Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Du hast heute und morgen keine Zeit?« Natascha machte gar nicht erst den Versuch, ihre Enttäuschung zu verbergen.
»Bitte nicht traurig sein«, bat Manfred schuldbewusst. »Dafür gehört das ganze nächste Wochenende uns. Ich schwöre!« Zum Beweis reckte er Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in die Höhe.
Natascha hatte den Kopf weggedreht und starrte sekundenlang auf die bunten Blumen in den Kästen und Töpfen um sich herum, und einen Moment fürchtete Manfred, dass sie in Tränen ausbrechen könnte. Das hätte er nicht verkraftet, nicht in seiner derzeitigen Lage. Aber als sie sich ihm wieder zuwandte, wirkte sie glücklicherweise entspannt.
»Na ja, eigentlich ist es ganz gut so. Ich hab auch noch jede Menge zu korrigieren und muss noch eine Klassenlektüre auswählen. Dazu sollte ich ein paar englische Bücher lesen, die zur Wahl stehen. Ich kenne nur eines davon«, lächelte sie tapfer. »Und dazu komme ich nur, wenn du mich nicht ständig ablenkst.«
Manfred rang sich ein Lächeln ab.
»Ich weiß gar nicht, womit ich so eine tolle Frau verdient habe«, murmelte er gerührt und griff nach ihrer Hand, um sie an seine Lippen zu ziehen und zu küssen. Dann sah er auf seine Armbanduhr, ein Geschenk von Natascha. »Oh, schon so spät. Ich muss los. Vielen Dank für das tolle Frühstück.« Schnell leerte er seine Kaffeetasse, küsste Natascha noch einmal und eilte dann hinein. Um sie nicht misstrauisch zu stimmen, hatte er eine Sporttasche gepackt. Sie stand im Flur, und gleich darauf fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Natascha saß am Frühstückstisch und sah ihrem Verlobten verwirrt nach. Den Sturz hatte sie längst vergessen, und sie fragte sich, ob es tatsächlich nur die Arbeit war, die Manfred so veränderte? War er gestresst? Eine vage Angst kroch ihr über den Rücken. In ihren Augen war Manfred viel zu lange Single gewesen. War es möglich, dass er Angst vor der eigenen Courage bekam und seinen Heiratsantrag bereute? War er deshalb so still und in sich gekehrt?
*
»Ich habe Ihre Telefonnummer im Notizbuch meiner …, meiner … Bekannten gefunden. Sie müssen sofort kommen!« Dieser Notruf ereilte Dr. Norden am Samstagmorgen noch vor dem Frühstück. »Irgendwas stimmt nicht mit Martha.«
Daniel Norden ließ sich die Symptome schildern und gab dem aufgeregten Mann am anderen Ende der Leitung Anweisungen, wie er seiner Patientin bis zu seiner Ankunft helfen konnte.
»Wartet nicht auf mich!«, beschied er seiner Familie und drückte seiner Frau einen hastigen Kuss auf die Lippen.
»Soll ich fahren?«, bot Danny großzügig an.
Er war gerade dabei, sämtliche Utensilien für ein gemütliches Familienfrühstück zusammenzusuchen.
Doch Daniel winkte ab.
»Schon gut. Ich werde die Gelegenheit nutzen und nach dem Krankenbesuch in die Klinik fahren. Einer meiner Patienten leidet unter seltsamen neurologischen Ausfällen, die heute abgeklärt werden sollen«, erwiderte er und schlüpfte rasch in das Polohemd, das er gerade anziehen wollte, als das Telefon geklingelt hatte.
»Am Samstag?«, fragte Anneka, die zweitälteste Tochter der Familie Norden verwundert.
Dass ihr Vater am Wochenende Hausbesuche machte und Notfälle betreute, war Alltag für die Arzttochter. Dass aber aufwändige Untersuchungen in der Klinik auf freie Tage gelegt wurden, war ihr neu.
»Jenny macht eine Ausnahme für Herrn Holler. Er ist Lehrer und will nicht, dass seine Schüler auf Unterricht verzichten müssen.«
»Sehr pflichtbewusst, der Mann«, stellte Fee anerkennend fest.
