Die großen Literaten der Welt. Katharina Maier
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Der große Roman der Murasaki Shikibu erzählt, wie sein Titel schon sagt, die Abenteuer des fiktiven ›strahlenden Prinzen‹ Genji, welche in erster Linie Liebesabenteuer sind. Die letzten 12 Bücher handeln allerdings von seinen Nachkommen: seinem angeblichen Sohn Kaoru und seinem ihm so ähnlichen Enkel Niou und ihrer Rivalität in persönlichen wie in Liebesangelegenheiten. Der Kern des Romans ist die Begegnung Genjis mit Murasaki no Ue, die er sich zur idealen Gattin formt und deren Tod ihn, wenn nicht gebrochen, so doch jeden ›Strahlens‹ beraubt, zurücklässt. Der Roman entwickelt sich von einem märchenhaften, leichtherzigen Anfang über den melancholischen Ausklang von Genjis Leben und dem unglücklichen Dreiecksverhältnis zwischen Kaoru, Niou und dem Mädchen Ukifune hin zu einem dunkel-schwermütigen Ende. Das monumentale Werk wird so von einem in idealisierendem Realismus gehaltenen Gemälde der frivolen wie kultivierten Adelsschicht zu einem komplexen Seelenporträt dreier unglücklicher Menschen. Er zeichnet sich durch emotionale Sensibilität, durch eine einfühlsame Wahrnehmung der sozialen Umwelt und nicht zuletzt durch gefühlstiefe Naturschilderungen aus. Die Handlung erstreckt sich über fast ein Jahrhundert, umfasst mehr als 400 Charaktere, von denen jeder mit kluger psychologischer Genauigkeit gezeichnet ist, und verzweigt sich in vielschichtige plot-Stränge. Zusammengehalten wird das epochale Werk durch Murasaki Shikibus sprachliche Präzision und ihren ausgesprochen flüssigen Stil. Die Geschichte des Prinzen Genji begeistert ihre Leser bis heute, auch wenn sie im Westen erst in neuerer Zeit Anklang fand. Sie ist ohne Zweifel der bedeutendste der monogatari, der klassischen japanischen Romane, und machte Murasaki Shikibu zu einer der ganz Großen der Erzählliteratur.
Wichtige Werke:
Genji monogatari (Die Geschichte vom Prinzen Genji, um 1003–1010)
Murasaki Shikibu nikki (Tagebuch der Murasaki Shikibu, 1008–1010)
1 Auch Murasaki Shikibu verfasste Gedichte, von denen 128 in der Sammlung Murasaki Shikibu shū zu finden sind.
(ABŪ MUHAMMAD AL-QĀSIM) AL-HARĪRĪ
(1054–1122)
Wie ein Regenguss – Der sprachgewandte Schelm
Die Makāmen (al-Maqāmāt, 1101–1107) von Abū Muhammad al-Qāsim al-Harīrī gelten heute wie vor 900 Jahren als das Meisterwerk der arabischsprachigen Literatur. Und auch der Einfluss dieser sprachgewaltigen Schelmengeschichten auf die Weltliteratur kann kaum zu hoch eingeschätzt werden, wenn er auch ein eher indirekter, vermittelter gewesen sein mag.
Abū Muhammad al-Qāsim, der unter dem Beinamen al-Harīrī, ›der Seidenhändler‹, bekannt ist, war ein arabischer Dichter und Sprachgelehrter. Er verfasste philologische Werke, unter anderem ein grammatikalisches Lehrgedicht und die Abhandlung Die Perle des Tauchers über die Sprachfehler der Gebildeten (Durrat al-gawwās fī auhām al-hawāss), in der er seinen schneidenden Witz und seine messerscharfe Sprachpräzision einsetzte, um die ›Sprachdummheiten‹ bloßzulegen, mit denen die angeblich Gebildeten in Wort und Schrift – seiner Meinung nach – die klassische arabische Literatursprache verunreinigten1. Während der Sprachgelehrte al-Harīrī die Annäherung der arabischen Umgangs- und Hochsprachen nicht aufhalten konnte, machte der Dichter al-Harīrī seine ›reine Diktion‹ mit seinen Makāmen unvergänglich.
