Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
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II. Rechtliche Pflichten der Geschäftsleitung geschädigter Unternehmen
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Trotz der Möglichkeit, eine signifikante Kompensationszahlung von Kartellanten zu erhalten, wird nicht jedes betroffene Unternehmen zwingend einen Schadensersatz geltend machen wollen. Insbesondere im Falle langjähriger vertrauensvoller Geschäftsbeziehungen können Hemmnisse bestehen. Der Entscheidungsprozess innerhalb der Geschäftsleitung geschädigter Unternehmen unterliegt hierbei Begrenzungen, die sich auch zu einer Pflicht hinsichtlich des „Ob“ einer Schadensersatzgeltendmachung verdichten können.38
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Zunächst ergeben sich aus dem deutschen und europäischen Kartellrecht selbst keine Pflichten der Geschäftsleitung eines Unternehmens, Schadensersatzansprüche gegen Kartellanten durchzusetzen. Das sog. „Private Enforcement“ wird zwar im europäischen Kartellrecht immer mehr zum zweiten Standbein der Abschreckung neuer Kartellverstöße und auch in den USA sind Schadensersatzforderungen im Wege von „Class Actions“ ein maßgeblicher Faktor der Durchsetzung des Kartellrechts. Eine Rechtsverpflichtung der betroffenen Unternehmen und mithin der jeweiligen Unternehmensleitungen, einen Schadensausgleich tatsächlich zu fordern, ergibt sich hieraus allerdings nicht. Gesetzgeber und Wettbewerbsbehörden setzen lediglich gewisse Anreize. Entweder durch bloßen Hinweis auf die Möglichkeit der Schadensersatzdurchsetzung39 oder durch gesetzgeberische Maßnahmen.40 Eine rechtliche Pflicht für die Geschäftsleitung betroffener Unternehmen zur Geltendmachung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche kann sich aber aus anderen Gründen ergeben. Namentlich sind dies vor allem die allgemeinen Handlungspflichten der Unternehmensleitung, also z.B. die Sorgfaltspflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.41
1. Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitung
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Aus den allgemeinen Handlungspflichten wird sich für geschädigte Unternehmen regelmäßig kein unmittelbarer Zwang zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ergeben. Die Unternehmensleitung kann aber auch nicht ohne jegliche Prüfung auf Ansprüche der Gesellschaft verzichten oder diese verjähren lassen.42 Die Sorgfaltspflichten fordern daher gewisse Maßnahmen von der Geschäftsleitung, die vornehmlich an den Interessen der Gesellschaft auszurichten sind. Ein gewissenhaftes Vorgehen liegt aber auch im eigenen Interesse der Mitglieder der Unternehmensleitung, denn werden die Sorgfaltspflichten durch ein pflichtwidriges Tun oder Unterlassen verletzt, ist die Unternehmensleitung der Gesellschaft (und in besonderen Fällen auch Dritten) zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet.43
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Die genaue Ausgestaltung dieser Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Geltendmachung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen oder die Einschätzung eines Schadensersatzrisikos lässt sich vor allem aus der gesetzlichen Normierung der sog. „Business Judgment Rule“ in § 93 AktG herleiten. Die Business Judgment Rule gilt hierbei nicht nur bei Aktiengesellschaften, sondern kann für die Geschäftsleitung in allen Unternehmensformen als Maßstab dienen.44
2. Business Judgment Rule
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Die Unternehmensleitung muss die Frage der Geltendmachung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen anhand dessen entscheiden, inwieweit dies dem Wohl des Unternehmens entspricht. Hierbei steht den Mitgliedern der Unternehmensleitung ein Ermessensspielraum im Rahmen eines informierten Abwägungsprozesses zu.45
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§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG führt hierzu aus:
„Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ (Hervorhebungen durch Verfasser)
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Sowohl der Entscheidung, etwaige Ansprüche geltend zu machen, als auch der Entscheidung, von einer Anspruchsstellung abzusehen, muss die Geschäftsleitung geschädigter Unternehmen eine ausreichende Informationsbasis zugrunde legen; und die einzelnen Unternehmensinteressen sorgfältig abwägen.46
3. Strengerer Maßstab bei staatsnahen Unternehmen
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Staatsnahe bzw. staatlich kontrollierte Unternehmen (aber auch staatliche Institutionen) müssen neben der Business Judgment Rule gegebenenfalls weitere Verpflichtungen beachten. Denn die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit bzw. die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten innerhalb öffentlich-rechtlicher Unternehmen führen mitunter zu engeren Grenzen bzw. zu strengeren Maßstäben bei der Abwägungsentscheidung, ob ein Schadensausgleich geltend gemacht wird.47 Hingegen gibt es im Zusammenhang mit kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen von Geschäftspartnern selbst bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen keine gesteigerte Legalitätspflicht, die unterschiedslos eine Geltendmachung von Schäden oder den Abbruch der Geschäftsbeziehungen erfordern würde. Einschränkungen ergeben sich allenfalls in Bezug auf Ausschreibungen und den Ausschluss von Kartellanten für derartige Vergabeverfahren.48
4. Informierte Abwägungsentscheidung maßgeblich
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Jede Unternehmensleitung muss also eine informierte, vornehmlich am Unternehmenswohl orientierte Abwägungsentscheidung treffen, die im Falle staatsnaher bzw. staatlich kontrollierter Unternehmen durch engere gesetzliche Vorgaben eingeschränkt sein kann.
a) Angemessene Informationsbasis
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Als Basis der unternehmerischen Ermessensentscheidung ist zunächst die Schaffung einer ausreichenden Tatsachengrundlage erforderlich.49 Diese dient dazu, der Unternehmensleitung eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, die neben den verfügbaren Informationen (rechtliche und tatsächliche Rahmeninformationen)50 auch die Geschäftsbeziehungen, strategische Erwägungen und unternehmensindividuelle monetäre Aspekte berücksichtigt. Letzteres begrenzt in jedem Einzelfall auch die Detailtiefe der Informationsbeschaffung und -aufbereitung, da insoweit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen für das jeweilige Unternehmen zu suchen ist.51 Die Informationsbasis für die Abwägungsentscheidung muss dementsprechend auch nicht zwingend umfassend ausgestaltet sein.52 Gerade vor dem Hintergrund einer effizienten Informationsbeschaffung, die sich an den Möglichkeiten des jeweiligen Unternehmens orientiert, sind die mit einer effektiven Rechtsverfolgung verbundenen substanziellen Kosten – sowohl interner Aufwand für die Informationsbeschaffung und -sicherung, entsprechende Aufwendungen für die Koordinierung, Managementressourcen, als auch Kosten für externe (ökonomische und rechtliche) Beratung – frühzeitig zu berücksichtigen. Im Wege einer antizipierten Ausübung der Business Judgment Rule kann so schon im ersten Schritt zum Wohle des jeweiligen Unternehmens der Aufwand z.B. auf diejenigen Jurisdiktionen konzentriert werden, in denen die Unternehmensleitung aufgrund der bestehenden Geschäftsbeziehungen eine besondere Exposition erkennt.
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