Sie trat zu Daniel und schlug fürsorglich den Kragen seines Hemdes herunter. Eine Hand auf seiner Brust, küsste sie ihn zärtlich.
»Ich könnte mir vorstellen, dass seine Schüler anderer Meinung sind«, stellte Danny grinsend fest und drückte seinem großen Bruder Felix, der gerade verschlafen und mit strubbeligen Haaren in die Küche getappt kam, kurzerhand das volle, schwere Tablett in die Hand. »Da, das ist dein Job. Ich hab meine Familienpflichten für heute schon erfüllt.« Wie zum Beweis gurgelte und blubberte die Kaffeemaschine im Hintergrund.
»Sklaventreiber. Ich schlafe noch«, murrte Felix und sah Anneka auffordernd an. »Und du? Was ist mit dir?«, fragte er, ganz offensichtlich auf der Suche nach einem geeigneten Opfer, um diese Arbeit zu delegieren. »Hast du heute schon was für das Allgemeinwohl gemacht?«
»Ich hab Semmeln geholt«, kam die in Felix’ Ohren unerfreuliche Nachricht, und Anneka schnitt ihm eine triumphierende Grimasse.
»Bleiben immer noch die Zwillinge. Tisch decken ist eine gute Arbeit für vier flinke kleine Hände.«
»Dési mäht den Rasen und Jan recht zusammen«, machte Fee ihren Zweitältesten auf die gedämpften Motorengeräusche aufmerksam, die durch die geöffnete Terrassentür drangen.
»Was ist denn nur mit euch allen los? Warum seid ihr schon so dynamisch am frühen Morgen?« Die Verwirrung stand Felix ins zerknautschte Gesicht geschrieben.
»Erstens ist es schon nach zehn. Von frühem Morgen kann also keine Rede sein. Außerdem sind wir eben alle vernünftiger als du und treiben uns nicht die halbe Nacht auf irgendwelchen Partys rum«, konterte Anneka unbarmherzig.
»Dafür verpasst ihr auch das Beste vom Leben!«
»So siehst du aber im Augenblick nicht aus«, lachte Danny schadenfroh. »Eher, als wärst du in einer Folterkammer gewesen.« Er hatte leicht lachen. Seit er eine feste Freundin hatte, gab es für ihn keinen Grund mehr, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen.
Auf dem Weg zum Wagen hörte Daniel noch ein unwilliges Schnauben und das fröhliche Gelächter seiner Familie. Er bedauerte es zutiefst, nicht am gemeinsamen Frühstück teilnehmen zu können, das in der Familie Norden am Wochenende ein besonderes Ritual war.
Doch wie immer ging die Pflicht vor, und er fuhr auf schnellstem Weg zu Martha Bremer. Seit einigen Jahren war die ältere Dame Diabetikerin und hatte Probleme, die Kontrolle über die Zuckerkrankheit zu behalten, was auch an ihrem unglaublichen Sturkopf lag.
»Mein Name ist Oliver Herrmann.« Der Arzt wurde bereits sehnsüchtig erwartet. Ein gut gekleideter älterer Herr stand ein wenig verlegen an der Tür des kleinen Siedlerhauses mit dem spitzen Dach. Er mochte um die 60 Jahre alt sein und wirkte völlig verunsichert. »Ich bin Marthas Bekannter.« Es war ihm ganz offensichtlich ein bisschen peinlich.
»Wo ist Frau Bremer?«, fragte Daniel. Wenn es sich um das handelte, was er vermutete, hatte er keine Zeit zu verlieren.
»Im Wohnzimmer auf dem Sofa.« Oliver Herrmanns dunkle Stimme zitterte ein wenig. »Bitte kommen Sie schnell.«
Dr. Norden kannte den Weg und zögerte nicht. Als er das Wohnzimmer betrat, fiel sein Blick sofort auf die für gewöhnlich sehr resolute Dame, die trotz ihres Alters immer noch großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte. Auch an diesem Morgen war ihr feines Gesicht zart geschminkt, und die Frisur saß ebenso perfekt wie das fliederfarbene Twinset, das sie trug. Allein ihre schreckgeweiteten, unruhigen Augen wollten nicht recht zu ihrem tadellosen Äußeren passen.
Als