Die großen Literaten der Welt. Katharina Maier
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Wir wissen heute so gut wie nichts vom Leben der Ono no Komachi. Nicht einmal ihre Lebensdaten sind gesichert; der Herausgeber der Kokin-wakashū erwähnt nur, dass sie »vor Kurzem« gelebt hätte. Vermutlich aber entstanden die erhaltenen tanka um 850. Die Stadt Ogachi in Akati nennt sich selbst die Geburtsstadt der Liebeslyrikerin; dort steht der Komachi-Schrein, jedes Jahr findet das Komachi-Festival statt und eine Reisart aus der Gegend von Akati trägt den Namen der großen Dichterin. Vermutlich war Ono no Komachi eine niederrangige Hofdame oder möglicherweise Konkubine am Hof von Kaiser Nimmyō (Regierungszeit von 833–850). Um die Jahrhundertmitte stand sie wohl in regem persönlichen Kontakt mit anderen führenden Dichtern der Zeit, mit denen ihr auch das ein oder andere Liebesverhältnis nachgesagt wird – und, liest man ihre spielerischen Gedichte, scheint eine solche Annahme gar nicht so weit hergeholt:
Im wachen Leben
mag es ja wohl so gelten.
Aber noch im Traum
meinen, anderer Blicke
scheuen zu müssen: trostlos!
Und genau an diesem Punkt beginnen die Legenden und Fiktionen, die Ono no Komachi bis zum heutigen Tag umgeben. Sie soll eine außergewöhnliche Schönheit gewesen sein, eine Meisterin des höfischen Liebesspiels und eine (sexuell) selbstbewusste femme fatale – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Wie die Legende erzählt, erlegte sie einem Verehrer auf, 100 Nächte vor ihrer Tür zu verharren, ehe sie ihn erhören würde; als der Verliebte eine Nacht aufgrund des Todes seines Vaters nicht vor dem Zimmer seiner Angebeteten verbringen konnte, starb er aus Verzweiflung, sein begehrtes Ziel nun nie erreichen zu können. Ono no Komachi wiederum zerbrach fast an der Trauer um den Tod ihres Verehrers. Eine andere Version der Geschichte lässt den Liebenden vor der Tür der kaltherzigen Dichterin erfrieren und Ono no Komachi zur Strafe als alte und hässliche Frau allein durchs Land ziehen und vereinsamt sterben. Eine wieder andere Tradition spricht der alten, wandernden Weisen Frau die magische Fähigkeit zu, die überirdische Schönheit ihrer Jugend wieder annehmen zu können, um junge Männer in ihren Bann zu ziehen. Solche Gestalt gibt Ono no Komachi etwa das Schauspiel Sotoba Komachi von Yukio Mishima (1925-1970) aus dem Jahr 1960. Doch bereits im auf die Heian-Periode folgenden japanischen Mittelalter wurde das Leben oder besser: die Legende Ono no Komachis gerne fiktional bearbeitet, etwa in Kurzgeschichten und den damals zu voller Blüte kommende noh-Dramen. Über die Jahrhunderte ist sowohl die schöne, kapriziöse als auch die gebrochene alte Dichterin ein beliebtes Motiv der japanischen Malerei in all ihren Formen geblieben. Der jüngste ›fiktionale Gastauftritt‹ der großen Poetin geschah 2003 in Form eines australischen Ein-Personen-Stücks von Christie Niemann mit dem Titel Call me Komachi (›Nennt mich Komachi‹)1. Bis heute ist Ono no Komachi in Japan ein Symbol sowohl der Schönheit als auch deren irdischer Vergänglichkeit. So verliert sich die historische Gestalt der Dichterin in den Legenden und Fiktionen, die sie umranken, so dass das folgende klagende Liebesgedicht fast als ein Kommentar des posthumen Schicksals der Poetin gelesen werden kann:
Bin ich selbst denn
nicht zu finden? O blindes
Tasten nach der Spur,
seit der Erwartete mich
aus seinem Herzen verlor.
