Auf ihren Spuren. Sabine von der Wellen

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Auf ihren Spuren - Sabine von der Wellen Cecilia Hyde

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      „Mensch Alter. Du glaubst gar nicht, was es hier alles gibt!“ Er ist völlig aus dem Häuschen.

      „Wo gibt?“, frage ich, weil ich nicht weiß, was er meint.

      „Nah hier … im Darknet. Du kannst alles kaufen. Drogen, Knarren, Auftragsmörder.“

      Ich glaube, er spinnt. Darum stelle ich mich neben ihn und starre auf eine Reihe gefesselter Frauen, alle nackt und wenig glücklich.

      „Was schaust du dir da an?“, frage ich entrüstet. „Das ist Mamas Laptop!“ Ich habe das Gefühl, dass er mit dem Scheiß Mamas Laptop versaut.

      „Mach dir nicht ins Hemd. Ich lote nur aus, was hier alles so zu finden ist … und wie vor allem. Das ist nicht so leicht. Es gibt kein Google.“

      Er zieht mir den Zettel mit meinen Daten aus der Hand und tippt sie ein. Es dauert, bis sich endlich eine Seite öffnet. Sie sieht völlig nett und harmlos aus. Ein echt hübsches Mangamädchen lächelt einem entgegen, gekleidet wie der Flaschengeist Jeannie mit rosa Hütchen und irgendwelchem Tütü, das um das Gesicht geschlungen ist, einem sehr spärlichen rosa Oberteil, dass ansprechend gefüllt ist und einer rosa Hose, dessen Bund man nur sehen kann, weil es aus einem Flaschenhals schlüpft.

      Ich starre geschockt auf das Mädchen. Das ist Mama in jünger! Sie trägt sogar Mamas Halskette mit dem runden Anhänger, die jetzt mit ihren Ringen um meinem Hals hängt.

      Manuel sieht mich an, dann läuft sein Blick zu meinem T-Shirt, über dem der Anhänger mit den Ringen baumelt, weil ich mich zu ihm vorbeuge. „Guck mal. Ihr habt die gleiche Kette“, stellt er sofort fest und ich greife erschrocken nach dem Anhänger und lasse ihn in meinem T-Shirt verschwinden.

      „Davon gibt es bestimmt ganz viele“, murmele ich nur und muss mich aufrichten, um Luft zu bekommen.

       Manuel widmet sich schon wieder der Seite, die als Überschrift verkündet: Ich erfülle Dir jeden Wunsch. Alles, was Du gerne einmal ausleben willst, Deine tiefsten geheimen Wünsche und Vorstellungen – all das kann ich für Dich wahr werden lassen.

      Darunter steht, wohl als Erklärung gedacht, warum jemand das von sich behauptet: Denn zu jedem Topf passt ein Deckel und ich finde Deinen, der Dir deinen Wunsch erfüllt, ohne dass Du das Gesetz fürchten musst.

      „Häh?“, macht Manuel verständnislos und liest offenbar schon weiter.

      „Werde mein Kunde und Dir steht alles offen, was du begehrst. Es gibt keine Tabus und keine Wertung deiner Person. Du kannst dir die völlige Freiheit über dein Handeln wünschen und ich erfülle es Dir, wenn ich weiß, was Dir die Erfüllung deines Wunsches Wert ist. Ich mache ihn Dir dann dementsprechend wahr.

      Dann kommt ein Button: Kunde werden.

      „Willst du da Kunde werden? Vielleicht beschaffen sie dir einen Ferrari oder Porsche?“, ruft Manuel aufgedreht. „Oder einen Picasso oder Van Gogh?“

      „Ich glaube nicht, dass es da um Autos oder Kunst geht“, raune ich nur leise und fassungslos, weil sich gerade Mamas Geschichten mit dieser Internetseite in meinem Kopf verbinden. „Geh da wieder raus. Das ist alles Scheiße!“, rufe ich, schnappe mir die Maus, als Manuel nicht reagiert und schließe alles.

      Manuel sieht mich aufgebracht an. „Ey, warte! Ich will Kunde werden. Ich will auch so eine Jeannie, die mir alle Wünsche erfüllt.“

      „Die macht das nicht umsonst“, zische ich. In meinem Kopf werden Annahmen und Tatsachen immer mehr vermischt und ich greife den Laptop, reiße ihn von dem Ladegerät, ziehe Manuels Mauskabel und Internetverbindung aus der Buchse und greife den Zettel mit dem Link. Manuel soll nicht wieder auf diese Seite gehen … und ich auch nie wieder.

