Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen страница 21
Ich schreibe auch ihm eine SMS.
„Hallo Marcel. Ich kann das alles nicht noch mal ertragen. Lass mir doch einfach etwas Zeit für mich. Mir passiert nichts. Ich melde mich Samstag bei dir. Versprochen.“
Mir ist klar, dass ich bis dahin schon weiß, was ich wirklich will und ich kann mir so ein kleines Fenster offenhalten, falls ich es gar nicht ohne ihn aushalte. Dieses kleine Fenster beruhigt mich ein wenig.
Als nächstes muss ich Eriks SMS-Flut in Angriff nehmen. Mich ihm zu widmen fällt mir am schwersten, weil ich bei ihm Angst habe, dass er mich erneut irgendwie manipuliert. Dabei hatte ich ihm doch gesagt, dass ich ihn diese Woche nicht mehr sehen will. Hätte ich Anrufe und SMSen hinzufügen müssen?
Seine SMSen verwirren mich, aber anders als erwartet. Er schreibt, er weiß, wie sich das anfühlt, wenn man gerade nicht weiß, wo einem der Kopf steht. Er fragt in einer SMS, ob er mich retten soll, wie ich ihn gerettet habe. In einer anderen bietet er mir wieder die Wohnung an. Er bittet mich, mich wenigstens einmal bei ihm zu melden. Er droht sogar einmal, zu Marcel zu fahren. Aber ansonsten lese ich kein böses Wort von ihm. Aber viele nette. Und das nach meinem Abgang am Montag.
Ich bin seltsam davon berührt, denke mir aber, meine Mitteilung an Ellen reicht für ihn. Als ich auch die letzten von ihm lesen will, klingelt mein Handy und ich erschrecke. Es ist mein Vater und ich nehme ab.
„Carolin? Ich rufe wegen morgen an.“
Oh Mann, der Besuch bei Julian.
„Weißt du, deine Mutter wollte es mit der Brechstange versuchen, wie immer. Aber es bringt nichts, wenn du mitfährst. Sie werden dich nicht zu ihm lassen. Er ist Täter und du das Opfer. Da gibt es klare Vorgaben. Ich weiß nicht mal, ob sie einen Brief von ihm an dich gestatten würden. Aber du kennst ja deine Mutter.“
Ich bin wie vor den Kopf gestoßen.
„Also fahrt ihr morgen alleine?“, frage ich verwirrt.
„Ja, außer du möchtest trotzdem mit.“
„Nicht, wenn ich sowieso nicht zu Julian gelassen werde.“
„Nein, das werden sie nicht zulassen. Unser Anwalt sagte das schon. Und den Termin zur Verhandlung haben sie auf den fünfzehnten Oktober verschoben. Heute ist eine Vorladung für dich gekommen. Deine Mutter weiß noch nichts davon. Sie wird heute Abend aus allen Wolken fallen.“
„Eine Vorladung?“, frage ich entsetzt.
„Ja, was das noch genau für dich heißt, werden wir mit dem Anwalt noch klären.“
Marcel hatte mich gewarnt und doch trifft es mich siedend heiß. Ich bitte meinen Vater darum, dass er sich noch einmal meldet, wenn er Genaueres erfährt und wir verabschieden uns.
Ich brauche zwar nicht zu Julian, aber die Vorladung beunruhigt mich. Aber es gibt zumindest einen Aufschub von vier Wochen. Ob Marcel und Tim auch eine Vorladung bekommen haben?
Auf einmal möchte ich wieder bei Marcel unterkriechen und mich bei ihm verstecken.
Doch dann schüttele ich den Kopf. Nein, ich werde ihm auf keinen Fall hinterherkriechen.
Ich hole mir ein Alster aus dem Kühlschrank und setze mich vor meinen Laptop. Im Internet forste ich nach neuer Musik und finde Blueneck mit dem Lied Lilitu und das Video dazu. Mich zurücksetzend, starre ich auf den Bildschirm und lasse die Musik über mich hinwegrieseln, in die Gedanken verstrickt, die dieses Video aufleben lässt.
