Anarchistische Analysen zur Gegenwart. Jörg Djuren
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Dies ist aber erstens nicht einfach umsetzbar und löst zweitens massiv Aggressionen aus. Auch hier ist das Agieren aus sozialen und politischen Zusammenhängen notwendig, die die Handlungsmöglichkeiten erst schaffen.
Ich behaupte nicht, daß ich dies hier und heute umsetze.
Dies ist ein Versuch eine Alternative erst einmal zu formulieren.
Zu schauen ist auch, ob sich Strategien dieser Art auch außerhalb der sexuellen Inwertsetzung des Subjektes anwenden lassen. Wie und wo?
Was würde dies z.B. für eine antirassistische Praxis bedeuten, oder für ein Agieren in Wissenschaft und universitären Verhältnissen?
Ist nicht gerade im Wissenschaftsbereich die Reputation hochgradig eine Frage der Interaktion?
Wie ist festgelegt wessen Aussage und welche Interaktion zählt?
Wie läßt sich hier eingreifen?
Und wie ist dies mit der materiellen Realität durchmischt, mit dem Körper, mit den Produktionsverhältnissen?
Wie kann die Tauschwertzuweisung unterlaufen werden?
Jörg Djuren - Hannover, 2005
(Erstveröffentlichung - vers beaux temps - Hannover, 2005)
FIN
Philanthrokapitalismus und kulturelle Hegemonie
Zur Rolle von Stiftungen & anderen 'gemeinnützigen' AkteurInnen bei der Modernisierung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse
Stiftungen & .. in Deutschland
In den Analysen kapitalistischer Herrschaft wird sowohl im sozialen und medizinischen Sektor als auch in der kulturellen Produktion die Rolle nichtstaatlicher 'gemeinnütziger' AkteurInnen meist vernachlässigt. Dabei kommt diesen Institutionen eine wichtige Rolle bei der Modernisierung und Bewahrung kapitalistischer Herrschaft zu.
Ein Beispiel dafür ist der Bereich der Biopolitik, also die Formierung der Körper, ihre Disziplinierung und Optimierung für die Verwertbarkeit, und ihre Verwaltung und die Regulation des Bevölkerungskörpers. Biopolitik wird nicht nur von staatlicher Seite und im Arbeitsprozeß betrieben, sondern hier sind eine Vielzahl an 'sozialen' und 'medizinischen' AkteurInnen beteiligt. In Deutschland sind dies vor allem die Kirchen (Kindergärten, Krankenhäuser, 'Integrations'maßnahmen in den Arbeitsmarkt, Altenverwaltung, ..) oder die großen traditionellen Sozialverbände (DRK, ASB, DPWV, ..), die wesentliche Teile der biopolitischen Verwaltung der Menschen übernommen haben. Kritisch analysiert wird dies kaum, z.B. welche biopolitischen Muster der Praxis in kirchlichen Kindergärten zu Grunde liegen, und wo und wie diese in Machtprozessen ausgehandelt werden?
Dabei handelt es sich allein vom finanziellen Volumen schon um Bereiche von beträchtlicher Bedeutung.
Die Kirchen sind auch im kulturellen Bereich und in der internationalen Politik nicht unwichtige (biopolitische) Akteure (Brot für die Welt, Misereor, ..).
Dazu kommen die großen Parteistiftungen, die zwar über kein Einlagevermögen verfügen, von der Größe ihres Ausschüttungsvolumens, daß sie vom Staat erhalten (Rosa Luxemburg Stiftung - Jahresetat 2006: 14 Millionen Euro28 , Heinrich Böll Stiftung - Jahresetat 2006: 40 Millionen Euro29 , Adenauer Stiftung - Jahresetat 2006: 101 Millionen Euro30 , Friedrich Ebert Stiftung - Jahresetat 2006: 112 Millionen Euro31 , Hans Seidel Stiftung - Jahresetat 2006: 42 Millionen32 , Friedrich Naumann Stiftung - Jahresetat 2006: 41 Millionen Euro33 ), aber mit den Top 100 der Stiftungen in den USA mithalten können. Die Parteistiftungen fördern dabei von Todesschwadronen (implizit durch finanzielle Förderung der Polizei autoritärer Staaten) bis hin zu Basisgewerkschaften und Menschenrechtsgruppen ein breites Spektrum an Gruppen weltweit. Sie agieren dabei entsprechend ihres politischen Programms, versuchen aber im Regelfall das westliche parlamentarische kapitalistische und marktwirtschaftliche System durchzusetzen, sei es in seiner repressiven Variante (Kohäsion durch Repression und Überwachungsstaat) oder in seiner sozialliberalen Variante (Kohäsion durch sozialstaatliche Institutionen und gesteuerte Aushandlungsprozesse), der grundsätzlichen Infragestellung dieser Struktur wirken die Stiftungen in ihrer Gesamtheit aber entgegen.
