerne.“

      Sie nimmt mir den Zettel wieder aus der Hand und ich sehe Ellen unglücklich an.

      Die schenkt mir ein schadenfrohes Grinsen und fragt: „Für wen war der noch mal?“

      Frau Greiner stellt sich an ihren Schreibtisch und atmet ein paar Mal tief ein.

      „Mein lieber Schatz“, liest sie vor.

      Mir wird in diesem Moment klar, dass ich besser doch nicht will, dass mein Brief vorgelesen wird. Aber nun ist es zu spät.

      „Ich schreibe dir diese Worte, weil du der Einzige bist, der sie verdient.

      Sie erzählen von Gefühlen, die ich nie vorher kannte, so unglaublich tief in mich hineinreichend, so schmerzhaft, wenn ich denke, sie werden nicht erwidert … und so süß, wenn du sie mit mir teilst. Ich will diese Gefühle ein Leben lang.“

      Sie lässt ihre Augen durch die Klasse gleiten, die alle stumm dasitzen.

      „Sie erzählen von Liebe, die mich wie ein Nebel durchdringt und wenn ich an dein Gesicht denke, spüre ich eine Wärme in mir aufsteigen, die alle Kälte des Lebens verjagt. Wenn ich daran denke, wie du mich in deinen Armen hältst und unsere Körper verschmelzen lässt, wird diese Wärme zur Hitze, die selbst die Antarktis schmelzen kann und wenn du mich an dich ziehst, damit keiner mir zu nahekommt, spüre ich, dass wir zusammengehören. Ich will diese Liebe ein Leben lang.“

      Wieder macht sie eine Pause und schluckt. Und ich schlucke auch und werde in meinem Stuhl immer kleiner und mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

      Frau Greiner beginnt weiterzulesen. „Und sie erzählen von dem Schmerz, wenn wir uns dem Leben nicht gewachsen fühlen, das uns immer wieder mit Problemen überhäuft. Dieser Schmerz versucht das Gefühl und die Liebe zu mindern und mich von dir fernzuhalten. Aber er kann mich verbrennen, er kann mich zerstückeln oder mich quälen, bis ich ohnmächtig werde … aber er wird nie die Kraft aufbringen, mich von dir zu trennen … denn das wäre ein Schmerz, der mit nichts vergleichbar mich vernichten würde.

      Ich liebe dich mehr als mein Leben, mehr als meine Freiheit, mehr als irgendetwas auf dieser Welt.

      Bitte lass mich zu dir! Dein Schatz.“

      Die Lehrerin sieht mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen.

      „Wunderschön!“, haucht sie ergriffen und in der Klasse scheint alles Leben ausgelöscht zu sein. Erst als sie sich durch die Klasse bewegt und mir den Brief reicht, erwachen die ersten.

      „Oh Mann! Ist der für Erik?“, fragt Ellen neben mir und wischt sich betreten über das Gesicht.

      „Poor, ich heul gleich“, meint Andrea und ihre braunen Augen sehen mich aus einem rotwangigen Gesicht an. Ich höre Gemurmel von denen, die das Bestätigen möchten und ich muss gestehen, dass auch ich ziemlich ergriffen bin, zumal ich weiß, wann und warum ich diese Zeilen schrieb.

      „Der letzte Satz, Bitte lass mich zu dir, gibt nach so einem Text so viel gedanklichen Spielraum. Unglaublich!“, sagt Frau Greiner. „Ich muss gestehen, ich würde gerne wissen wie das Ganze weitergehen würde, wenn es weiterginge.“

      „Das ist bestimmt weitergegangen! Carolin hat den Brief an meinen Bruder geschrieben. Der hat ihr bestimmt zurückgeschrieben!“, meint Ellen stolz darüber, dass ihr eigener Bruder für so etwas der Anlass war.

      Alle Augen richten sich auf mich. Ich nicke vorsichtig. „Aber das ist persönlich. Die Antwort darauf kann ich keinem zeigen, weil so etwas nur der Verfasser entscheiden darf.“

      „Ich rufe Erik an“, ruft Ellen augenblicklich und ich lege meine Hand auf ihre, die nach ihrem Handy greifen will. „Das tust du nicht. Der Brief an ihn war schon nur für ihn bestimmt. Ich werde es nicht erlauben, dass du ihn zu etwas überredest.“ Natürlich geht das auch nicht, weil Erik darin auch etwas über seinen Drogenkonsum schreibt.

      Ein enttäuschtes Gemurmel setzt ein und Frau Greiner hebt die Hand. „Das ist etwas, was wir auf alle Fälle akzeptieren müssen. Zumal wir schon froh sein dürfen, dass wir Carolins Brief erleben durften. Lassen wir es dabei.“

      Ich nicke ihr dankbar zu und auch Ellen scheint nicht weiterbohren zu wollen. Vielleicht ist ihr klargeworden, dass Erik auch Gefühl gezeigt hat und das ist immer noch etwas, was sie schnell verstört, weil sie fast ihr ganzes Leben lang gedacht hat, er hat gar keine. Sie sieht mich aber eine Zeitlang nachdenklich an.

      Als Frau Greiner zu ihrem Pult geht, beugt Ellen sich zu mir rüber und raunt: „Tut mir leid. Du hast recht. Ich bin blöd, wenn ich denke, so ein Werner kann auch nur eine Sekunde mehr als Nettigkeit von dir erwarten.“

      Ich sehe sie irritiert an und nicke, den Brief zusammenfaltend und in meine Hosentasche schiebend. Wenn ich auch ein wenig das Gefühl habe, das mit der Bekanntmachung meiner Zeilen diese ein wenig an Wert verloren haben, so weiß ich doch, dass Erik selbst dafür an Wert in den Augen anderer gewonnen hat. Und das entschädigt mich dafür, dass meine Gefühle für ihn hier eben breitgetreten wurden. Mich hat das tiefe Gefühl für ihn wieder eingeholt, das mich diese Zeilen verfassen ließ, auch wenn er sich nur eingesperrt hatte, um mich wieder in seine Arme zu treiben. Dabei war ich ihm keine Sekunde daraus entflohen. Zumindest nicht in meinen Augen.

      In der Pause verspricht mir Ellen, Werner nicht mehr so viel Aufmerksamkeit zu schenken. „Soll er sich doch an dir die Zähne ausbeißen. Das geschieht ihm ganz recht und holt ihn von seinem Egotrip herunter.“

      „Du brauchst dir wegen niemandem den Kopf zerbrechen. Jedes Wort, was du heute gehört hast, ist wahr und beschreibt doch nur im Ansatz, was ich wirklich fühle“, antworte ich ihr ehrlich.

      Ellen sieht mich an, als könne ich nicht ganz bei Sinnen sein. Dann schüttelt sie den Kopf und dreht sich zu Andrea um, die auf uns zustürmt. „Carolin, schreibst du mir auch mal so was, wenn ich jemandem einen Liebesbrief schreiben will?“

      „Ne! Bestimmt nicht!“

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