Lipstick Traces. Greil Marcus

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Lipstick Traces - Greil Marcus

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und Passivität«, die Ausweitung »der psychischen Verhältnisse des Fabrikarbeiters im neunzehnten Jahrhundert« auf die gesamte Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts. »Davon demoralisiert, dass sie sich selbst fremd sind und ihre Beziehungen zu anderen kaum kontrollieren«, schrieb Rosenberg, »ergeben sich Angehörige jeder Klasse künstlich konstruierten Massen-Egos, die versprechen, ihre Verbindungen zu Vergangenheit und Zukunft wiederherzustellen.« Warner Communications sah 1977 die Lage nicht ganz so schwarz:

      Nachdem er der Technik erlaubte, das Problem zu schaffen, hat sich der Mensch nun daran gemacht, es mit Hilfe der Technik zu bereinigen. Seit der exponentiell gesteigerten Verfügbarkeit aller Formen von Kommunikation mussten die »Unterhaltungs«-Medien dazu herhalten, dem einzelnen Erfahrungsmodelle, Gelegenheiten zur Selbsterkenntnis sowie Elemente der Identität zu liefern … Die Übermittlung von Informationen – in vielen unterschiedlichen Geschwindigkeiten, für viele unterschiedliche Menschen – ist das Geschäft von Warner Communications. Und das phänomenale Wachstum unserer Firma wie auch anderer führender Betriebe der Branche spiegelt eine in der Geschichte noch nie dagewesene Ehe zwischen Kultur und Technik wider und eine damit im Einklang stehende Revolution im menschlichen Sinne des Ichs.

       DIE WELT

      florierte, obwohl die Jordan Motor Company verschwand, Hersteller des Jordan Playboy, des aufregendsten amerikanischen Automobils der zwanziger Jahre; vermutlich würde die Welt auch ohne fünfzehntausend Platten aufnehmende Doo-Wop-Gruppen über die Runden kommen. In dem riesigen, hierarchisch durchorganisierten Markt schossen die Verkaufszahlen von Schallplatten in die Höhe, auch wenn die boomende Wirtschaft der sechziger Jahre einer irrationalen, schrumpfenden Wirtschaft Platz machte, die sich über traditionelle Werte hinwegsetzte, ob es die Werte des Schwer-Arbeiten-und-Geld-Sparens aus der Vor-Rock-Ära waren oder die bereits traditionellen Sechziger-Jahre-Werte: nicht arbeiten und bloß nichts auslassen. Die Seuche erreichte Großbritannien vor den USA, die sich ein paar Jahre Zeit zum Aufholen ließen. Margaret Drabbles Roman The Ice Age (Die Eiszeit) über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch Englands steckte voller Protagonisten, die die Wirtschaftskrise als Befreiung von Angst begrüßten, und erschien nicht zufällig zur gleichen Zeit wie die Sex Pistols. Beide wollten einen Ansatz für eine Welt, in der die Gesellschaft ihre Versprechen nicht mehr hielt, und wer glaubte, sie würden eingelöst, machte sich rasch zum Narren.

      Rechnungen für Krieg oder gesellschaftliche Planungen wurden fällig. Araber mit Öl sprangen auf einmal mit dem Westen so um, wie Westler mit Waffen früher mit Arabern umgesprungen waren, die Arbeitslosigkeit stieg, die Inflation schnellte in die Höhe, das Kapital versiegte. Die in den fünfziger Jahren versprochene Welt (»Was wollen Sie?« stand 1957 in einer britischen Anzeige. »Bessere und preiswertere Lebensmittel? Haufenweise neue Kleider? Ein Traumhaus mit modernstem Komfort und arbeitssparenden Geräten? Ein neues Auto … ein Motorboot … ein eigenes Sportflugzeug? Was auch immer Sie wollen, es kommt auf Sie zu, außerdem mehr Freizeit, um das alles genießen zu können. Mit Elektronik, Automatisierung und Kernenergie treten wir in die neue industrielle Revolution ein, die all unsere Bedürfnisse befriedigen wird … schnell … billig … im Überfluss«), in den sechziger Jahren eine offenbar vor der Tür stehende Welt, wirkte 1975 nur noch wie ein übler Scherz. Weniger auf konkretem Leid als auf enttäuschten Erwartungen beruhend, setzte Panik ein; und Rachsucht. Drabble schrieb:

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      Die Penguins, eine der 15.000 schwarzen Vokalgruppen, die in den fünfziger Jahren Platten aufnahmen

