Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD). Christian Warns
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Noch unerwähnt blieb bisher zudem, dass es den Koalitionen grundrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet ist, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tätig zu werden. Die koalitionsgemäße Betätigung ist den Grundrechtsträgern als Abwehrrecht sowohl gegenüber dem Staat als auch unmittelbar gegenüber Dritten garantiert. Daher ergeben sich auch aus der Koalitionsfreiheit unmittelbar Grenzen im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung einer Betriebsverfassung.192
bb. Grundgesetzliche Vorgaben für das Mitarbeitervertretungsrecht
Das staatliche Betriebsverfassungsrecht wird demnach einerseits durch die staatliche Schutzverpflichtung und andererseits durch die Einflussnahme individueller sowie kollektiver Freiheiten als grenzziehende Elemente geprägt. Zu überprüfen gilt es, wie die einzelnen Verfassungspositionen innerhalb der Schranke des für alle geltenden Gesetzes Einfluss auf das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht nehmen können.
Allerdings würde die Fragestellung, ob das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht den angesprochenen Verfassungsgütern umfassend gerecht wird, den Gegenstand dieser Untersuchung sprengen. Insoweit sei auf die von Schielke angefertigte Dissertation verwiesen, die sich dem Vergleich von Betriebsverfassungs-, Personalvertretungs- und Mitarbeitervertretungsrecht widmet und zu der Einschätzung gelangt, dass sich das Mitarbeitervertretungsgesetz in weiten Teilen bei der Regelung der Arbeitnehmermitbestimmung an den staatlichen Gesetzen orientiert und dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz der Arbeitnehmer ebenso wie den betroffenen Grundrechten ausreichend Rechnung trägt.193 Vorliegend sollen indessen nur die Auswirkungen der verschiedenen Verfassungspositionen auf das Regelungsinstrument der Dienstvereinbarung näher in den Blick genommen werden und deren Bedeutung für die weitere Untersuchung knapp dargelegt werden.
(1) Staatliche Schutzverpflichtung und Mitarbeitervertretungsrecht
Wenn die Kirche für die Organisation ihres Dienstes eine privatrechtliche Ausgestaltung durch den Abschluss von Arbeitsverträgen wählt, so löst dies zugleich auf Seiten des Staates die skizzierten verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtungen im Verhältnis zu den jeweiligen Arbeitnehmern aus. Insoweit die Kirche den Arbeitsvertrag als Gestaltungsmittel wählt, wird sie jedoch regelmäßig die bestehenden staatlichen Schutzverpflichtungen antizipieren. Zudem akzeptiert sie grundsätzlich die vom Staat in Wahrnehmung seiner Schutzverpflichtung erlassene Privatrechtsordnung als notwendige Funktionsbedingung für eine Gestaltung der Rechtsbeziehungen nach dem Prinzip der Privatautonomie.194
Obliegt es nun der Kirche aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts, die Organisation des kirchlichen Dienstes nach ihren Vorstellungen auszugestalten, und begrenzt der Staat deshalb die Geltung solcher Gesetze, die er in Wahrnehmung seiner Schutzverpflichtung erlassen hat, so ist der vollständige Rückzug des Staates vor dem Hintergrund seiner Schutzverpflichtung nur insoweit gerechtfertigt, als die Kirche im Rahmen ihrer Rechtsetzung den zunächst an den Staat gerichteten Schutzpflichtauftrag realisiert und ihm auch innerhalb ihrer Gesetzgebung Rechnung trägt.195 Die Kirche ist danach zwar nicht unmittelbarer Adressat der verfassungsrechtlich begründeten Schutzverpflichtungen, sie ist jedoch durch die Schrankenbestimmung des Selbstbestimmungsrechts mittelbar dazu angehalten, die staatlicherseits bestehende Verpflichtung zur Wahrnehmung des Schutzauftrags – beispielsweise durch die Schaffung einer Betriebsverfassung – zu berücksichtigen;196 täte sie dies nicht, müsste subsidiär wiederum der Staat selbst zur Erfüllung seines Schutzauftrages tätig werden.197 Will die Kirche jedoch eine derartige staatliche Einmischung in die Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten von vorneherein vermeiden, so hat sie durch eine entsprechende kirchengesetzliche Regelung den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers auch im kirchlichen Arbeitsverhältnis bereits selbsttätig zu gewährleisten.198
Insoweit der verfassungsrechtliche Schutzauftrag weitgehend umsetzungsoffen ist und keine besonderen Vorgaben macht, steht es der Kirche nunmehr allerdings ebenfalls frei, nach eigenem Ermessen eine Ausgestaltung vorzunehmen.199 Mit dem Verweis auf die verfassungsrechtlich begründete staatliche Schutzverpflichtung geht es insbesondere nicht einher, dass die in Wahrnehmung des Schutzauftrags vom staatlichen Gesetzgeber geschaffene Betriebsverfassung in ihrer konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlich verbürgt und dem kirchlichen Gesetzgeber daher als Regelungsmodell vorgegeben wäre. Im Gegenteil ist der einfachgesetzlichen Umsetzung des Schutzpflichtauftrages durch den Staat keinerlei bindende Vorgabe zu entnehmen.200
Für das kirchenrechtlich geschaffene Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung ist demnach festzuhalten, dass es nicht ausschließlich vor dem Hintergrund eines bestimmten Selbstverständnisses der Kirche zu beurteilen ist, sondern auch die verfassungsrechtliche Schutzverpflichtung Berücksichtigung finden kann. Diese aus der Schrankenbestimmung des Selbstbestimmungsrechts folgende Konsequenz ist deshalb besonders bedeutsam, weil die Fokussierung des kirchlichen Arbeitsrechts auf das kirchliche Selbstverständnis es häufig verdecken mag, dass die kirchliche Gesetzgebung nicht nur der Verwirklichung eines bestimmten kirchlichen Selbstverständnisses verpflichtet ist.