Erik und seine Welt …
Als das Lied zu Ende ist, höre ich mir noch einige andere Lieder von Blueneck an und finde die Musik wieder, die Erik an dem Nachmittag laufen hatte, an dem er mich zu sich ließ, während allen anderen der Eingang verwehrt blieb.
Ich lasse die Musik weiterspielen und beginne das Bett neu zu beziehen, die Waschmaschine zu befüllen, Staub zu putzen, das Badezimmer zu schruppen und die Fußböden zu wischen. Ich muss einfach etwas tun - und mir mein eigenes Reich herzurichten beruhigt mich. Das hier ist meine Zufluchtsstätte für die nächste Zeit. Eine Zufluchtsstätte, die keiner kennt.
Es ist erst neun, als ich ins Bett krieche. Ich kann aber nicht einschlafen und fühle mich einsam. Abermals kommen mir Bedenken, ob ich das Richtige getan habe und nehme mir mein Handy vor. Ich will noch einmal die SMSen lesen.
Wie unter Zwang öffne ich nicht die von Marcel, sondern die von Erik.
„Carolin, dich nicht erreichen zu können macht uns ganz fertig. Aber ich weiß wie es sich anfühlt, wenn man den Boden unter den Füßen verliert, wenn man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht oder wie es weitergehen kann und man sich nur noch verkriechen will. Ich kenne das Gefühl. Wenn du uns brauchst, dann melde dich bei uns. Erik.“
Mir steigen Tränen in die Augen und ich öffne die nächste, in der er mich bittet, mich retten zu dürfen.
Ich putze mir die Tränen von der Wange und öffne die letzte, die ich am Nachmittag noch gelesen hatte, bevor mein Vater mich anrief.
„Ich habe eine Wohnung für dich, in die du einziehen kannst. Sie kostet dich nichts und ich werde dich auch in Ruhe lassen. Bitte sag mir nur wo du bist und ich sage Daniel, er soll dich holen. Bitte!“
Erik klingt verzweifelt und würde mich sogar in Ruhe lassen, nur damit ich wieder in ihre Obhut komme.
Jetzt tut mir leid, dass ich ihm am Nachmittag nicht geschrieben habe. Aber da hatte ich diese SMSen von ihm weniger emotional gesehen.
Ich öffne die SMSen, die ich noch nicht gelesen habe.
„Was machst du bloß? Wo bist du hin? Wir sind alle wirklich besorgt. Aber ich verstehe, wenn du dich ausklingst, um deinen Weg zu finden. Ich musste das auch schon oft, aber es gelang mir nicht immer. Wenn du einen Wegbereiter brauchst, bin ich da.“
Ich schüttele nur den Kopf. Das ist doch nicht der Erik, wie ihn alle kennen …, der Erik, der jemanden krankenhausreif schlug und als Drogendealer mit den wildesten Typen der Stadt zu tun hat.
Ich verdränge das Gefühl, das mir durch die Adern schleicht und die Sehnsucht nach ihm. Es wird keinen Erik mehr in meinem Leben geben, keinen Marcel und keinen Tim. Ich muss allein klarkommen.
Die letzte SMS muss er heute Morgen geschrieben haben.
„Ich habe keine gute Nacht gehabt. Wenn man eine Freundschaft eingeht, sollte man bedenken, dass man jemanden in sein Leben lässt, der Freud und Leid mit einem teilen will und sich sorgt. Du hast mich in dein Leben gelassen. Vergiss das nicht.“
Ich mache das Handy aus und ziehe mir den Bezug der Decke bis zu den Augen, um meine Tränen abwischen zu können, die sich schon wieder über meine Wangen stehlen. Eriks SMSen machen mich fertig.
Ich rolle mich zusammen und weine mich in den Schlaf.
Irgendwann