Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen. Lisa Lamp
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Ich war erschöpft von der Anstrengung. Der Blutverlust durch die vielen Wunden machte mir zu schaffen. Als ich eine kleine Eisenbank gefunden hatte, setze sich gerade jemand auf die Sitzfläche und erwiderte meinen Blick. Ich blieb angesäuert stehen und wollte mich bereits nach einer anderen Sitzgelegenheit umsehen, als ich die Gestalt genauer begutachtete. Sie war klein und hatte langes, blondes Haar. Ein schwarzes enges Kleid zierte ihren Körper und ihre Haare waren im Nacken zusammengebunden. Wie ein Blitz traf es mich, als ich ihr Lächeln wiedererkannte. Ich hatte sie schon einmal gesehen. Erst vor wenigen Stunden war ich ihr das erste Mal begegnet. Sie grinste, doch ihre Augen wirkten traurig. Nur wenige Meter entfernt saß das Wesen und streckte mir seine Hand entgegen.
»Komm!«
Das war alles, was es zu mir sagte.
»Wohin?«, fragte ich, um wenigstens irgendetwas zu sagen.
Schon wieder liefen mir salzige Tränen übers Gesicht. Für meinen Geschmack hatte ich in den letzten Stunden zu viel geweint. So oft heulte ich normalerweise nicht einmal in einem ganzen Jahr.
Mit den blutigen Schnitten auf den Armen, meinem verletzten Bein, das durch den Sprint wieder angeschwollen war, und dem verquollenen Gesicht, musste ich für sie aussehen wie das Opfer eines Verkehrsunfalls. Als sie nach Minuten, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, immer noch nicht geantwortet hatte, versuchte ich eine Reaktion von ihr zu erzwingen.
»Verschwinde! Lass mich in Ruhe! Ich bin keine von Euch merkwürdigen Wesen. Halt dich gefälligst von mir fern«, brüllte ich und wollte mich zum Gehen abwenden.
»Hexen! Du bist kein sonderbares Wesen, sondern eines der mächtigsten Geschöpfe dieser Welt. Du bist eine Hexe«, sagte sie.
Geschockt riss ich die Augen auf, bevor ich lauthals anfing zu lachen. Natürlich, ich war eine Hexe, was auch sonst? Das war einfach lächerlich!
Mit einer fließenden Bewegung erhob sich das Mädchen von der Bank, während ihr Blick an mir hoch und runter wanderte. Sie kam direkt auf mich zu und ich hatte keine Möglichkeit, ihr auszuweichen, da sich hinter mir nur die Bahngleise befanden. In der Mitte des Bahnsteigs blieb sie jedoch abrupt stehen, worüber ich mehr als froh war. Ich wusste, dass mein Verhalten kindisch war, aber ich wollte unter allen Umständen verhindern, dass sie mich berührte. »Du kannst weiterhin hier stehen und mich angaffen, aber es wird nicht ändern, was du bist. Auch deine Flucht wird dich nicht vor deinem Schicksal retten können. Entweder du kommst jetzt mit mir mit, oder du wartest noch länger und bringst auf deinem Weg unschuldige Menschen durch deine Unwissenheit um«, zischte sie erzürnt.
Vor meinem inneren Auge sah ich das Mädchen mit der Porzellanpuppe aus meinem Tagtraum und ich stellte mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn ich für ihren Tod verantwortlich wäre. Ich schniefte leise und meine Knie begannen bei der Vorstellung, wie das Feuer aus meinen Händen ein Haus in Brand setzte und die Haut von einem kleinen Mädchen Blasen warf, zu zittern. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich schüttelte panisch den Kopf, um die Bilder von schreienden Kindern loszuwerden. Eine kühle Hand, die mein Handgelenk umklammerte, zog mich aus meiner Trance.
»Es gibt eine andere Möglichkeit«, flüsterte die Chooserin und plötzlich war es mir egal, ob wir Hautkontakt hatten, solange sie mir helfen würde die Horrorszenarien zu verhindern.
