Einführung in die Praxis der Strafverteidigung. Olaf Klemke
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„Die Blütezeit der Freiheit ist zugleich die Periode der peinlichsten Strenge in der Form. Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Feste Formen – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen – und wo ein Volk sich wahrhaft auf den Dienst der Freiheit verstand, da hat es instinktiv auch den Wert der Form herausgefühlt und geahnt, dass es in seinen Formen nicht etwas rein Äußerliches besitze und festhalte, sondern das Palladium seiner Freiheit.“[24]
Der Verteidiger kann im Interesse seines Mandanten nicht zuwarten, bis die Rechtsprechung den Wert der Formenstrenge hoffentlich wiedererkennt. Er hat vielmehr gegen jede Verletzung von Verfahrensvorschriften mit den ihm von der Strafprozessordnung zur Verfügung gestellten Mitteln einzuschreiten und so in jeder Hauptverhandlung aufs Neue für ein faires, rechtsstaatliches Verfahren zu kämpfen.
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Sollte das Eintreten des Verteidigers für die Einhaltung der den Angeklagten schützenden Formen dazu führen, dass der Schuldnachweis nicht geführt werden kann und der schuldige Angeklagte freizusprechen ist, sollte dies das Selbstverständnis des Verteidigers nicht erschüttern. Das Gesetz selbst geht davon aus, dass auch der schuldige Angeklagte nur in der von ihm vorgegebenen Verfahrensweise abgeurteilt werden darf.
bb) Der Verteidiger als streng parteilicher Beistand und der Zweifelssatz
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Neben seiner Verpflichtung, die Einhaltung der für ein faires, rechtsstaatliches Verfahren erforderlichen Formerfordernisse zu kontrollieren und gegebenenfalls konsequent einzufordern, hat der Verteidiger alle Umstände geltend zu machen, die Zweifel an der Schuld des Angeklagten begründen. Hegt das Gericht berechtigte Zweifel an der Schuld des Angeklagten, verlangt das im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verankerte Schuldprinzip, ihn freizusprechen. Der Verteidiger hat die nach der Beweisaufnahme noch bestehenden Zweifel an der Schuld des Angeklagten auch dann hervorzuheben, wenn er persönlich weiß oder davon ausgeht, dass sein Mandant schuldig ist. Dies verlangt die dem Verteidiger zugewiesene Beistandsfunktion von ihm, nach welcher er streng parteilich ausschließlich die zu Gunsten des Beschuldigten sprechenden Umstände in das Verfahren einzuführen hat.[25]
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Weist der Verteidiger auf Zweifel an der – ihm intern bekannten – Schuld seines Mandanten hin und wird dieser freigesprochen, ist dies für ihn kein Grund, seine Rolle im Strafverfahren in Zweifel zu ziehen. Denn er hat nichts anderes getan, als dabei mitzuhelfen, dem Recht Genüge zu tun. Dieses fordert bei nicht behebbaren Zweifeln an der Schuld des Angeklagten den Freispruch. Das eventuelle persönliche Wissen des Verteidigers von der Schuld seines Mandanten ist wegen seiner Verpflichtung zur Verschwiegenheit nicht Gegenstand der Hauptverhandlung. Es steht außerhalb des Prozesses.[26]
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Dies gilt auch für die Verteidigung im Jugendstrafverfahren. Der sog. „Erziehungsgedanke“ des Jugendstrafrechts wird von den „staatlichen Erziehungsträgern“ als trojanisches Pferd verstanden, mit denen die Fesseln der beschuldigtenschützenden Formen des Strafprozesses abgeworfen werden sollen. Die Verfahrensbeteiligten (einschließlich des Verteidigers) sollen in harmonischer Eintracht am Jugendlichen herum erziehen. Derjenige Verteidiger, der auf Einhaltung der schützenden Formen der Strafprozessordnung besteht, wird als „Fremdkörper“ oder als „Störenfried“ angesehen, der die sonst einvernehmliche staatliche Erziehungsveranstaltung „sprengt“. Nach wie vor gilt jedoch: auch Jugendstrafrecht ist und bleibt Strafrecht. Es besteht daher kein Anlass für den Verteidiger, eine „Strafverteidigung light“ zu fahren und Beihilfe zum staatlichen Erziehungsunterricht zu leisten. Alles andere wäre Verrat am jugendlichen Mandanten.
