Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Handbuch des Verwaltungsrechts - Группа авторов страница 97

Жанр:
Серия:
Издательство:
Handbuch des Verwaltungsrechts - Группа авторов

Скачать книгу

für das Verwaltungsrecht der frühen Bundesrepublik: Es ging um die massenhafte Überprüfung individueller Einzelschicksale anhand komplexer, sich ständig ändernder Regelungen, die schon sehr früh die Notwendigkeit klarer verwaltungsverfahrensrechtlicher Standards verlangten. Das Gesetz über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegssachschäden vom 21.4.1952[205] und das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2.5.1955[206] enthielten insoweit umfassende Regelungen, die auch für das VwVfG prägend waren.[207] Von Bedeutung war das Kriegsfolgenrecht aber auch aufgrund des insoweit vorgesehenen Zusammenspiels zwischen Bundesfinanzierung und Landesverwaltung: Zahlreiche Probleme der Vollzugsverflechtung zwischen Bund und Ländern, die bis heute eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, wurden hier erstmals sichtbar (vgl. Art. 120a GG) und diskutiert.[208]

      38

      Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes

      Prägend für die weitere Verwaltungsrechtsentwicklung war aber vor allem auch das Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes (BBauG) vom 23.6.1960.[209] Das BBauG schob gegenüber dem Landes-Baupolizeirecht nunmehr die Bauleitplanung in den Vordergrund, erzwang mit §§ 14 ff. und §§ 29 ff. BBauG aber auch eine gewisse Vereinheitlichung und Strukturierung der nach wie vor landesrechtlich geregelten Baugenehmigungsverfahren. Damit trat in den 1960er Jahren mit dem (1986 zum BauGB umgewandelten[210]) BBauG auch das letzte „große Referenzgebiet“[211] des besonderen Verwaltungsrechts (neben den „klassischen“ Referenzgebieten Polizei- und Ordnungsrecht, Kommunalrecht und [damals noch] Beamtenrecht und Straßenrecht) auf den Plan.[212] In dem vielfach nur als „BVerwGE 34, 301“ zitierten Urteil des BVerwG vom 12.12.1969[213] erfolgte dann die Aufwertung des unscheinbaren Satzes im § 1 Abs. 4 S. 2 BBauG, dass bei der Bauleitplanung „die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“ sind, zum Angelpunkt der Abwägungsdogmatik. In dieser Entscheidung findet die gesamte spätere Entwicklung zum Planungsermessen, Abwägungsgebot und zur Abwägungsfehlerlehre und damit letztlich auch die Entwicklung des Bau- und Fachplanungsrechts als eigenes Rechtsgebiet seinen Ursprung.[214] Im Lichte dieser Entscheidung kann das Inkrafttreten des BBauG damit auch als Ausgangspunkt der Entwicklung des „Plans“ zu einer eigenständigen Handlungsform verstanden werden.[215] Damit stehen „BVerwGE 34, 301“ und die Ergänzung des BBauG durch das Städtebauförderungsgesetz vom 27.7.1971[216] für den Übergang zur nächsten Epoche der Entwicklung des Verwaltungsrechts in der Bundesrepublik.[217]

      39

      Gesetzgebung als Motor der Verwaltungsrechtsentwicklung

      Die Verwaltungsrechtsentwicklung der 1970er und 1980er Jahre ist im Wesentlichen von gesetzgeberischen Aktivitäten und ihrer Verarbeitung durch Rechtsprechung und Wissenschaft geprägt. Einerseits wurde so mit Erlass der Verwaltungsverfahrensgesetze und des (dann gescheiterten) Staatshaftungsgesetzes das zuvor in Zusammenarbeit von Rechtsprechung und Schrifttum Geschaffene kodifiziert und damit aber wohl auch ungewollt versteinert.[218] Andererseits wurde insbesondere mit Erlass des BImSchG von 1974 das Umweltrecht als eigenes „Rechtsgebiet“ etabliert, das als „Umwelt- und Planungsrecht“ prägend für die öffentliche Wahrnehmung sowohl für die Leistungsfähigkeit des deutschen Verwaltungsrechts als auch für die Problematik von Vollzugsdefiziten werden sollte.[219] Jedoch bahnte sich im Kriegsdienstverweigerungs- und Asylverfahrensrecht eine Diskussion über die Frage an, ob gerichtlicher Individualrechtsschutz in dem bisher gewährten Umfang nicht sowohl zu einer Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit führt als auch die Durchsetzung für vorrangig erachteter Politikziele unangemessen behindert.[220] Damit wurde erstmals die Berechtigung der auf die Schaffung und den Ausbau des Individualrechtsschutzes ausgerichteten „Neugründung“ des deutschen Verwaltungsrechts nach 1949 in Frage gestellt.

