Einführung in die Praxis der Strafverteidigung. Olaf Klemke
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a) Mandatsablehnung wegen des Gegenstandes des Mandates?
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So mancher Kollege lehnt Mandate aus gewissen Deliktsbereichen ab. Dies betrifft insbesondere Sexualstraftaten an Kindern und politische Strafsachen. Die Natur des erhobenen Tatvorwurfes allein rechtfertigt die Ablehnung eines Mandates jedoch nicht. Eine derartige Einstellung würde der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK widersprechen, deren Garant auch der Strafverteidiger sein sollte. Im Übrigen hat selbst ein Mitmensch, der die allerschlimmsten Verbrechen glaubhaft eingestanden hat, einen Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren. Hierzu gehört auch und gerade die Gewährleistung einer sachgerechten und effektiven Verteidigung. Es ist zu bedenken, dass gerade in einem solchen Fall nicht nur die Gesellschaft geschlossen den Täter ächtet. Zusätzlich hat dieser Mensch auch noch den Staat mit seiner unermesslichen Machtfülle in Gestalt der Strafjustiz gegen sich. Der Beistand durch den Verteidiger stellt bei dieser Sachlage nur ein winziges Stück „sozialer Gegenmacht“ dar, welches man dem Beschuldigten nicht vorenthalten darf. Der von Laien gelegentlich ohne jedes Verständnis für eine rechtsstaatliche Strafrechtspflege erhobene Vorwurf, wie man denn nur einen solchen Menschen verteidigen könne, sollte den Verteidiger an der Übernahme auch „heikler“ Mandate nicht hindern.
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Eine ganz andere Frage ist, wie ein solches „heikle“ Mandat zu führen ist. Zu einer sachgemäßen, effektiven Verteidigung, insbesondere zur Wahrung der Verfahrensrechte des Beschuldigten/Angeklagten ist der Verteidiger berufsrechtlich und auch allgemein aus ethischen Gründen verpflichtet. Auch in solchen Verfahren gilt, dass Verteidigung „Kampf um das Recht“ ist.[19] Das bedeutet, dass sich der Verteidiger in diesen Fällen ebenfalls nicht davor scheuen darf, zur Durchsetzung der Rechte des Mandanten unvermeidbare Konflikte konsequent auszutragen.
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Der Verteidiger sollte jedoch darauf achten, dass er sich – insbesondere in „politischen“ Verfahren – seine Unabhängigkeit vom Mandanten bewahrt. Er sollte sich keinesfalls zum „Sprachrohr“ der politischen Überzeugung seines Mandanten machen, vielmehr das Mandat betont sachlich führen. Politische Propaganda des Verteidigers für den Mandanten schadet letztendlich dem Mandanten. Der Verteidiger wird nämlich, wenn er zum politischen Agitator seines Mandanten avanciert, seine Integrität und damit seine Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten einbüßen.
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Eine damit verbundene Frage ist diejenige, ob sich ein politischer „Überzeugungstäter“ von einem Verteidiger vertreten lassen sollte, der den politischen oder weltanschaulichen Ansichten seines Mandanten nahesteht. Ratsamer ist es, wenn die Verteidigung ein politisch „neutraler“ oder „gegnerischer“ Anwalt führt. Dann liegt die Gefahr ferner, dass der Verteidiger als „Gesinnungsgenosse“ des Angeklagten diffamiert und so in seiner Integrität beeinträchtigt wird. Im Übrigen ist ein solcher dem Angeklagten politisch nicht nahestehender Verteidiger nicht nur optisch glaubwürdiger, sondern vor allem im Hinblick auf seine professionelle Distanz zum Mandanten auch der „objektivere“ und damit effektivere Verteidiger.
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Keineswegs sollte indes eine von der des Mandanten abweichende politische oder weltanschauliche Einstellung des Verteidigers dazu führen, dass sich der Verteidiger in öffentlicher Hauptverhandlung auch nur den Anschein gibt, er „distanziere“ sich von seinem Mandanten oder von dessen Ansichten oder dessen Haltung. Der Verteidiger sollte in diesem Fall dieses Thema am besten nicht ansprechen. Er sollte diesen Dissens auch nicht nonverbal signalisieren. Der Mandant könnte sich anderenfalls zu Recht von seinem Verteidiger verraten fühlen.
b) Mandatsablehnung wegen der dem Verteidiger intern offenbarten Schuld des potentiellen Mandanten?
