Anarchistische Analysen zur Gegenwart. Jörg Djuren

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Anarchistische Analysen zur Gegenwart - Jörg Djuren

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dem Ideal des gerechten Orgasmustausches genügt.

      Dieses Ideal des gerechten Orgasmustausches ersetzt innerhalb der MIS-Schicht das bürgerlich christliche Ideal der Aufopferung für die Liebe (Romeo und Julia). Es ist das Ideal der freien Marktwirtschaft übertragen auf die Sexualität.

      Aber auch einen gerechten Orgasmustausch gibt es nicht, denn wieviel kg wiegt ein Orgasmus, wie hoch ist sein Wert, wie vergleiche ich Orgasmen? Brauchen Menschen die mehr wiegen mehr kg Orgasmus als leichtere Menschen?

      Tatsächlich produzieren die Sexualwissenschaften seit den 70er Jahren hierfür Tabellen, Statistiken und Orgasmusverlaufskurven. Eine Ideologieproduktion die inzwischen in den Alltag eingesickert ist.

      Das Ideal des gerechten Orgasmustausches ist nur ebenso eine romantische Schimäre, wie das bürgerliche Aufopferungs-Liebesideal. Ist der Leib und die Lust, sind die Bedürfnisse nach Intimität, doch nicht auf Kurvenverläufe reduzierbar.

      Und wie das bürgerliche Liebesideal hat der Orgasmustausch eine ungleiche Wirkung innerhalb der zweigeschlechtlichen Organisation der Gesellschaft zur Folge. Steht sie doch immer im Verdacht gar keinen Orgasmus gehabt, d.h. nicht das eigentliche gegeben zu haben, zu simulieren und damit den Tausch zu unterminieren. Ein Diskurs der aus der Prostitution hinlänglich bekannt ist.

      Und auch dieses Sexualitätsideal dient Herrschaftsfunktionen, der Schaffung herrschaftsaffirmativer Subjekte durch eine herrschaftskonforme Strukturierung der Sexualität.

      War Romeo und Julia zu Shakespeares Zeiten ein Diskurs zur Modernisierung des sexuellen Subjektes im Sinne der Aufrichtung bürgerlicher Herrschaft, in dem letztendlich vor allem den Frauen die Aufopferung für die Liebe und die damit verbundene unbezahlte Reproduktionsarbeit überlassen wurde, wird dieser Diskurs für die MIS-BürgerInnen nun durch den Mythos des gerechten Tausches abgelöst.

      Wobei zu sehen ist, daß der Orientierungspunkt eben der männliche sichtbare Orgasmus, als mechanischer Ablauf, ist, und damit der weibliche 'unsichtbare' Orgasmus und mit ihm die 'unsichtbare' Reproduktionsarbeit', die überwiegend Frauen leisten, wieder einmal entwertet wird.

      In der medizinischen Normierung gilt heute, daß ein Penis nur zu klein aber nie zu groß sein kann. Die Klitoris kann hingegen nur zu groß aber nie zu klein sein.

      Die Kindergynäkologie und Operationen zur Normierung, die gewaltsame Herstellung der sexuellen körperlichen Norm aufgrund der Entscheidung der Eltern/ÄrztInnen, sind ein Wachstumsmarkt.

      Aufgrund der materiellen Widerständigkeit des Leibes und der Ängste und Lüste und aufgrund bewußter Entscheidungen, konstituiert sich auch dieses Warensubjekt nicht widerspruchsfrei. Treten auch hier neben die machtförmigen sexuellen Praxen einer Warensexualität auch andere Bedürfnisse nach Nähe und Begreifen. Der herrschende Diskurs ist nie vollständig in Lage die Subjekte zu disziplinieren und zu normalisieren.

      Dies sind die Ansatzpunkte für Widerstand.

      Gleichzeitig gilt für die Masse der Bevölkerung wie ausgeführt in verschärfter Form das alte bürgerliche Sexualitätskonzept, in dem vor allem ihr 'der Frau' eine Rolle der Aufopferung für 'die Familie' abverlangt wird.

      Da auch dieses Konzept aber zunehmend mit einer Realität von Frauenerwerbsarbeit, Migration, feministischem Widerstand, u.a., in der Frauen sich anders situieren müssen/wollen bzw. die ihnen andere Selbstdarstellungen abverlangt, in Konflikt gerät, wird es zunehmend zu einer nur noch gewaltsam aufrechterhaltenen Hülle.