cc) Fazit
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Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass es für den Verteidiger grundsätzlich unbeachtlich sein muss, ob er einen Angeklagten verteidigt, den er für schuldig oder aber für unschuldig hält. Dahs sieht dies anders. Er meint, es sei für den Anwalt,
„der auf seine Reputation hält, … ein recht schwieriger Entschluss, wider besseres Wissen zu verteidigen und die Freisprechung eines Schuldigen herbeizuführen. Er wird häufig nicht bereit sein, sich einer solchen Zumutung eines Delinquenten, der das Gericht belügt, zu beugen.“[27]
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Dieser Ansicht ist entgegenzutreten. Der Strafverteidiger darf sowohl bei der Frage der Übernahme eines Mandates als auch bei derjenigen, welche Verteidigungsstrategie er wählt, nicht moralisch-ethische Maßstäbe anlegen, sondern ausschließlich rechtliche. Die Verteidigung ist keine moralische, sondern eine rechtliche Institution. Weder der Gegenstand des Mandats noch die (vermeintliche) Schuld des Mandanten sind ein Grund, die Übernahme eines Mandats abzulehnen.
d) Mandatsablehnung aus rechtlichen Gründen
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Rechtliche Gründe können den Verteidiger dazu zwingen, ein angetragenes Mandat nicht anzunehmen. In erster Linie ist hier das in § 146 StPO aufgestellte Verbot der simultanen Mehrfachverteidigung zu nennen.[28] Es untersagt dem Verteidiger die gleichzeitige Verteidigung mehrerer derselben Tat Beschuldigter sowie die gleichzeitige Verteidigung mehrerer in demselben Verfahren verschiedener Taten Beschuldigter. Dem Verteidiger ist jedoch nicht die sog. „sukzessive Mehrfachverteidigung“ verboten. Er kann nach der rechtlichen Beendigung des ersten Mandates dasjenige eines in demselben Verfahren oder derselben Tat Beschuldigten übernehmen.
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Weiterhin kann der Übernahme eines Mandates entgegenstehen, dass der Mandant bereits drei Verteidiger beauftragt hat, die Höchstzahl von drei Wahlverteidigern gem. § 137 Abs. 1 S. 2 StPO also überschritten würde. Diese Begrenzung der Zahl gilt allerdings nicht für zusätzlich bestellte Pflichtverteidiger, auch nicht für „Wahlpflichtverteidiger“.[29]
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Schließlich ist das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen zu beachten, § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA. Die Vertretung widerstreitender Interessen kann zur Strafbarkeit des Verteidigers wegen Parteiverrates (§ 356 StGB) führen. Mehrere Tatbeteiligte derselben Straftat können nämlich „Parteien“ i.S.d. § 356 StGB sein.[30] Gerade in Fällen der sukzessiven Mehrfachverteidigung liegt die Gefahr der Vertretung widerstreitender Interessen und des Parteiverrates i.d.R. besonders nahe und veranlasst den Verteidiger zu einer sorgfältigen Prüfung.
e) Mandatsablehnung aus anderen Gründen
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Denkbar ist, dass der Verteidiger das Mandat ablehnt, weil er Vorbehalte gegen die Person des Mandanten hat. Dies kann der Fall sein, wenn bereits bei der Mandatsanbahnung für den Verteidiger offensichtlich ist, dass zwischen ihm und dem potentiellen Mandanten „die Chemie nicht stimmt“. Insbesondere kann sich bereits im Verlauf des ersten Gespräches ergeben, dass es sich bei dem Mandanten um eine