Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen. Lisa Lamp

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Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen - Lisa Lamp

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war, aber seltsamerweise gefiel es mir und ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Bäume sammelten sich vor mir und versperrten mir den Weg. Die Äste zerkratzten meine Unterarme, mit denen ich mein Gesicht zu schützen versuchte, und ich blieb mit dem knielangen Kleid an den Sträuchern des Waldes hängen. Es war so eng, dass ich das Gefühl hatte, ersticken zu müssen.

       Wieder miaute eine Katze und ich fiel vor Schreck auf die feuchte Erde. Genervt stöhnte ich auf, als ich versuchte aufzustehen, da ich auf dem nassen Boden ausrutschte. Blätter klebten auf meinen geröteten Handflächen und meine nackten Beine lagen mitten im Matsch. Es schüttelte mich vor Ekel und ich sprang schnell auf. Ich lief weiter über den Waldboden, bis das Dickicht sich auflöste und eine kleine Lichtung sich vor mir erstreckte. Der Weg war mit weißen Blumen, die mich an die Schneeglöckchen im Garten meiner Großmutter erinnerten, von der Wiese abgegrenzt. Um den Platz versammelten sich die Tiere. Eine einsame schwarze Katze saß auf einem gigantischen Steinbrunnen, aus dem klares Wasser floss, das in den Farben des Regenbogens schimmerte. Doch das alles war mir einerlei. Es wirkte unbedeutend neben der eineinhalb Meter großen Frau, die vor dem Brunnen stand.

       Sie wirkte zierlich und gleichzeitig machtvoll. Ihr silbernes Haar hing über ihre Schulter. Auf ihrem Haupt war eine Krone aus Blättern, die perfekt zu ihrem bodenlangen Kleid in sattem Grün passte. Sie war in meinen Augen wunderschön, doch je näher ich ihr kam, dest mehr ängstigte sie mich. Mitten in ihrem Gesicht befand sich eine gezackte Narbe und auf ihrer Stirn prangte das rote Brandmal der Auserwählten, ein dreizehnzackiger Stern. In ihrer durchsichtigen Iris spiegelte sich der Mond und ein tiefes Lächeln zierte ihre Lippen.

       »Willkommen zurück Read.«

       »Zurück?«, murmelte ich fragend.

       Wenn ich schon einmal an einem Ort wie diesen gewesen wäre, könnte ich mich daran erinnern. Ich zuckte zusammen und sah mich verwirrt in der Gegend um. Ich atmete tief durch und versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen.

       »Alles ist gut, hab keine Angst«, hörte ich die geflüsterte Stimme wieder.

       Doch es war niemand, der geredet haben könnte, da. Die Lippen der Frau hatten sich keinen Millimeter bewegt. Es ist nur ein Traum. Nichts von alledem ist echt, versuchte ich mir einzureden.

       »Es ist zwar ein Traum, doch es ist trotzdem real«, meinte die Stimme geheimnisvoll.

       Ich schnaubte unzufrieden. Die Frau musterte mich und das Lächeln verschwand. Sie begann mit ihrer rechten Hand die schwarze Katze hinter ihr zu streicheln und setzte sich auf den Rand des Brunnens. Ein Zipfel ihres Kleides hing ins Wasser, doch die Frau schien sich nicht daran zu stören.

       »Setz dich zu mir«, hörte ich die helle Stimme wieder in meinem Kopf, aber ich dachte nicht einmal daran, mich von der Stelle zu bewegen. Ich verstand nicht, warum ich hier war und was sie von mir wollte. Verdammt, ich wusste noch nicht einmal, wo »hier« genau war.

       »Du wirst in Zukunft lernen müssen, dass vieles, was dir unverständlich scheint, doch klarer ist, als du zu Anfang dachtest. Aber ich bin nicht hier um dir das mitzuteilen, Read.«

       Ich wartete, dass die Dame ihre Worte erklären würde, doch sie ließ den Satz einfach offen. Auch erklärte sie nicht, woher sie verdammt nochmal meinen Namen kannte. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob ich sie von früher kannte, doch ich hätte schwören können, diese Frau noch nie gesehen zu haben.