Über das Leben al-Harīrīs ist wenig überliefert. Es scheint jedenfalls nicht sonderlich ereignisreich gewesen zu sein. Der große Sprachmeister wurde geboren und starb auf der Dattelpalmenplantage seiner Familie nahe der Hafenstadt Basra, wo er vermutlich studierte. Später wurde er Vorsteher des Post- und Nachrichtendienstes von Basra, eine Aufgabe, die ihn des Öfteren nach Bagdad geführt haben dürfte. Ansonsten führte der Sohn einer reichen Familie das Leben eines freien Gelehrten. Seine Makāmen, die aus 50 Einzelgeschichten bestehen und zwischen 1101 und 1107 als geschlossenes Gesamtwerk entstanden, verfasste der Dichter wohl im Auftrag eines Wesirs (Minister); die Überlieferung erzählt allerdings, al-Harīrī sei eines Tages in einer basrischen Moschee einem zerlumpten, aber ungeheuer sprachgewandten und gebildeten alten Mann namens Abū Zaid aus der Stadt Sarūğ in Nordsyrien begegnet – den der Dichter dann zu dem pikaresken Helden seiner Makāmen machte.
Makāmen bzw. Maqāmāt sind ein spezifisch arabisches Genre, das auf die mittelalterliche Straßenunterhaltung zurückgeht (der Begriff maqāmāt wird üblicherweise mit ›Bettleransprachen‹ oder ›Straßenpredigten‹ übersetzt). Es handelt sich um Geschichten in Reimprosa und/oder lyrischem Vers, vorgetragen von einem Erzähler, der jede Makāme traditionellerweise mit der Formel »Mir berichtete …« einleitet und die Schelmereien und Gaunereien einer eulenspiegelhaften Figur wiedergibt. Der schelmische Held der Maqāmāt – zumeist Bettler, Gelehrter und Galgenvogel in einer Person1 – schwindelt sich üblicherweise durch alle Fährnisse hindurch. Nichtsdestotrotz konstituieren die Geschichten in der Regel realistische Erzählungen, die den Alltag des Volkes und vor allem auch dessen Schattenseiten thematisieren. Begründet wurde das literarische Genre der Maqāmāt von dem ›Wunder der Zeit‹ Badī as Samān al-Hamadhāni (968–1008), der neben al-Harīrī der berühmteste und bedeutendste Vertreter dieses Genres ist; üblicherweise wird al-Hamadhāni die größere Originalität und Kreativität im Umgang mit den der mündlichen Überlieferung entnommenen Stoffe zugesagt, dem ›Seidenhändler‹ dagegen die überlegene Sprachvirtuosität. Al-Harīrī kann seine Inspiration durch den großen Vorgänger nicht verleugnen (gelegentlich übernimmt er den Inhalt gewisser Episoden kurzerhand von al-Hamadhāni), doch vergleicht er selbstbewusst den ersten Maqāmāt-Dichter mit einem Tröpfeln, sich selbst dagegen mit einem Regenguss2. – Diese wenig bescheidene Analogie ist durchaus berechtigt; al-Haīrīs Makāmen sind – um den Metaphernbereich zu wechseln – ein Feuerwerk von Sprachwitz und Bildgewalt, von lyrischen Kunststücken und geistreichen Gedankenspielen. Die in eleganter, komplexer Reimprosa verfassten Erzählungen sind durchsetzt mit Gedichten, ausgeklügelten Rätseln, religiösen und sprachphilosophischen Reflexionen, einer Vielzahl von Anspielungen auf die arabische Literatur, Kultur und Geschichte und nicht zuletzt mit Formspielen und -witzen, wie sie nur in der arabischen Schrift möglich sind1. Berühmt ist etwa die sogenannte ›krebsgängerische‹ Makāme2, in der al-Harīrī 100 gereimte arabische Sprichwörter so aneinanderreiht,