Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD). Christian Warns
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Den Ausgangspunkt für die Herleitung der staatlichen Schutzverpflichtung bildet die Überlegung, dass die durch die grundrechtliche Verbürgung der Berufsfreiheit eigentlich intendierte freiheitliche und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit häufig für den einzelnen Arbeitnehmer selbst überhaupt nicht zu erreichen ist. Die Gründe für diese mangelnde Möglichkeit zur Freiheitsverwirklichung sind indessen durchaus vielgestaltig.169 Sie finden ihre Entsprechung in der Diskussion um die Zweckbestimmung des Arbeitsrechts.
Besondere Prominenz hat in diesem Zusammenhang die These erlangt, dass der Vertragsschluss als Mittel zur Freiheitsverwirklichung beider Vertragsparteien versage, wenn eine Partei aufgrund ihrer Übermacht die Vertragsbedingungen gewissermaßen einseitig festzusetzen vermag, während die andere Vertragspartei aufgrund ihrer schwachen Verhandlungsposition und ihrer Angewiesenheit auf den Vertragsschluss dem Fremddiktat eher gezwungenermaßen denn aufgrund eines selbstbestimmten und freiheitlichen Entschlusses zustimmt.170 Gerade für das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird von einer derartigen Vertragsimparität ausgegangen;171 auch das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die „strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen“ postuliert.172
Ferner wird darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer in einem Arbeitsbereich tätig werde, der im Regelfall überwiegend bis vollständig der einseitigen Organisations- und Entscheidungsgewalt des Arbeitgebers unterliegt. Die einseitige Organisationsgewalt wirke sich für die ihr Unterworfenen potentiell freiheitsbegrenzend aus.173 Nun ließe sich die dem Arbeitgeber durch das einseitige Bestimmungsrecht ermöglichte Fremdbestimmung über den Arbeitnehmer vordergründig ebenfalls allein darauf zurückführen, dass der Arbeitgeber seine Befugnisse gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer unter Ausnutzung des vertragsimparitätischen Verhältnisses ausweitet. Indessen darf ein weiterer tragender Grund für die einseitige Bestimmungsbefugnis nicht übersehen werden. Denn selbst wenn die postulierte Vertragsimparität hinweggedacht wird, stellt sich das einseitige Bestimmungsrecht für den Arbeitgeber in gewissem Umfang als unverzichtbar dar; die Koordination von Betriebsabläufen erfordert solche Leitungsbefugnisse des Arbeitgebers, die es ihm ermöglichen, einseitig die effiziente Zusammenarbeit der Arbeitnehmer zur Erreichung eines gemeinsamen Produktionsergebnisses sicherzustellen.174 Eine gewisse freiheitbegrenzende Wirkung zulasten des Arbeitnehmers ist dem Arbeitsverhältnis deshalb selbst dann immanent, wenn ein vertragsimparitätischer Zustand nicht gegeben ist.175
Schließlich kann auch das Tätigkeitwerden verschiedener Arbeitnehmer für einen gemeinsamen Arbeitgeber eine potentielle Freiheitsbegrenzung zulasten Einzelner mit sich bringen.176 Angesprochen ist damit das Verhältnis, das Franz Gamillscheg als „die dritte Dimension des Arbeitsrechts“ bezeichnet hat.177 Der einem einzelnen Arbeitnehmer gewährte Vorteil kann sich nachteilhaft für die anderen Arbeitnehmer auswirken. Die selbstbestimmte Verwirklichung des einen Arbeitnehmers kann mittelbar eine Beschränkung der Freiheiten der übrigen Arbeitnehmer bedingen.178 Begrenzte Ressourcen können einen Verdrängungswettbewerb unter den Arbeitnehmern auslösen.179 Schlimmstenfalls erfolgt die Freiheitsentfaltung des einen Arbeitnehmers auf eine Weise, die zugleich diejenige eines anderen Arbeitnehmers vollständig verhindert. Die Position des einzelnen Arbeitnehmers wird daher nicht nur unmittelbar durch bestimmte Interessen des Arbeitgebers betroffen, sondern zusätzlich auch durch die Tatsache, dass in einem Sozialverband verschiedene Arbeitnehmer unterschiedliche Einzelinteressen verfolgen können.180
