Erfahrung Neu Delhi-Neustrelitz.., Pakistan.., Iran..,Himalaja. Andreas Goeschel
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Doch das ist für die Männer genauso absurd.
Kein Carnet bedeutet, die Maschinen bleiben hier. Sie zeigen uns, was sie meinen, wedeln demonstrativ mit einem Stapel Carets vor unseren Nasen.
No problem, wir dürfen einreisen. Selbstverständlich. Dagegen gibt es nicht das geringste einzuwenden. Doch die Motorräder nicht.
Dabei geht es doch nur um die Motorräder. Und so absurd es für die Zolltypen ist, daß wir ohne Carnets einreisen wollen, so absurd ist für uns der Gedanke die Motorräder hier zu lassen.
Unser freundschaftlicher Bekannter aus Berlin, ein Deutscher, der nicht umsonst Paki genannt wird, denn er hat wohl dreizehn Jahre in diesem Land hier gelebt, hatte uns doch diese einfache Weisheiten mit auf den Weg gegeben.
Recht banale Sprüche waren es, an welche wir uns nun klammerten.
Ihr müßt einfach mehr Zeit haben als die.
So simpel das auch klingt, es ist eine der besten Regeln überhaupt.
Nicht nur für Asien, nicht nur für die Reise oder für Probleme beim Reisen, nein, überhaupt und generell.
Das ist fast eine Ideologie des Erfolges.
Wir befolgten sie ja auch schon eine Weile immer mal.
Doch hier sollten wir diese Prämisse das erste Mal zur Blüte auflaufen lassen.
Wir hatten uns schon lange, lange im Vorfeld vorgenommen so geschickt wie nur möglich alle Register zu ziehen, damit es läuft, so, wie wir es wollten.
Abendfüllende Gespräche hatte es tatsächlich nur über diese Thematik gegeben. Nun war es soweit, das Examen lief.
Erst mal fanden lange Diskussionen mit verschiedenen Leuten statt. Dann mit den Effendis, uniformierte Hauptleute.
Man will uns sogar nach Delhi zurückschicken.
Da protestieren wir lauthals, daß wir nie wieder nach Indien zurückgehen werden und wie froh wir seien, endlich Pakistan erreicht zu haben.
Wir schimpfen lautstark auf die schlechte Luft in Indien und daß wir dort so krank geworden seien. Und wie wir uns nach Pakistan gesehnt hätten. Hier sei es doch tatsächlich ein ganz anderes Niveau.
Das alles kommt bei denen recht gut an. Die beiden Länder können sich ja nicht riechen. Und wir wiederum konnten es augenblicklich riechen, daß wir sicherlich nicht zurück geschickt werden würden.
Immerhin wäre es ja auch eine Blamage für die ersten Posten.
Wer weiß schon was so hinter diesen undurchsichtigen Beduinen - Larven vor sich geht!?
Als mir einer der Typen diskret zublinzelt und zischelnd verkündet, er hilft uns und wir helfen ihm, da wissen wir, es wird weitergehen.
Wir werden schon ins Geschäft kommen.
Immerhin ist erst mal soviel klar, daß wir nicht sofort zurück müssen.
Und wenn wir nicht zurückmüssen, dann müssen wir hierbleiben.
Und da wir nicht ewig hierbleiben können, werden wir irgendwann weiterziehen. Die Zeit spielt für uns, denn die Schichten der Zöllner und Soldaten wechseln ja auch und es ist unwahrscheinlich, daß das Geschäft mit uns anderen überlassen wird.
Der große Chef, der, wie fast alle, recht viel kleiner ist, als wir, schlägt dann die einzige Lösung vor, die er vor seinem pflichtschuldigen Gewissen verantworten will:
Wir sollen in Begleitung eines Zollbeamten zur Bahnstation nach Lahore fahren. Das ist die nächste große Stadt und etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Dort werden dann Fahrscheine für uns und die beiden Maschinen gekauft und dann sollen wir mit der Bahn, zusammen mit den Maschinen, welche unter Zollverschluß stehen, weiter nach Quetta fahren. Für die dortige Zollstation würde er einen Brief schreiben und wir müßten uns da melden, um unsere Fahrzeuge wieder frei zu bekommen.
Heute ist es jedoch für alles zu spät. Wir sind aber seine Gäste und dürfen im Aufenthaltsraum der Zöllner bleiben. Somit dürfen wir hier in der Zollstation übernachten. Wir könnten auch ins Land hinein. Doch die Idee kommt uns gar nicht erst.
Es ist, ja, man muß es so sagen, es ist schön hier. Wunderschön.
Ruhe, Vogelgezwitscher in den riesigen Bäumen, die Luft ist sehr gut und warm, die Männer sind freundlich und witzig, wir können uns frei bewegen.
So lassen wir es alles auf uns zukommen. Es ist 18.00 Uhr pakistanischer Zeit und ich stelle die Uhr um 30 Minuten zurück.
Wie schon erwähnt, weit über 2000 Kilometer Grenze zwischen diesen beiden Staaten und es gibt nur diesen einen Übergang!
Zu allem Überfluß wird der auch noch jeden Tag um halb vier nachmittags geschlossen.
Bis zum nächsten Vormittag halb neun geht dann zwischen diesen beiden Ländern an dieser Stelle nichts mehr. Somit wohl sonst auch nicht.
Wie unter diesen Umständen geschmuggelt wird, ist schwer vorstellbar, denn die Grenze ist ähnlich der ehemaligen innerdeutschen Bastion.
Die haben hier aus der täglichen Schließung einen regelrechten Kult gemacht und zelebrieren das jeden Tag wie eine Art Zirkusvorstellung.
Sogar Tribünen wurden dafür errichtet. Touristen scheinen gern gesehen zu sein, denn als wir filmen, wird nicht etwa gemurrt oder gedroht, wir werden an die dafür besten Plätze geführt. Es wird dafür gesorgt, daß wir Platz genug für unsere Arbeit als Dokumentaristen haben, und bereitwillig wird auch überall Platz gemacht. So kann Lutz gut filmen. Man muß sich vorstellen, daß in dem sonst verödeten Übergangsgelände so etwa Tausend Menschen dem Spektakel zusehen und auch daran teilhaben.
Das Ritual des Flaggeneinholens und die dazugehörige Maskerade wurden sicher von den Engländern übernommen und stammen noch aus der Kolonialzeit.
In dieser Art dürfte es wohl einmalig auf der Welt sein.
Choralartige, hymnische Parolen werden von Hunderten Menschen auf beiden Seiten des Grenzüberganges gerufen. Es ist immer ein Vorrufer und dann dröhnt der Chor der Massen. Auch von der indischen Seite wogen die inbrünstigen, triumphierenden Rufe der Zuschauer.
So etwas ist in unseren Breiten unvorstellbar.
Abendländische Fußballbrüllereien sind möglicherweise mächtiger und lauter aber es ist nicht ein Funke der mentalen Kraft in ihnen, wie sie diese Menschen hier offenbaren. Nicht ein Fünkchen dessen, was diese Leute hier bewegt.
Alles ist in diesem Choral enthalten: Die Liebe zu Gott, eine tiefe Sehnsucht, sie rufen den Schöpfer selbst, sie zeigen ihr Innerstes. Und sie haben etwas in sich, was ihnen diesen Ruf überhaupt erst möglich macht.
Der Ruf eint sie, und das Leben in ihren Köpfen ist plötzlich eine Melodie. Sie sind dabei. Und sie singen diese Melodie, sie sind diese Melodie selbst.
Danach trotten wir mit den zurückflutenden Massen wieder zum Zollgebäude.
Lungern