Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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Sanktionenprogramm (zwar Bewährung, aber zuvor kurzzeitiges Einsperren) würde sich nach den Ergebnissen des Sherman-Reports 2002 als unwirksam erweisen, Heinz ZJJ 2014, 106.

      Auch wenn der Gesetzgeber das Gesamtsystem des Jugendarrestes noch nicht reformieren wollte, belegen die Entstehungsgeschichte der Änderungen in den §§ 16 und 90, ihre kriminologische Begründung, der systematische Zusammenhang zwischen den beiden Vorschriften und die ausdrücklich genannten weitergehenden kriminalpolitischen Zielsetzungen, dass es sich bei dem Jugendarrest seit dem 1.12.90 um eine neue Sanktionsform handelt (Sonnen DVJJ-J 1991, 58; aktueller mit der weitergehenden Frage, warum und wie der Vollzug des Jugendarrestes neu gedacht werden sollte: Franzen Gehört der Arrest geschlossen?, ZJJ 2014, 114-120). Bei der Feststellung der Voraussetzungen und der Bestimmung der Zielgruppe wird deswegen die Praxis entsprechende Konsequenzen ziehen müssen (zu den zu Jugendarrest und Jugendstrafe im Jahre 2012 Verurteilten nach Straftaten – in % der nach JGG Verurteilten der jeweiligen Straftatengruppe – siehe Heinz ZJJ 2014, 102: Diebstahl = 26,2 %, gefährliche Körperverletzung = 50,9 %, Raub/Erpressung = 75,9 %, Mord und Totschlag = 87 %; vgl. auch Goerdeler ZJJ 2007, 212; zur aktuellen Situation in den Arrestanstalten: Hinrichs DVJJ-J 1998, 69 und DVJJ-J 1999, 267; Müller ZJJ 2009, 160; Schäffer DVJJ-J 2002, 43; für Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, und Mecklenburg-Vorpommern siehe Kobes/Pohlmann ZJJ 2007, 372 ff; zur aktuellen Entwicklung im Jugendarrest am Beispiel der JAA Friedberg, s. Wittek Forum Strafvollzug 2009, 137–143; zu Regis-Breitingen s. McKendry/Otte ZJJ 2014, 137-140; zu Bayern Endres/Lauchs BewHi 2018, 384-402; 2015 gab es 35 Jugendarrestanstalten mit 1166 Plätzen).

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      Zu unterscheiden ist zwischen dem durch Urteil verhängten Jugendarrest als primärer Sanktion und dem durch Beschluss angeordneten Nichtbefolgungsarrest als sekundärer Reaktion (Ungehorsams-, Beuge- und Ersatzarrest, Dölling Rechtliche Grundlagen des Jugendarrestes, ZJJ 2014, 92-96).

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      Jugendarrest setzt zunächst allgemein eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat eines jungen Menschen voraus. Bei Jugendlichen muss also die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach § 3 S. 1 positiv festgestellt werden. Weitere Voraussetzungen sind, dass Jugendstrafe nicht geboten ist (§ 13 Abs. 1) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Schädliche Neigungen und Schwere der Schuld schließen die Verhängung von Jugendarrest jedoch nicht aus, wie eine gesetzessystematische Interpretation beweist. Aus § 27 ergibt sich z.B., dass die in § 17 Abs. 2 genannten schädlichen Neigungen einen besonderen Umfang erreicht haben müssen. Entsprechend ist auch hinsichtlich der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2) ein besonderer Schweregrad erforderlich. Diese Interpretation führt dazu, dass der Jugendarrest zukünftig wesentlich stärker als Alternative zur Jugendstrafe zu nutzen ist. Die sog. innere Reform durch die Praxis und ihre Anerkennung, Absicherung und vorsichtige Weiterentwicklung durch das 1. JGGÄndG müssten zu einer Verschiebung des gesamten Sanktionsspektrums führen. Ausdrückliches Ziel des 1. JGGÄndG ist die weitgehende Ersetzung der rückfallerhöhenden und entwicklungsgefährdenden stationären Sanktionen (vgl. auch die Bremer Längsschnittstudie Prein/Schumann 2003, S. 204 ff.) durch neue ambulante Maßnahmen. Bei den verbleibenden stationären Sanktionen ist eine Haftverkürzung anzustreben, so dass der Jugendarrest als der kürzere Freiheitsentzug möglichst an die Stelle der längeren Jugendstrafe treten sollte.