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Einige wenige Kollegen wollen nur „unschuldige“ Mandanten verteidigen. Abgesehen davon, dass diese Einstellung mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK kollidiert, zu deren Durchsetzung gegenüber staatlichen Strafverfolgungsinteressen auch und gerade der Verteidiger aufgerufen ist, erscheint sie realitätsfremd. Sie erinnert an einen Arzt, der nur Gesunde behandeln will.[20] Es ist nun einmal Tatsache, dass sich die überwiegende Zahl der Mandanten eines Strafverteidigers im strafrechtlichen Sinne schuldig gemacht hat. Der vollkommen unschuldige Mandant ist eher die Ausnahme. Es wäre in der Tat auch mehr als befremdlich, wenn man davon ausgehen müsste, dass die Mehrzahl der Beschuldigten bzw. Angeklagten nicht schuldig sei. Dann wäre entweder unser Strafverfahren tatsächlich noch erheblich schlechter, als dies wegen seiner strukturellen Mängel ohnehin schon auf der Hand liegt. Oder aber es würden von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Strafgericht massenhaft vorsätzlich Unschuldige verfolgt. Dies wird wohl niemand ernsthaft in Betracht ziehen.
aa) Verteidiger als Garant für ein faires, rechtsstaatliches Verfahren
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Es kommt auch gar nicht darauf an, ob der einzelne Mandant schuldig ist oder nicht. Die verfahrensrechtliche Aufgabe besteht zwar auch, aber nicht in erster Linie darin, Unschuldige vor ungerechtfertigter Verurteilung und Bestrafung zu bewahren. Der Verteidiger ist als einseitiger, streng parteilicher Beistand des Beschuldigten eine verfahrensrechtliche Gegenmacht zu dem das Strafverfahren betreibenden Staat. Seine vordringlichste Aufgabe ist zunächst, dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die Verfahrensrechte des Mandanten gewahrt als auch die sonstigen verfahrensrechtlichen Normen peinlichst genau beachtet werden. Denn nur die Einhaltung der formellen Sicherungen ist der Garant für ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und damit für die Schaffung einer zutreffenden Urteilsgrundlage. Die verfahrensrechtlichen Regelungen sind nicht Selbstzweck. Vielmehr dienen sie dazu, die Verurteilung eines Unschuldigen zu verhindern und ein gerechtes Urteil zu fällen. Nur ein Urteil, welches auf Grund eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens ergangen ist, kann daher ein richtiges, ein gerechtes Urteil sein.
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Dies gerät jedoch zusehends mehr und mehr in Vergessenheit. Die Formerfordernisse der Strafprozessordnung werden von vielen, vielleicht sogar von den meisten, Strafrichtern geringschätzig als bloße „Förmeleien“ betrachtet. Verteidiger, die zum Schutze der Rechte ihrer Mandanten auf der Einhaltung der Verfahrensvorschriften bestehen, werden von diesen Richtern als Querulanten angesehen; oder man wirft ihnen vor, mit angeblicher „Konfliktverteidigung“ die Strafrechtspflege zu sabotieren.
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Dies findet nicht zuletzt seinen Ausdruck in der Rspr. der Revisionsgerichte. Sie ebnet seit jeher tendenziell die Formerfordernisse ein, indem sie bspw. prozessuale Normen zu bloßen „Ordnungsvorschriften“ herunter definiert, um von ihr im Ergebnis für richtig gehaltene Urteile trotz des Vorliegens von Verfahrensfehlern aufrechterhalten zu können.[21] Oder sie lässt Verfahrensrügen kurzerhand an dem sog. „Beruhenszusammenhang“ scheitern, obgleich mit guten Gründen auch eine gegenteilige, jedoch nicht gewollte, Entscheidung möglich wäre. Weiter zu erwähnen ist die von den Revisionsgerichten kreierte Kunst, die formelle Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls wegen angeblicher Lücken und Widersprüche auszuhebeln, um dann der Verfahrensrüge im Freibeweisverfahren mittels des angeblich für Verfahrensfehler