Rechtsgeschichte. Stephan Meder

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Rechtsgeschichte - Stephan Meder

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und läuft damit Gefahr, dass der Empfänger das Geld nicht rechtzeitig oder nicht in der geschuldeten Höhe zurückbezahlt. Auch bei einem modernen Fernabsatzgeschäft erfolgt der Austausch von Leistungen nicht sofort und gleichzeitig, sondern in Form eines zeitlich gestreckten Vorgangs. So trägt etwa im E-Commerce der Händler das Vorleistungsrisiko, wenn er vor Eintreffen der Zahlung an den Besteller liefert. Allerdings tritt hier neben das zeitliche noch ein weiteres, auf räumlicher Distanz beruhendes Risiko: Da die Beteiligten physisch nicht zusammentreffen, kann [<<36] die Identität des Kunden nicht oder nur mit Schwierigkeiten überprüft werden. Bestehen Zweifel an dessen Vertrauenswürdigkeit, so muss der Händler sich z. B. durch eine Lieferung per Nachnahme oder Vorkasse absichern. Auf diese Weise kann er ein der Zug-um-Zug-Leistung vergleichbares Maß an Sicherheit gewinnen (dazu näher Meder, Bezahlen im E-Commerce, JZ 2004, 503).

      Auf der Notwendigkeit einer Absicherung des Vorleistungsrisikos beruht auch die Eigenart des nexum (Fesselung). Seinen Namen verdankt es dem Umstand, dass der Darlehnsnehmer durch den Empfang des Geldes, das ihm vor Zeugen zugewogen wurde, buchstäblich in die Gewalt des Gläubigers gerät. Kann er sich nicht rechtzeitig durch Rückzahlung lösen, so fällt er, ohne dass es einer gerichtlichen Verurteilung bedarf, in die Schuldknechtschaft des Geldgebers, bei dem er die Schuld abdienen muss. Das frührömische Recht zeigt also seine ganze Härte, um die Risiken zu kompensieren, die mit einer zeitlichen Distanzwirkung verbunden sind. Die Zahlung der Lösungssumme ist auf dieser frühen Stufe des Rechts noch nicht Gegenstand einer Pflicht im heutigen Sinne, sondern in erster Linie Mittel zur Haftungsabwehr. Der Ablösung des Haftenden dient die nexi liberatio (oder solutio per aes et libram). Sie regelt insbesondere den Fall, in dem nicht der Haftende selbst, sondern ein Dritter für diesen die Lösungssumme bezahlt. Das nexum und die nexi liberatio sind bereits gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. außer Übung gekommen.

      Neben die beiden ältesten römischen Vertragstypen tritt die stipulatio, die in den Zwölf Tafeln ebenfalls erwähnt ist (II, 1.b). Hergang, Gestalt und Funktion bleiben jedoch weitgehend im Dunkeln. Abermals sind es die Institutionen des Gaius, die uns über Einzelheiten informieren (III, 92 ff.). Auch die stipulatio verlangt die Einhaltung eines in den Einzelheiten genau festgelegten Rituals. Auch sie ist – jedenfalls der Form nach – ein einseitiges Geschäft. Nur einer der beiden Vertragspartner ist aktiv. Der andere ist zwar anwesend, tut aber nichts, schweigt oder sagt allenfalls ein einziges Wort, während der andere den Vertrag formuliert. [<<37]

      Die stipulatio ist ein mündliches Schuldversprechen, das auf einer bestimmten Frage- und Antwortform beruht. Sie ist einfach zu handhaben, nur drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Gegenwart der Parteien, die vorausgehende – mündlich gestellte – Frage des Gläubigers unter Verwendung des Wortes spondere und die sofortige und entsprechende Antwort des Schuldners (Beispiel: Versprichst Du mir, 100 zu geben? [centum mihi dare spondesne?] Ich verspreche! [spondeo!]). Der stipulatio sollte die Zukunft gehören, ihre praktischen Vorteile springen ins Auge: Auf die Mitwirkung anderer ist sie nicht angewiesen. Im Unterschied zur mancipatio muss die Gegenleistung nicht sofort erbracht werden. Auch bedarf es keiner übermäßigen Kompensation für den Verzicht auf sofortige Gegenleistung, wie es beim nexum der Fall ist, wenn dem Geldgeber eine Rechtsgewalt auf den Körper des Geldnehmers eingeräumt wird. Schließlich erübrigt sich eine symbolische Darstellung der Gegenleistung, welche noch die mancipatio nummo uno erforderte. Erstmals kann hier von einem Schuldverhältnis im modernen Sinne gesprochen werden, da die Beteiligten in den Rollen von Gläubiger und Schuldner auftreten.

      Die durch die Antwort (responsio) des Schuldners begründete Verpflichtung besteht im Prinzip unabhängig von dem mit dem Geschäft verfolgten wirtschaftlichen Zweck. Die Parteien müssen ihren Willen nur formgerecht geäußert haben. Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied zum modernen Recht, das auf dem Prinzip der Formfreiheit beruht. Zwar kennt auch die gegenwärtige Rechtsordnung eine Vielzahl von Formvorschriften. Doch haben diese lediglich abgeleitete Funktionen zu erfüllen, sie dienen in erster Linie äußerlichen Zwecken der Beweissicherung, Verkehrssicherheit, Rechtssicherheit und neuestens auch zunehmend der Beseitigung von Informationsasymmetrien (S. 465). Dagegen sind die Formerfordernisse im altrömischen Recht Geltungsgrund und eigentliche Wirksamkeitsvoraussetzung von Rechtsgeschäften.