      40

      Verwaltungsverfahrensgesetze

      Die bis Ende der 1950er Jahre zurückreichende Entstehungsgeschichte des umfassend vorbereiteten VwVfG, seine Regelungsanliegen und seine Verknüpfung mit dem Erlass der AO 1977 und dem SGB I und X sind oft nachgezeichnet worden, sodass hierauf verwiesen werden kann.[221] Rückblickend mag maßgeblich für das weitgehende Gelingen dieses Kodifikationsprojekts gewesen sein, dass sich nach den Vorstellungen der Gesetzesverfasser das VwVfG nicht auf eine Aufzählung von Rechten des Bürgers in Verwaltungsverfahren gegenüber der Verwaltung beschränkt, sondern ein „handfestes Verfahrensrecht“[222] gerade auch für die Fachverwaltung und damit eine Grundlage für die tägliche Verwaltungsarbeit geschaffen werden sollte. Das VwVfG bietet damit (mit Ausnahme der §§ 54 ff. VwVfG[223]) vor allem für die Behörde ein strukturiertes und rechtsverbindliches Arbeitsprogramm (in vergleichsweise präziser Sprache unter Vermeidung von Generalklauseln), das insgesamt auf eine Reduzierung von Komplexität durch schrittweises und planvolles Vorgehen gerichtet[224] und – wie § 24 Abs. 2 VwVfG deutlich zeigt – nicht von einer „Gegnerschaft“ von Behörde und Bürger geprägt ist: Die Behörde hat die Rechte des Betroffenen bei der Entscheidung von sich aus zu beachten.[225] Als Arbeitsgrundlage für die Verwaltung verstanden setzte das VwVfG damit einen deutlichen Kontrapunkt gegenüber der sich auf die Rechtsschutzperspektive fokussierten Verwaltungsrechtswissenschaft.

      41

      

      Auswirkungen des VwVfG auf die Verwaltungsrechtswissenschaft

      Die wissenschaftliche Befassung mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht fokussierte sich mit seinem Inkrafttreten jedoch immer mehr auf das VwVfG und die nunmehr in seinem Kontext zu lesende VwGO. Zum einen bewirkte dies, dass auch das Verwaltungsverfahren letztlich primär aus der Gerichtsperspektive – nämlich im Hinblick auf die Frage der Folgen von Verfahrensfehlern (§ 45, § 46 VwVfG und § 44a VwGO) – betrachtet wurde.[226] Dadurch geriet das eigentlich Neue am VwVfG – die Durchstrukturierung des behördlichen Entscheidungsprozesses und die Schaffung von Einwirkungsmöglichkeiten des Bürgers auf diesen Entscheidungsprozess[227] – vielfach aus dem Blick. Zudem gab es mit dem VwVfG zum ersten Mal nun auch ein – mit bundesweiter Wirkung – „kommentierbares“ Gesetz im allgemeinen Verwaltungsrecht. Dies bewegte die Verwaltungsrechtswissenschaft dazu, sich vermehrt mit der Frage zu beschäftigen, wie dieses Gesetz im Einzelnen auszulegen ist, was sich gegenüber dem früheren Rechtszustand geändert hat und wie die hierzu ergangene Rechtsprechung zu verstehen ist. Das VwVfG wurde zum „Grundgesetz der Verwaltung“.[228] Nahezu zwangsläufig konnten daher die führenden Lehrbücher aus der frühen Phase der Bundesrepublik seit dem Inkrafttreten des VwVfG keine (wirkliche) Neuauflage mehr erleben.[229] Sie wurden durch neue Lehrbücher „ersetzt“, die von Anfang an das VwVfG in den Mittelpunkt stellten.[230] Aufgrund dieser Fokussierung auf das VwVfG geriet teilweise aus dem Blick, dass die Rechtsentwicklung außerhalb seines Anwendungsbereichs weiterging[231] und es gerade oft die einzelnen Zweige des besonderen Verwaltungsrechts sind, in denen sich Innovationen zeigen und bewähren (oder scheitern) können.[232] So hat das VwVfG teilweise den Blick auf neue Entwicklungen verstellt. Anders als dies Absicht der Gesetzesverfasser war,[233] wurde es vielfach nicht nur als „Zwischenschritt“ bei der Weiterentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts gesehen, sondern als letztlich abschließende Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts, die als gegenteilige gesetzgeberische Entscheidung der Anerkennung weitergehender Verfahrensrechte und damit der Fortentwicklung des Verfahrensrechts entgegengehalten wurde.[234] Die „rechtsschöpferische Kreativität“ der 1950er und 1960er Jahre[235] schien der Verwaltungsrechtswissenschaft daher mit Inkrafttreten des VwVfG teilweise verloren gegangen zu sein. Sie wurde mehr und mehr gesetzes- und rechtsprechungs-positivistisch geprägt. Dies hat zu einer gewissen Versteinerung sowohl des „Themenkatalogs“ verwaltungsrechtlicher Forschung als auch der vorgeschlagenen Lösungen geführt.[236]

Скачать книгу