Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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2010 19 892 8 054 = 40,5 % 1 780 = 8,9 % 10 058 = 50,6 % 2017 9 426 3 487 = 37,0 % 544=5,7 % 5 395 = 57,3 %

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      Das 1. JGGÄndG 1990 hat zunächst zu einem deutlichen Rückgang des Anteils der zu Jugendarrest Verurteilten geführt. Der Rückgang bis 1995 erklärt sich zu etwa 1/3 aus dem Geburtenrückgang und zu 2/3 aus einem Wandel im Sanktionsverhalten zu Gunsten neuer ambulanter Möglichkeiten. Insgesamt sind dann aber die absoluten und relativen Zahlen kontinuierlich gestiegen. 1991 wurden 11.557 (15,9 % der Verurteilten) zu Jugendarresten verurteilt, 2012 19074 (18,0 %), dagegen blieben die Anteile der verhängten Jugendarreste bezogen auf alle Sanktionen relativ konstant mit 6 % im Jahre 1991 und 6,9 % im Jahre 2008 (Heinz Sanktionensystem, S. 95 f.: 2012 = 5,7 %; ZJJ 2014, 100). Problematisch sind die großen regionalen Unterschiede. 2017 betrug die Anzahl von zu Jugendarrest Verurteilten pro 1000 in Bayern 38, in Berlin und im Saarland 3,2, in Nordrhein-Westfalen 2,6, dagegen in Schleswig-Holstein 1,2, in Baden-Württemberg 1,0 sowie in Sachsen und Bremen 0,8 (Endres/Lauchs BewHi 2018, 384, 388). In Landgerichtsbezirken mit einer Arrestanstalt ist die Quote des Dauerarrestes besonders hoch (Pfeiffer/Strobl DVJJ-J 1991, 39). Umgekehrt ist z.B. im ersten Jahr nach der Schließung der Jugendarrestanstalt Bremen-Lesum am 31.3.1989 die Arrestquote um 2/3 gesunken (Hartwig DVJJ-J 1991, 50). Trotz dieses positiven Ergebnisses muss sich die Bremer Exekutive fragen lassen, ob sie nicht faktisch richterliches Entscheidungsverhalten beeinflusst hat (Herrlinger DVJJ-J 1991, 156).

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      Empirische Befunde belegen, dass in der Praxis ein Zusammenhang zwischen der Verhängung von Dauerarrest und Jugendstrafe besteht. Viele Landgerichtsbezirke mit hohen Arrestquoten weisen einen relativ niedrigen Prozentsatz an Jugendstrafen auf (und umgekehrt; Pfeiffer/Strobl DVJJ-J 1991, 44). Jugendarrest wird hier als Alternative zur Jugendstrafe verhängt, so dass bis zu einer umfassenden Reform des jugendstrafrechtlichen Sanktionensystems der Jugendarrest insoweit seine Daseinsberechtigung behält. Heinz belegt sowohl die These erheblicher regionaler Unterschiede als auch die These eines nicht unerheblichen Austauschprozesses zwischen Jugendarrest und Jugendstrafe, ZJJ 2014, 103. Zu den Problemen der „kurzen Freiheitsstrafe“ im Jugendstrafrecht: Feltes NStZ 1993, 105–112; zur „echten“ Personenzählung bezüglich des Jugendarrestes bis 1998, siehe Heinz Sanktionensystem, Tab. A3, S. 135.