Eine genaue kritische Analyse fehlt auch hier.
Und dazu kommen dann noch semistaatliche Institutionen wie die VW-Stiftung (Jahresetat 2006: 100 Millionen Euro34 ).
Kapitalstiftungen gibt es zwar auch in der Bundesrepublik, aber sie sind nur einige unter vielen AkteurInnen. Die einzige Stiftung, die ausführlicher und kritischer analysiert worden ist, ist die Bertelsmann-Stiftung (siehe Wiki; Bildung schadet nicht - http://wiki.bildung-schadet-nicht.de/index.php/Bertelsmann-kritische_Informationen_und_Materialien -). Diese Analysen sind interessant, die Fokussierung auf die Bertelsmannstiftung unter Ausblendung der anderen Akteure birgt aber die Gefahr einer obskuren Dämonisierung, bei der diese Stiftung omnipotent erscheint und andere Akteure verniedlicht werden35 . Die Bertelsmannstiftung ist von der Größe des jährlichen Ausschüttungsvolumens (Jahresetat 2006: 61 Millionen Euro36 ) z.B. erheblich kleiner als die Friedrich Ebert Stiftung (Jahresetat: 112 Millionen Euro) oder die Konrad Adenauer Stiftung (Jahresetat: 100 Millionen Euro). Und es gibt auch in der Bundesrepublik noch andere Kapitalstiftungen vergleichbarer Größenordnung.
Eine kritische Analyse dieser Gesamtstrukturen für die Bundesrepublik Deutschland aus linksradikaler Sicht steht aus.
In den USA gibt es hingegen eine kritische und radikale Kritik zumindest an Teilen dieser zivilgesellschaftlichen AkteurInnen. Diese Kritik und die, in ihr in aktuellen Texten deutlich werdenden, neoliberalen Modernisierungstendenzen in diesem Bereich werden im folgenden, an Hand der von Gramsci inspirierten Kritik an den liberalen US-Stiftungen37 und an Hand der spezifischen Kritik an der Bill und Melinda Gates Stiftung (größte Stiftung der USA38 ), dargestellt und konkretisiert. Ein zusätzlicher Ansatzpunkt ist dabei die Kritik am Philanthrokapitalismus, der exemplarisch, an Hand der programmatischen Rede "A New Approach to Capitalism in the 21st Century", die Bill Gates in Davos im Januar 2008 auf dem World Economic Forum (WEF) gehalten hat39 und die als eine Art Manifest des Philanthrokapitalismus40 begriffen werden kann, hier kritisiert wird.
Stiftungen & .. aus den USA
Auch in den USA gibt es breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Institutionen. Sie reichen von fundamentalistischen christlichen Strukturen, über neokonservative Stiftungen (z.B. Heritage-Foundation) mit ihren Think-Tanks, bis hin zu den großen alten liberalen Stiftungen, den "Big Three" (Ford-Foundation, Rockefeller-Foundation, Carnegie-Foundation).
Das Spektrum der Aktivitäten reicht auch hier von der Unterstützung fundamentalistischer Missionsarbeit, der Unterstützung von Contras und Diktaturen, bis hin zur Unterstützung von Menschenrechtsaktivitäten und sozialer Selbstorganisation.
Die Big Three, die aber nur einige Prozent der Gesamtaktivitäten bestimmen, stehen dabei klar in sozialliberaler Tradition. Ihnen kommt aber eine erhebliche Bedeutung für die Modernisierung kapitalistischer Verhältnisse und die Reintegration kapitalismus- und systemkritischer Gruppen zu. Übertragen auf deutsche Verhältnisse haben sie eine eine ähnliche Funktion, wie die linke Sozialdemokratie und die Grünen.