(2) Verfassungsrechtliche Grenzen für das Mitarbeitervertretungsrecht
Die Gemeinsamkeiten von Betriebsverfassungsrecht und Mitarbeitervertretungsrecht, insbesondere die entsprechende Ausgestaltung der Position der Mitarbeitervertretung durch die Einräumung von Beteiligungsrechten (§§ 37 ff. MVG-EKD) sowie die an der Betriebsvereinbarung orientierte unmittelbare und zwingende Wirkung der Dienstvereinbarung gegenüber dem einzelnen Mitarbeiter (§ 36 Abs. 3 MVG-EKD) legen es nahe, dass die für das Betriebsverfassungsrecht herausgearbeiteten grundrechtlichen Gegenpositionen auch im kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht in gleicher Weise betroffen sein können und daher Beachtung verlangen. Insoweit bedarf es eines kursorischen Blicks auf das Verhältnis von kirchlichem Mitarbeitervertretungsrecht und grenzziehenden Grundrechten.
Ein Blick soll zunächst auf die zugunsten des Arbeitgebers streitenden Grundrechte, also die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers nach Art. 12 GG sowie die Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG geworfen werden. Insoweit ergibt sich im kirchlichen Bereich die Besonderheit, dass die kirchlichen Arbeitgeber allesamt den innerkirchlichen Gesetzen vollständig und unmittelbar unterworfen sind. Selbstverständlich ist dies für die der verfassten Kirche unmittelbar zugehörigen Einrichtungen. Aber auch die in privatrechtlicher Organisationsform geführten kirchlichen Einrichtungen dienen gerade der Verwirklichung des kirchlichen Auftrages und unterfallen deshalb auch der Kirchengesetzgebung; auch sie können sich nicht auf eine gegenüber der verfassten Kirche bestehende und insoweit verselbstständigte eigene Freiheitsposition berufen, die den Staat verpflichten könnte, zu ihren Gunsten im Verhältnis zur verfassten Kirche einzugreifen. Aus diesem Grund besteht für die privatrechtlich organisierten kirchlichen Einrichtungen im Verhältnis zur verfassten Kirche und dem kirchlichen Gesetzgeber keine Möglichkeit, sich auf eine mittelbare Grundrechtswirkung zu berufen. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn sich ein Kirchenmitglied gegenüber der Kirche, der es angehört, auf die Religionsfreiheit berufen möchte; auch insoweit ist eine mittelbare Grundrechtswirkung im Innenverhältnis ausgeschlossen.201 Weder die Berufsfreiheit noch die Eigentumsfreiheit können daher von Seiten der kirchlichen Arbeitgeber im Verhältnis zum kirchlichen Gesetzgeber als Abwehrrechte aktiviert werden, sodass diesen Grundrechtsverbürgungen für die weitere Untersuchung keinerlei Bedeutung zukommt.202
Anders verhält es sich hinsichtlich der Privatautonomie des Arbeitnehmers. Durch die Einräumung von Regelungsmöglichkeiten zugunsten der Dienstvereinbarungsparteien besteht zumindest die Gefahr, dass die Privatautonomie des Einzelnen über das notwendige Maß hinaus beschränkt wird. Der kirchlichen Regelung wird also aufgrund der Schrankenbestimmung jedenfalls dann die Wirksamkeit im staatlichen Rechtskreis zu versagen sein, wenn die Privatautonomie des einzelnen Arbeitnehmers nicht in ausreichender Weise durch den kirchlichen Gesetzgeber berücksichtigt wurde. Ob