Doch die Spur Ono no Komachis verliert sich nicht wirklich, denn sie lässt sich entdecken in ihren unsterblichen Gedichten, den spielerischen wie den wehmütigen, die in ihrer kurzen Einfachheit ein ganzes Leben fassen:
Farbiges Blühen,
wehe, es ist verblichen,
da ich leeren Blicks
nachtlang in ewigem Regen
mein Leben verrauschen sah.
Wichtige Werke:
18 tanka aus der Anthologie Kokin-wakashū (905)
1 Die Heian-Periode ist benannt nach der damaligen imperialen Hauptstadt Heian Kyo, dem heutigen Kyōtō, Sitz des kaiserlichen Hofes und kulturelles Zentrum.
1 Der Titel des Dramas spielt auf den ersten Satz von Herman Melvilles (1819-1891) berühmten Roman Moby Dick (1851) an: »Call me Ishmael – Nennen Sie mich Ismael.«
(ABŪ ‘ABDOLL H DJA’FAR BEN MOHAMMAD) RŪDAKĪ
(UM 859–941)
Eine Million und Dreihunderttausend Verse – Der König der Dichter
Abū ‘Abdollāh Dja’far ben Mohammad Rūdakī wird im Allgemeinen als der Begründer der Dichtung im Neupersischen (Dari, Parsi, Farsi) betrachtet. Obwohl von seinem legendenumwobenen Diwan1 nur ein Bruchteil überliefert ist, wurde der Poet, Sänger und Musiker in verschiedenen Epochen der persischen Literaturgeschichte als ›König der Dichter‹ verehrt, und sein Meisterwerk Kalīla wa Dimna (›Kalila und Dimna‹) gilt als einer der wichtigsten Texte in Farsi.
Unter den Samaniden-Herrschern im 9. und 10. Jahrhundert kam es im persischen Kulturkreis zu einer Art Zeitenwende und zur Entwicklung einer neuen Art von Dichtkunst, die versuchte, die neue islamische Poesie mit der alten, vorislamischen Tradition zu verbinden. Außerdem etablierte sich mit Farsi (von Fārsī-e Darbārī, d. i. ›Sprache des königlichen Hofes‹) eine neue Schriftsprache, die auf einem arabisch-persischen Alphabet basierte. Zum ersten hervorragenden Dichter dieser Sprache, die sich im Mittelalter zur bedeutendsten Literatur- und Gelehrtensprache der islamischen Welt entwickeln sollte, wurde Abū ‘Abdollāh Dja’far ben Mohammad Rūdakī, der somit die poetologischen Regeln des Farsi entscheidend mitdefinierte. So etwa geht die Farsi-Reimordnung auf den Diwan Rudakis zurück.
Es existieren vergleichsweise viele Überlieferungen das Leben Abū ‘Abdollāh Dja’far ben Mohammad Rūdakīs betreffend (der Beiname verweist auf seinen Geburtsort Rūdak bei Samarkand); dennoch oder gerade deswegen sind Fakt und Legende unauflöslich miteinander verwoben. Sicher ist, dass Rūdakī Hofdichter des Samanidenkönigs Nasr II. (Regierungszeit 914–933) in Bukhara (Bochara) war. Berichte über die Jugend des Farsi-Poeten sind weniger verbürgt; dem Chronisten ‘Awfi, einem Zeitgenossen des Dichters, zufolge, zeigte Rūdakī seine ungewöhnliche Begabung schon früh: Als Achtjähriger soll er den gesamten Koran auswendig gewusst und bald darauf erste Gedichte verfasst haben. Seine ausgesprochen schöne Singstimme verhalf Rūdakī zur Bekanntschaft mit dem berühmten und hochgeehrten Flötisten Bakhtiar, dessen Schüler er wurde und dessen Erbe er schließlich antrat. Rūdakīs ungeheure Gelehrsamkeit, sein immenses musikalisches wie poetisches Talent