Lieber würde ich eine gewisse Zeitspanne mit Verrückten verbringen, als Unschuldigen Leid zuzufügen. Mit etwas Glück würden diese Freaks in ein paar Tagen bemerken, dass sie bei mir einen Fehler gemacht hatten und mich gehen lassen. Ich schluckte schwer, bevor ich zögerlich nickte. Die Umgebung um mich begann sich zu drehen und ich spürte, wie die Müdigkeit von mir Besitz ergriff. Ein dumpfes Gefühl breitete sich in meinem Kopf aus und ein stechender Schmerz ließ mich zusammenzucken, als mein verletztes Bein unter mir wegbrach. Kurz bevor alles um mich schwarz wurde, konnte ich nur noch das mürrische Miauen der Katze hören und sehen, wie das Lächeln der Chooserin verschwand. Sie würde auch lange nichts mehr zu lächeln haben, nicht wahr? Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es nur der Anfang allen Übels sein würde und ich ihr am Ende mehr verdanken würde als jedem anderen. Selbst wenn sie mich zum schwarzen Wald bringen und mein Leben für immer verändern würde.
Alles Liebe, Deine Read
Die Nacht beginnt
Liebe Marie Estelle Lauro!
Das erste Mal, als ich im Hexeninternat aufwachte, glaubte ich in einem schlechten Horrorfilm gefangen zu sein. An den Wänden hingen alte Bilder, die großteils verstaubt waren. Die Fenster waren durch dunkelrote Vorhänge verhüllt und auf dem Tisch, in der Mitte des Raums, stand ein Kerzenleuchter, an dem drei Kerzen heruntergebrannt waren. Überall hingen Spinnennetze und die stickige Luft machte das Atmen kaum möglich. Mein Hals war ausgetrocknet und schrie nach Wasser, doch augenscheinlich gab es neben fehlendem Strom auch keine Wasserleitungen. Alles erschien mir alt, verdreckt und kurz vor dem Zusammenbrechen zu sein. Kurz dachte ich daran, was Emma wohl sagen würde, wenn sie hier wäre. Wahrscheinlich würde sie Witze über klischeehafte Hexen reißen und fragen, wo die Besen, auf denen sie durchs Wunderland reiten können, waren.
Meine Glieder brannten schmerzhaft und es war unerträglich heiß in dem Zimmer, das dem Geruch nach nie gelüftet wurde. Ich lag auf einer weißen Matratze, die mit Flecken übersät war. In meiner Position wollte ich lieber erst gar nicht darüber nachdenken, woher die Überreste stammten. Ein wenig erinnerte mich die Schlafunterlage an meine Matratze zuhause. Auch die war mit der Zeit, trotz Spannleintuch, fleckig geworden,
weil die Wunden an meinem Rücken nicht gänzlich geschlossen waren, als ich mich auf den Schaumstoff legte.
Außer mir war der Raum leer und es herrschte eine unheilvolle Stille, weshalb ich aufsprang, um die Gegend zu erkunden. Jedoch legte ich mich sofort wieder unter die Decke, da ich splitterfasernackt war und mein Rucksack sich auch nicht in diesem Raum, der an Draculas Höhle erinnerte, befand. Plötzlich hörte ich ein Knarren und schloss schnell meine Augen, weil ich noch nicht bereit war, mich mit einem der Verrückten auseinanderzusetzen.
Während ich mich schlafend stellte, öffnete sich eine der schwarzbraunen Türen, die mit goldenen Verzierungen umrandet waren.
»Und was willst du tun, wenn sie aufwacht? Du hast sie quasi gekidnappt«, sagte eine weibliche Stimme aufgeregt.
»Früher oder später hätten ihre Kräfte sie umgebracht. Was ist, wenn sie zu lang gebraucht hätte, um hierher zu kommen oder sich unbeabsichtigt selbst in die Luft gejagt hätte? Du hast das Feuer, das sie im Zug gelegt hat, nicht gesehen. Es war riesig und hat sich rasend schnell ausgebreitet. Außerdem hat sie zugestimmt, mir zu folgen, bevor sie das Bewusstsein verloren hat. Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie den Blutverlust nicht verkraften würde«, erwiderte eine andere Stimme und ich hätte schwören können, dass ich die Stimme kannte.
»Hoffentlich kooperiert sie auch jetzt, obwohl sie nicht freiwillig hierhergekommen ist. Wir brauchen sie noch«, flüsterte die erste Frau geheimnisvoll.
Ich spitzte meine Ohren. Obwohl ich die beiden Sprecherinnen zu gern gesehen hätte, traute ich mich nicht, die Augen einen Spalt zu öffnen, da sie vermutlich ihre Unterhaltung beenden würden, wenn ich wach wäre.
»Kümmere dich um sie und