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      Der Gesetzgeber des 1. JGGÄndG hat die Frage der Existenzberechtigung erkannt (für Abschaffung u.a. Pfeiffer DVJJ-J 1991, 127; H. J. Albrecht im Gutachten zum 64. DJT 2002; für übergangsweise Beibehaltung des Dauerarrestes in Form eines stationären sozialen Trainingskurses Dünkel DVJJ-J 1991, 31; Heinz ZRP 1991, 188 und Zweite Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ 2002), sie aber bewusst noch nicht zu lösen versucht, um zunächst die weitere Entwicklung der neuen ambulanten Maßnahmen als Alternative zu den stationären Sanktionen abzuwarten (BT-Drucks. 11/5829, 12). Zu einem geringen Teil hat er jedoch die Problematik des Systems des Jugendarrestes und seiner Struktur aufgegriffen. Die Zahl der zu verhängenden Freizeiten ist auf zwei und der Kurzarrest entsprechend auf vier Tage begrenzt worden. Vor allem für den Dauerarrest ist die Neufassung des § 90 Abs. 1 von Bedeutung, dass der Vollzug des Jugendarrestes erzieherisch gestaltet werden und dem Jugendlichen helfen soll, die Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur Begehung der Straftat beigetragen haben. Diese Formulierung versteht sich als erneuter „Appell an die Verantwortlichen, einen inhaltlich effektiven Arrestvollzug zu verwirklichen“ (BT-Drucks. 11/5829, 38). Ausdrücklich genannt werden Einzelgespräche und Formen von Gruppenarbeit zu den Problembereichen Ausbildung und Arbeit, Beschaffung notwendiger Papiere und Schuldenregulierung. Ein entsprechendes Curriculum ist von Bihs und Walkenhorst unter der Fragestellung „Jugendarrest als Bildungsstätte?“ entwickelt worden, ZJJ 2009, 11–21. Umzusetzen ist die bundesrechtliche Vorgabe einer erzieherischen Gestaltung des Vollzugs des Jugendarrestes in § 90 Abs. 1 durch die Landesjugendarrestvollzugsgesetze, exemplarisch kann hier auf das seit dem 1.1.2015 geltende Hamburgische Jugendarrestvollzugsgesetz – HmbJAVollzG hingewiesen werden, mit der Zielsetzung für § 16 in § 2 Abs. 2 und für § 16a in § 2 Abs. 2. § 3 betrifft die erzieherische Gestaltung und benennt fördernde Angebote wie soziale Trainingskurse, Opfer-Empathie-Training, Motivationsbemühungen zum Ausgleich mit Verletzten (Täter-Opfer-Ausgleich), Anti-Gewalt-Training, Bildungsangebote, Gesprächsgruppen, strukturierte Freizeitgestaltung und Sport.

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      Da der Gesetzgeber die schädlichen Nebenwirkungen des Jugendarrestes für die Entwicklung junger Menschen ausdrücklich anerkannt und deswegen eine weitgehende Ersetzung durch die neuen ambulanten Maßnahmen wie Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisung und sozialer Trainingskurs gefordert hat, stellt der Jugendarrest in den verbleibenden Fällen eine Alternative zur Jugendstrafe dar und ist nach dem Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich unterhalb der Schwelle einer echten Kriminalstrafe angesiedelt, (vgl. AG München ZJJ 2018, 166, 168 – auch als Beispiel, wie schwer eine genaue Zielgruppenbestimmung ist: „Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass das Vorliegen schädlicher Neigungen gerade noch nicht bejaht werden musste, sodass die Jugendstrafe nicht zwingend geboten war. Das Gericht hielt es vielmehr für erzieherisch noch ausreichend, aber auch erforderlich, gegen ihn einen Dauerarrest von 4 Wochen zu verhängen sowie ihn anzuweisen, am nächsten KLAR-Kurs bei der Brücke e. V. teilzunehmen sowie sich auf die Dauer von 12 Monaten einer Weisungsbetreuung zu unterstellen. Weiterhin war die Einziehung des Wertersatzes in Höhe von 2.969,00 € anzuordnen“). Wenn dieser Arrest erzieherisch ausgestaltet wird und gleichzeitig Hilfe zur Bewältigung von Schwierigkeiten anbieten soll, bleibt kein Raum mehr für die alte Arrestideologie des „short-sharp-shock“.

      Relativ neu ist § 16a (Arrest neben Jugendstrafe) als sog. Warnschussarrest. Zu dessen negativer Wirkung, vgl. BMI/BMJV (Hrsg.), Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 402; Breymann/Sonnen NStZ 2005, 669–673; Findeisen ZJJ 2007, 26, die aber für einen Einstiegsarrest plädiert, wenn er erzieherisch ausgestaltet wird (ähnlich Verrel/Käufl NStZ 2008, 177–181); Schumann u.a. (1987); Sonnen RdJB 2007, 131. Gegen die Einführung sprechen sich sowohl BGHSt 18, 207 ff., die OLG Düsseldorf NJW 1962, 1640; OLG Celle NStZ 1988, 315 u. das BayObLG NStZ-RR 1998, 377 f. als auch etliche namhafte Stimmen aus Literatur und Wissenschaft aus (allein S. Sommerfeld weist über 22 Gegenstimmen nach, 2007, S. 201, dort Fn. 448). Befürwortend dagegen Müller-Piepenkötter/Kubink ZRP 2008, 176–180; umfassend zur aktuellen Diskussion Radtke ZStW 121 (2009), 417–449. Auch angesichts der zweithöchsten Rückfallrate (höchste: Jugendstrafe ohne Bewährung) des Jugendarrestes von 70 %, nach der aktuellsten Rückfallstatistik sogar von 75,5 % nach 6 Jahren,

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