       »Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich. Ich war dabei, als du laufen und essen gelernt hast. Auch war ich anwesend, als du ängstlich an deinem ersten Schultag in deine Klasse gewandert bist. Selbst als du dein erstes Zeugnis bekommen hast, war ich bei dir. Du jedoch kennst mich nicht. Wer ich bin ist auch nicht wichtig. Viel wichtiger ist, wer du bist.«

       Am liebsten hätte ich mir mit der Hand auf die Stirn geschlagen. Ich wusste, wer ich war. Ich war Read Silverton, 18 Jahre alt und Schülerin der Santa Guerra Hochschule.

       Doch noch während ich nachdachte, merkte ich, dass es nicht mehr stimmte. Ich war nicht mehr die Tochter meiner Mutter, die Schulfreundin von Emma oder Schülerin an einer der besten Schulen dieses Landes. Ich war eine Ausreißerin auf der Flucht, ohne gute Perspektiven für die Zukunft.

       »Warum sind sie hier? Was wollen Sie von mir?«, schrie ich der Frau entgegen, die einfach ruhig mit der Katze auf dem Schoß am Brunnen saß und wieder begann mich anzulächeln.

       »Mein Name ist Diana. Zumindest nannte mich die Menschheit früher so. Ich bin hier, um dich zu erinnern, dass du in die falsche Richtung läufst.«

       Zum ersten Mal bewegte die Dame ihre Lippen, wodurch ihre Stimme noch wärmer klang. In ihren Augen glitzerte etwas Wissendes und auf einmal wirkte sie wahnsinnig alt auf mich, auch wenn sie höchstens dreißig Jahre alt sein konnte.

       »Der schwarze Wald befindet sich in der anderen Richtung.« Das Lächeln auf meinem Gesicht verschwand. Der schwarze Wald, der Ort für all die Unglückseligen, die von den Choosern, den Dienern des Bösen, auserwählt worden sind. Zugegeben, diese Erklärung stammte von Mama, aber es würde schon etwas Wahres dran sein.

       »Was soll ich dort?«, fragte ich aufgebracht.

       Ich war aufgewühlt und spürte innerlich große Wut in mir. Wut auf die Chooserin, die mich in diese Lage gebracht hatte. Wut auf mich, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte und Wut auf Diana, die nur in unverständlichen Rätseln sprach.

       »Dein Schicksal erfüllen«, erwiderte die Frau und verzog ihr Gesicht mitleidig.

       »Nein, danke für das Angebot«, gab ich ohne nachzudenken von mir und setzte ein gespieltes Grinsen auf.

       Ich wollte bloß nicht zeigen, dass meine Beine vor Angst zitterten, deshalb hob ich zusätzlich das Kinn und erwiderte den starren Blick der Göttin. Mein Gegenüber schüttelte traurig den Kopf.

       »Dir wird aber nichts anderes übrigbleiben. Fatum viam invenit.«

      Sie betonte jedes Wort und ich wollte sie nur anschreien, denn nach all den Jahren wusste ich endlich, ohne eine Antwort darauf bekommen zu haben, was diese beschissene Phrase bedeutete. Das Schicksal findet seinen Weg. In diesem Moment hasste ich diesen Satz und alles, wofür er stand. Ich hätte schreien können vor Hass, doch ich schrie nicht. Ich tat gar nichts. Dabei wollte ich nichts lieber als ihr verständlich zu machen, dass ich ein normaler Mensch war. Ich blieb einfach nur wie erstarrt stehen, als sie aufstand und auf mich zukam.

       »Du schaffst das. Dafür wurdest du geboren, Tochter der

       Nacht. Dein gesamtes Leben wird sich ändern.«

       Mein Leben war kein Zuckerschlecken gewesen, doch Veränderungen bedeuteten nie etwas Gutes. Die Frau sah die zwanzig Zentimeter zu mir auf, bevor sie ihre Hand ausstreckte und mein Schlüsselbein entlangfuhr. Meine Lippen bebten und mein Herz schlug gegen meine Brust. Mein Atem ging stoßweise. Fest biss ich die Zähne zusammen und unterdrückte den Drang, ihre Hand wegzuschlagen.

       »Vergiss nicht, du bist nicht allein. Du wirst nie wieder allein sein.«

      

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