      Er ruft mir noch fassungslos etwas hinterher, aber ich laufe schon durch das Wohnzimmer zu meinem Zimmer. Ich sehe noch Katja und Timo, die vor dem Fernseher lümmeln und sich eine Tüte Chips teilen. Offenbar sehen sie sich irgendeinen Gruselfilm an. Damit ist bestimmt wieder garantiert, dass Katja nicht allein schlafen will.

      Ich stürme in mein Zimmer und schmeiße die Tür hinter mir zu. Den Laptop lasse ich mit dem Zettel auf meinen Schreibtisch knallen und laufe zum Bett, um mich in die Kissen und Decken zu wickeln und der Welt zu entfliehen. Aber es ist zwecklos. Mein Kopf hat mittlerweile kapiert, dass ich Mamas Seite im Darknet gefunden habe, mit der sie diese Wohnung kaufen konnte. Sie ist ein Jeannie, der allen irgendwelche Wünsche erfüllt.

      Ich will lieber nicht darüber nachdenken, was für Wünsche. Aber mit einem Mal bekommen die schrecklichen Geschichten einen Sinn. Sind das Wünsche, die Jeannie erfüllte oder erfüllen sollte?

      Ich will darüber nicht nachdenken.

      „Hey, Joel? Ist alles in Ordnung?“

      Ich höre Katja an mein Bett treten.

      „Ja klar. Alles okay“, murmele ich ins Kissen und hoffe, sie verschwindet wieder. Sie soll nicht sehen, dass mir Tränen über die Wange laufen. Tränen des Entsetzens und des Frusts. Ich kann nicht begreifen, wie Mama das alles tun konnte. Und ich kann noch weniger begreifen, dass ich davon nichts mitbekam.

      Und jetzt ist Mama tot. Der Jeannie ist gestorben und es werden keine Wünsche mehr erfüllt. Oder?

      „Wenn du uns brauchst, wir sind immer für dich da.“ Katja setzt sich wohl auf meine Bettkante, weil meine Matratze etwas nachgibt und ich spüre, wie ihre Hand über meinen Rücken streicht.

      Warum tut sie das und was will sie?

      „Ich komme klar. Mir geht es gut. Also lass mich bitte in Ruhe“, murre ich in mein Kissen hinein. Sie soll gehen. Schnell gehen. Sonst weiß ich nicht, was ich tue.

      Katjas Hand erstarrt und sie erhebt sich. Die Matratze sinkt wieder in den normalen Zustand, nur mit meinem Gewicht belastet. Als die Tür zufällt, atme ich auf. Aber da ist auch etwas in mir, dass hätte sich gerne zu Katja umgedreht und hätte sich in ihre tröstende Umarmung fallen lassen. Mir fehlt das. Mama hatte mich früher oft in den Arm genommen. Aber die letzten zwei-drei Jahre wollte ich das nicht mehr. Es war mir peinlich. Heute würde ich alles dafür geben.

      Ein Wunsch an Jeannie …

      Marco

      Ich brauche einige Tage, in denen ich mich entweder Zuhause verkrieche oder mich außerhalb der Wohnung aufhalte, solange es geht. Aber nichts kann mich vor meinen Gedanken schützen, die mich nicht nur in meinem Zimmer, wo all diese Sachen meiner Mutter sind, überfallen, sondern auch, wann immer ich ein wenig zur Ruhe komme und nicht von Eindrücken von außerhalb erschlagen werde.

      Doch allmählich wird es besser. Was bleibt einem auch anderes übrig, als die Tatsachen anzuerkennen?

      Manuel hatte noch zwei-dreimal versucht, mit mir über das alles zu sprechen. Er versteht meine Zurückhaltung nicht.

      Für ihn mag das Ganze cool und total interessant sein und seine Fantasie scheint schon Purzelbäume zu schlagen, bei der Vorstellung, was so ein Jeannie alles erfüllen kann. Dabei scheint ihm einfach nur das gedankliche Spiel, was man sich wünschen würde - wenn … schon völlig auszureichen.

      Natürlich unterlag ich auch schon diesem Gedankenspiel.

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