      Als Rom während der jüngeren Republik (3. bis 1. Jahrhundert v. Chr.) ansetzte, die Weltherrschaft zu erringen und zunehmend mit fremden Rechtskulturen in Kontakt trat, sind die strengen Formen der altrömischen Stipulation allmählich gelockert worden. Parallel dazu haben sich verschiedene Arten herausgebildet, wobei neben die abstrakte die kausal gefasste Stipulation getreten ist. Die kausale Stipulation nimmt [<<38] ihre materiale Zweckbestimmung – etwa Kaufpreiszahlung, Schenkung oder Darlehnsgewährung – ausdrücklich in das Versprechen auf. Sie ist nur dann wirksam, wenn ein gültiges Kausalverhältnis besteht. Ist eine Schuld, etwa aus Kauf, Schenkung oder Darlehn, nicht begründet worden, so wird die Klage abgewiesen. Dagegen verschweigt die abstrakte Stipulation ihre Zweckbestimmung. Eine Obligation entsteht auch dann, wenn deren Zweckbestimmung nicht gültig zustande gekommen oder weggefallen ist. Steht fest, dass der Beklagte in der vom Recht anerkannten Form Schuldner geworden war, dann ist ihm jede Möglichkeit genommen, durch anderweitig begründete oder unbegründete Behauptungen den Lauf des Prozesses zu hemmen. Es kann also selbst dann geklagt werden, wenn das Darlehn nicht ausbezahlt oder die zu bezahlende Ware nicht geliefert worden ist. Um 450 v. Chr. konnte der Schuldner derartige Mängel wohl überhaupt nicht geltend machen (s.a. S. 133). Erst in der klassischen Zeit wurde es möglich, in bestimmten Fällen Einwendungen auch gegenüber einer abstrakten Stipulation zu erheben. Im 19. Jahrhundert hat man in Anlehnung an die frührömische Stipulation das moderne Institut der abstrakten Verbindlichkeiten entwickelt (vgl. §§ 780, 783 BGB).

      Familien- und Schuldrecht werden selten unter gemeinsamen Gesichtspunkten betrachtet. Der BGB-Gesetzgeber war der Ansicht, dass zwischen den Gebieten scharf zu trennen sei. Diese Annahme stößt heute zunehmend auf Widerspruch. Sie scheint durch neuere Tendenzen im Familienrecht überholt zu werden (vgl. 21. Kapitel 1.2.4, S. 471). Vor dem aktuellen Hintergrund interessieren die Verbindungen zwischen altrömischem Familien- und Vermögensrecht.

      In altrömischer Zeit unterfiel die Ehefrau der Ehegewalt des Mannes (pater familias). In Anknüpfung an das Symbol der zugleich herrschenden und schützenden Hand hieß diese Ehegewalt manus. Der Übertritt der Frau in die manus des Mannes (conventio in manum) erfolgte in der Regel durch coemptio, einer Sonderform der mancipatio (zu den Verbindungen [<<39] von Manzipation und Emanzipation vgl. 2. Kapitel 1.2, S. 58). Danach tritt der pater familias der Braut in einem Libralakt vor fünf Zeugen und dem libripens seine Gewalt über diese für einen symbolischen Kaufpreis (nummo uno) dem Bräutigam ab. Eine besondere Formel, die der „Erwerber“ zu sprechen hat, soll dafür sorgen, dass der Unterschied zwischen der Gewalt über erworbene Sachen (res mancipi) und der Gewalt über die Frau (uxor in manu) gewahrt bleibt (vgl. Gaius I, 113, 123). Man vermutet, dass bei der coemptio (wie bei der mancipatio) einst auch wirkliches Geld zugewogen wurde. So könnte sie dem „Brautkauf“ gedient haben, den viele frühzeitliche Rechte kennen. Weiter wird vermutet, dass die Frau in Zeiten, als die coemptio noch nicht existierte, durch eine reguläre Manzipation in die manus des Mannes kam. Der für die mancipatio charakteristische Ergreifungsakt (manu capere) könnte so auch familienrechtsgeschichtliche Bedeutung haben. Sollte es nämlich zutreffen, dass dieser Ergreifungsakt ursprünglich auf einer realen Handlung beruhte und die Gewalttat Geltungsgrund für den Besitzwechsel war, so würde die bis heute umstrittene Frage, ob es in Roms Frühzeit eine „Raubehe“ gegeben habe, in neuem Licht erscheinen. Bislang hatte sich die rechtsgeschichtliche Forschung in dieser Frage vornehmlich auf die Sage vom Raub der Sabinerinnen gestützt (zu unterschiedlichen Formen der Raub- und Kaufehe vgl. G. Simmel, Philosophie des Geldes, 405).

      Bekanntlich tritt die nichteheliche

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