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      Voraussetzung ist, dass die Verhängung von Jugendarrest notwendig (Böhm/Feuerhelm S. 210), als Reaktion auf das Tatunrecht und als Mittel, weitere Taten dieses jungen Menschen zu verhindern, erforderlich, aber auch ausreichend ist (Schaffstein/Beulke/Swoboda S. 160). Der BGH hat versucht, für die Verhängung von Jugendarrest tat- und täterorientierte Kriterien zu finden, und dabei in Anlehnung an Peters „Verfehlungen aus Unachtsamkeit, jugendlichem Kraftgefühl oder Übermut, aus typisch jugendlichen Neigungen und jugendlichem Vorwärtsstreben, jugendlicher Trotzhaltung, jugendlicher Abenteuerlust, mangelnder Selbstständigkeit sowie Gelegenheits- und Augenblicksverfehlungen“ genannt (BGHSt 18, 210). Angesichts des Ausbaus von Diversionsstrategien dürften diese Delikte heute fast ausnahmslos informell erledigt werden. Die Aufzählung wird jedenfalls nicht mehr dem veränderten Standort des Jugendarrestes in einem veränderten Sanktionsspektrum gerecht.

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      Weitgehend überholt ist auch die Zielbeschreibung eines „kurzen und harten Zugriffs, der das Ehrgefühl anspricht und für die Zukunft eine eindringliche Warnung ist“, wobei der Jugendarrest „durch seine Einmaligkeit und seine Kürze wirken und durch diesen eindringlichen und fühlbaren Ordnungsruf den Jugendlichen davor schützen soll, auf dem erstmalig eingeschlagenen Weg fortzufahren“ (BGHSt 18, 209; vgl. auch die problematische, weil zu stark auf Formalgehorsam abstellende Entscheidung BVerfGE 32, 40).

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      Die bis zum 31.7.1994 gültige Nr. 1 RiJGG zu § 16 nannte als Zielgruppe gutgeartete Jugendliche mit nicht allzu schweren Straftaten. Gutgeartet steht im Kontrast zu „bösgeartet“, „entartet“ und „minderwertig“, wodurch gleichzeitig die nationalsozialistische Herkunft des Jugendarrestes durch die Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafrechts vom 4.10.1940 und durch das RJGG vom 6.11.1943 deutlich wird. Durch die nationalsozialistische Ideologie wurde der Erziehungsgedanke zur scharfen Disziplinierung vergröbert (Wolff Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1991, 41, 51 und Jugendliche vor Gericht im Dritten Reich, 1992, 127 ff.; vgl. Pieplow Die Einführung des Jugendarrestes in Deutschland – Kontnuität oder Zäsur?, ZJJ 2014, 108-113). Die Strategie der „kurzen, quälenden Einschüchterung“ (Gerken/Schumann (Hrsg.), Ein trojanisches Pferd im Rechtsstaat, 1988, S. 141) ist in der Bundesrepublik mit dem Jugendarrest weiterhin verfolgt worden. Der Gesetzgeber des 1. JGGÄndG stellt fest, dass dieses Konzept – gemessen an der hohen Rückfallquote von knapp 70 % gegenüber 58 % bei den Betreuungsweisungen (Schumann (Hrsg.), Jugendarrest und/oder Betreuungsweisung, 1985; Jehle/Heinz/Sutterer 123; Schumann Der Jugendarrest – Zuchtmittel für jeden Zweck? mit Kommentar des Autors nach 28 Jahren, ZJJ 2014, 142-151) – erzieherisch wenig wirksam ist. Gerade bei den besonders gefährdeten jungen Menschen verschlechtere sich ihr ohnehin negatives Selbstbild im Arrest nur noch weiter (BT-Drucks. 11/5829, 19 unter Hinweis auf Pfeiffer MschrKrim 1981, 28). Die veränderten §§ 16 und 90 sollen deswegen zusätzliche Benachteiligungen verhindern und anstelle bloßer Einschließung eine Hilfe zur Bewältigung von Schwierigkeiten durch Betreuung und Problemaufarbeitung ermöglichen; vgl. Thiel Jugendengagement im Jugendarrest, ZJJ 2014, 380-383. Zutreffend sieht der Gesetzgeber die Defizite weniger im erzieherischen, sondern viel stärker im sozialen Bereich. Auch deshalb sollte die historisch belastete Bezeichnung „Arrest“ durch „stationäres soziales Training“ ersetzt werden (so die von Ostendorf geleitete Fachkommission Jugendarrest/Stationäres soziales Training in ihren Mindeststandards

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