      Überall im Land sahen Familien, die sich die Nachrichten angehört hatten, einander an und sagten: »Du liebe Gü te«, oder »Schöne Bescherung«, oder »Ich geb’s auf«, oder »Na, scheiß drauf«, bevor sie sich für den Abend dem Farbfernseher widmeten, oder einem ausgiebigen Essen, oder einem Ausflug in die Kneipe oder einem Abend des Gesangvereins. Überall im Land machten Menschen andere Menschen für das verantwortlich, was schiefging … die Gewerkschaften, die jetzige Regierung, die Bergarbeiter, die Automobilarbeiter, die Seeleute, die Araber, die Iren, ihre Ehemänner, ihre Ehefrauen, ihren eigenen faulen nutzlosen Nachwuchs, die Gesamtschulpädagogik. Niemand wusste, wer wirklich schuld war, doch den meisten gelang es, sich ziemlich heftig über irgendwen zu beklagen; nur wenige versanken vor Fassungslosigkeit in redliches Schweigen. Die seit zwanzig Jahren über die minimale Erhöhung der Lebenshaltungskosten gemeckert hatten, besaßen natürlich nicht die Würde, zu wünschen, sie hätten noch genug Puste, um in den heißen Brei zu pusten, denn ein Meckerer ist und bleibt nun mal ein Meckerer, und denen, die am meisten gemeckert hatten, als es nichts zu meckern gab, ging es jetzt ganz großartig.

       MAINSTREAM ROCK ’N’ ROLL,

      inzwischen (1975) von der weißen Mittelklasse dominiert, spielte unverdrossen zu Rhythmen, die fast vollständig deckungsgleich waren. »Abenteuer« und »Risiko« waren Parolen, schließlich leere Phrasen der sechziger Jahre geworden, eine Zeit, die selbst zur Phrase geworden war, »die Sixties«. Jetzt schmiedete man aus den mit den Kämpfen und Experimenten jener Zeit verbundenen Toten, Zusammenbrüchen und Ausgebrannten die scheinheilige Parole der siebziger Jahre: »Überleben«.

      So seltsam das Wort auch klingt, wenn es um die Chancen relativ junger weißer Bürgerkinder geht – denn fast ausschließlich auf solche wurde das Wort angewandt –, es stellte sich doch heraus, dass man ihm unmöglich widerstehen konnte. Dank des Zaubers der gewöhnlichen Sprache tilgten »Überleben« und sein Zwilling »Überlebender« die Sixties als Fehler aus dem Geschichtsbuch und verwandelten jeden in den siebziger Jahren erfolgten Akt von privater oder beruflicher Stabilität (eine Arbeit behalten, verheiratet bleiben, nicht in eine Nervenklinik eingewiesen werden oder einfach nicht sterben) in Heldentum. Zunächst als Anspielung auf jene »Überlebenden« der »Sixties« missbraucht, die sich mittlerweile im »wirklichen Leben« befanden, enthielt das Wort eine unerbittliche Gleichung: Überleben war das wirkliche Leben.

      Nicht lange, und jeder, dessen materielle oder physische Existenz eindeutig nicht gefährdet war, konnte den Titel eines Überlebenden in Anspruch nehmen, und Überlebender genannt zu werden bedeutete höchstes Lob. Die Idee griff um sich. Andeutungsweise schlichen sich Aggressionen ein: Anzeigen für eine neue Kofferserie, »The Survivor« genannt, ließen keinen Zweifel daran, dass es um das Überleben des Stärksten ging – im Dschungel der neuen Ökonomie war alles andere unwichtig. Die Idee eroberte die Ontologie, und sie überrannte die Moral. »Garp ist ein Überlebender«, schrieb ein Fan von John Irvings Roman Garp und wie er die Welt sah, wohl wissend, dass Irvings Held mit dreiunddreißig erschossen wird. Das war der definitive Sieg der Idee über das Wort: der tote Überlebende.

      Diese Ansicht, die Bruno Bettelheim 1976 einen »völlig sinnentleerten Überlebensbegriff« nannte, laut der »Überleben alles ist, ganz egal wie, warum, wofür«, schlich sich in jeden Diskurs ein. Bettelheim schrieb über die neue philosophische Glorifizierung von »Überleben« im Gegensatz zu dem – sei es auch nur in der Phantasie stattfindenden – Widerstand in den Vernichtungslagern der Nazis; folge man Argumenten, wie sie in Lina Wertmüllers Film Sieben Schönheiten und Terrence Des Pres’ Lagerstudie The Survivor (Der Überlebende) vertreten würden, bemerkte er, sei »nur eins … wirklich wichtig, nämlich Leben in seiner primitivsten, lediglich biologischen Form … wir müssen ›jenseits der kulturellen Zwänge leben‹ und ›gemäß den primitiven Ansprüchen des Körpers‹.« Mit anderen Worten, man musste gemäß der Diktatur der Notwendigkeit leben, nicht jenseits der Kultur, sondern diesseits, und, wie Hannah Arendt einmal schrieb, die Diktate des Körpers waren der Freiheit abträglich: Wenn das Überleben Vorrang hatte, »musste die Freiheit der Dringlichkeit des eigentlichen Lebensprozesses geopfert werden«. 1952 erzählte Albert Camus in Der Mensch in der Revolte eine andere Geschichte …

      In seinem »Sibirischen Tagebuch«

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