      Die Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen führt außerdem dazu, daß zur selben Zeit in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft alte, neue, oder Sexualitätspraxen im Umbruch gelten. Insbesondere für Frauen, deren Leib sowohl im alten wie im neuen Sexualitätsdiskurs im besonderen Maß sexualisiert wird, bedeutet dies sich permanent mit unterschiedlichen Diskursen mit widersprüchlichen Anforderungen auseinandersetzen zu müssen.

      Sich vollständig auf die Seite der Warensexualität zu schlagen bedeutet in diesem Zusammenhang immer das Risiko durch repressive Beschränkungen, direkte Gewalt und öffentliche Diskurspraxen zur nicht souveränen sondern fremdbestimmten Ware gemacht zu werden, im Extrem zeigt sich dies in der Gewalt gegen Prostituierte.

      Wie bei der Familiensimulation führt die Disfunktionalität der Sexualitätskonzepte aber auch hier meist nicht zu ihrer Infragestellung, sondern eher zu einer zeitweisen Simulation einer glücklichen Sexualität entlang der vorgegebenen Linien. Diese Simulation ist aber nie lange aufrecht zu erhalten, was dann aber meist auf individuelles Versagen zurückgeführt wird - es war halt nicht die/der Richtige -.

      Welche/Wer kennt diese Aussage nicht?

      Das fremdbestimmte Warensexualität (Prostitution in ihrer üblichen Form) und bürgerliche Ehe ein Kontinuum eines Gewaltverhältnisses darstellen, wie dies z.B. Ti Grace Atkinson schon in den 60er Jahren formuliert hat, und das politische Gegenwehr, die das gesamte Kontinuum von Ehe, fremdbestimmter und heute moderner souveräner Warensexualität angreift, notwendig ist, scheint vergessen.

      AnarchistInnen stehen auch hier wieder vor dem Problem sich sowohl gegen das bürgerliche Liebesideal, wie gegen die postmoderne Warensexualität zu stellen, ohne sich für den jeweils als gegenteilig aufgefaßten Standpunkt vereinnahmen zu lassen.

      Was tun?

      Das weiß ich auch nicht!

      Trotzdem einige Ideen aber nicht mehr.

      Eine Lösung könnte sein, Sexualität als flüssige wandelbare Praxis zu leben, in der keine Wahrheit gesucht wird, und in der auch keine Wahrheit zu finden ist. Dies würde auch einen Tausch ausschließen, da eine Sexualität, die nicht sie selbst bleibt, die sich unberechenbar in anderes umwandelt, sich einer Tauschwertzuweisung entzieht. Eine andere Lösung wäre ein willkürliches sich Verausgaben oder auch bei sich zu bleiben, ohne einen Tausch zu erwarten.

      Was habe ich dann?

      Alles und Nichts.

      Die Selbstinwertsetzung des Subjektes als Ware erfordert die Möglichkeit der Zuweisung eines Tauschwertes. Dies weist auf eine Ansatzmöglichkeit für Widerstand hin.

      Nehmen wir an ein Ding würde sich willkürlich und unberechenbar von einem Edelstein in ein Kaninchen und dann vielleicht in eine Leberwurst umwandeln. Einem solchen Objekt wäre ein Tauschwert nicht zuweisbar.

      Für alltägliche materielle Objekte ist dies eine absurde Vorstellung. Für das Warensubjekt gilt hier aber anderes. Das Warensubjekt muß seinen Wert gerade um ihn stabil zu halten alltäglich in der Interaktion reproduzieren.26 Dies gilt z.B. für die sexuelle Attraktivität aber auch für das vergeschlechtlichte Subjekt selbst.

      Nach der Theorie der feministischen Theoretikerin Judith Butler (re)produzieren wir die (hetero)sexuellen Verhältnisse täglich neu.27 Nur diese alltägliche Reproduktion stellt den sexuellen Tauschwert des modernen Warensubjektes sicher. Wird die Reproduktion unterbrochen, bzw. zur Subversion genutzt, wird mit der Infragestellung des Gebrauchswertes, bzw. seiner Fluktuation, auch der Tauschwert in Frage gestellt.

      Das heißt, die Verweigerung der Reproduktion der (sexuellen) Wertzuweisungen in der Interaktion oder ihre Störung durch z.B. inadäquates Agieren kann, zumindest sobald dies massenhaft auftritt, das System zum Zusammenbruch führen. EinE die/der heute schön und morgen häßlich und übermorgen wieder schön auftritt oder die Spiegelung des Gegenüber entsprechend

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