Diesen Freiheitsgefährdungen muss der Staat entgegenwirken, soll die durch das Grundgesetz gewährleistete Freiheit des Einzelnen nicht zu einem inhaltsleeren Begriff verkommen. Hat daher der Staat solchen Entwicklungen zu begegnen, die die Freiheitsentfaltung des einzelnen Arbeitnehmers in nicht mehr hinzunehmendem Maße bedrohen, so beinhaltet dieser grundrechtliche Schutzauftrag hingegen keine konkrete Vorgabe an den staatlichen Gesetzgeber.181 Wie erheblich eine bestimmte Gefährdung ist und wie ihr entgegenzuwirken ist, unterfällt vielmehr einem weitreichenden Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers.182 Die grundrechtliche Verbürgung gibt daher nicht zwingend vor, welche gesetzgeberischen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Schutzverpflichtung zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus der grundrechtlichen Schutzverpflichtung keine exakten Mindestvorgaben für das Betriebsverfassungsrecht herleiten.183
Auch das teils184 für die staatliche Schutzverpflichtung ebenfalls angeführte Sozialstaatsprinzip macht insoweit keine weitergehenden Vorgaben. Das durch die Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG verbürgte Prinzip stellt vielmehr ein weitgehend gestaltungsoffenes Verfassungsprinzip dar, das ausschließlich den Staat zur Gewährleistung einer gerechten Sozialordnung verpflichtet.185 Dem Prinzip lassen sich indessen keine bestimmten Rechtsgewährleistungen oder Anforderungen an eine sozialstaatliche Ordnung entnehmen.186
Folglich ist mangels konkreter inhaltlicher Vorgaben dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet, wie er seine Schutzverpflichtung durch entsprechende Gesetze erfüllt. Infolgedessen obliegt es auch allein dem Gesetzgeber, die konkrete Ausgestaltung einer Betriebsverfassung vorzunehmen und ihre exakte Zielrichtung zu definieren.187 Aus dem Verfassungsrecht lässt sich nur herleiten, dass es eine Betriebsverfassung geben kann, nicht hingegen ihre konkrete Gestalt und Reichweite.188 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach alledem aus der konkreten Ausgestaltung des Betriebsverfassungsrechts durch den staatlichen Gesetzgeber keine Rückschlüsse gezogen werden können, in welcher Form der verfassungsrechtliche Schutzauftrag umzusetzen ist. Dies bedeutet insbesondere, dass es keine unmittelbare verfassungsrechtliche Gewährleistung bestimmter Mitbestimmungsrechte gibt.189 Auch die Befugnisse der Betriebsparteien zur Regelung bestimmter Angelegenheiten durch eine Betriebsvereinbarung sind nicht verfassungsrechtlich verbürgt.
(2) Verfassungsrechtliche Grenzen für das Betriebsverfassungsrecht – Grundrechte des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer und der Koalitionen
Bei der Ausgestaltung einer Betriebsverfassung muss der Gesetzgeber jedoch bestimmte verfassungsrechtlich vorgegebene Grenzen beachten. Bereits angedeutet wurde, dass mit der Umsetzung des grundgesetzlichen Schutzauftrages zugleich eine potentiell grundrechtsbegrenzende Wirkung einhergeht. Die konkrete Ausgestaltung der Betriebsverfassung, die dem Betriebsrat als kollektivem Repräsentanten der Arbeitnehmer in bestimmten sozialen Angelegenheiten Beteiligungsrechte einräumt, führt dazu, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr alleine durch den Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmer in Wahrnehmung ihrer Privatautonomie gestaltet wird. Die Einrichtung und Ausgestaltung einer kollektiven Interessenvertretung durch den Gesetzgeber kann daher für die dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer jeweils durch Art. 12 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Freiheit beschränkend wirken und die grundrechtliche Abwehrfunktion aktivieren.190 Für den Arbeitgeber kann zudem die in Art. 14 GG verankerte Eigentumsgarantie zu berücksichtigen sein.191
Die Gegenläufigkeit von staatlichem Schutzpflichtauftrag und grundrechtlicher Abwehrfunktion lässt sich leicht verdeutlichen. Wird zum einen zwecks Wahrnehmung des Schutzpflichtauftrags durch die Einrichtung einer Arbeitnehmermitbestimmung der strategische Vorteil des Arbeitgebers beseitigt, besteht zum anderen die Gefahr, dass sich das Blatt nunmehr vollständig wendet und umgekehrte imparitätische Verhältnisse zulasten des Arbeitgebers entstehen. Insoweit mag eine Arbeitnehmermitbestimmung zwar einerseits für die Arbeitnehmer freiheitssichernd wirken, andererseits aber zugleich potentiell die Freiheit des Arbeitgebers verkürzen. Ähnliches kann sich für das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander ergeben. So mag dem ausgeglichenen Nachteil des einen Arbeitnehmers der Verlust des Vorteils bei einem anderen Arbeitnehmer gegenüberstehen; ein verhandlungsstarker Arbeitnehmer vermag sich gegebenenfalls nicht mehr unabhängig von der übrigen Belegschaft Vorteile zu sichern.