Gesammelte Werke von Sacher-Masoch. Леопольд фон Захер-Мазох

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Gesammelte Werke von Sacher-Masoch - Леопольд фон Захер-Мазох

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mit wallendem weißen Haupthaar und strömendem weißen Barte und weißen Brauen, und großen, drohenden, finsteren Augen, welche er gleich einem Rächer, einem Richter auf uns haften ließ. Sein härenes Gewand war vielfach geflickt und zerrissen, von seiner Schulter hing eine Kürbisflasche, er stützte sich auf einen Pilgerstab und winkte traurig mit dem Haupte. Dann trat er heraus, hob den todten Adler auf, dessen warmes Blut über seine Finger rieselte, und betrachtete ihn schweigend.

      Der Heger bekreuzte sich.

      »Es ist ein Wanderer«, flüsterte er mit gehemmtem Athem, »ein Heiliger.«

      Hierauf hing er leise seine Flinte um und verschwand zwischen den braunen hundertjährigen Bäumen.

      Mein Fuß wurzelte gegen meinen Willen an der Erde, und ebenso beinahe nothgedrungen mußte ich den unheimlichen Greis betrachten.

      Ich hatte oft genug von der seltsamen Sekte gehört, zu welcher er sich zählte und die bei unserem Volke in so großem ehrwürdigen Ansehen steht. Nun konnte ich meine Neugierde befriedigen.

      »Was hast du jetzt davon, Kain!« sprach der Wanderer nach einer Weile zu mir gewendet, »ist deine Mordlust befriedigt, bist du satt vom Blute deines Bruders!«

      »Ist der Adler nicht ein Räuber?« erwiederte ich rasch, »mordet er nicht die kleineren und schwächeren seines Geschlechts, ist es nicht vielmehr ein gutes Werk ihn zu tödten?«

      »Ja er ist ein Mörder,« seufzte der absonderliche Alte, »er vergießt Blut wie Alle, die leben, aber müssen wir es deshalb auch? Ich thue es nicht du aber – ja – ja – du bist auch von dem Geschlechte Kains, ich kenne dich, du hast das Zeichen.«

      »Und du,« sprach ich betreten, »wer bist denn du?«

      »Ein Wanderer.«

      »Was ist das?«

      »Das ist Einer, der auf der Flucht ist vor dem Leben.«

      »Seltsam!«

      »Seltsam, aber es ist die Wahrheit,« murmelte der Greis, legte den todten Adler sanft zur Erde und sah mich theilnehmend an, und jetzt waren seine Augen auf einmal unendlich sanft und wohlthuend.

      »Geh in dich,« fuhr er mit zitternder, mahnender Stimme fort, »sage dich los von dem Vermächtniß Kains, erkenne die Wahrheit, lerne entsagen, lerne das Leben verachten und den Tod lieben.«

      »Wie soll ich der Wahrheit nachfolgen, wenn ich sie nicht kenne. Belehre mich.«

      »Ich bin kein Heiliger,« erwiederte er«,wie sollte ich dich die Wahrheit lehren, aber ich will dir sagen, was ich weiß.«

      Er ging einige Schritte gegen einen faulenden Baumstamm, der auf der Waldblöße lag, und ließ sich auf demselben nieder und ich setzte mich unweit von ihm auf einen moosigen Stein; er stützte das ehrwürdige Haupt in beide Hände und blickte vor sich, und ich ließ die Arme in meinen Schooß sinken und machte mich bereit ihn zu hören.

      »Auch ich bin ein Sohn Kains,« begann er, »ein Enkel Jener, die von dem Baume des Lebens gegessen, und muß es abbüßen und wandern – wandern bis ich frei werde vom Leben. Auch ich habe gelebt und mich meines Daseins thöricht gefreut, und es mit lächerlichen Flittern umgeben, auch ich! Ich habe alles mein genannt, was ein Mensch mit seiner stets unbefriedigten Sehnsucht erfassen mag, und habe erfahren, was im Grunde daran ist. Ich habe geliebt und bin verlacht worden, und mit Füßen getreten, als ich mit ganzem Herzen liebte, und bin angebetet worden, als ich mit Anderer Empfindungen, mit Fremder Glück frevelhaft spielte, angebetet wie ein Gott! Ich habe es erfahren, daß die Seele, die ich mit der meinen verschwistert glaubte, der Leib, den meine Liebe heilig hielt, wie eine Waare in dem abscheulichsten Handel verkauft wurden. Ich habe mein angetrautes Weib, die Mutter meiner Kinder, in den Armen eines Fremden gesehen. Ich war der Sklave des Weibes und Herr des Weibes, und war wie König Salomo, der viele Weiber liebte. Ich bin im Ueberflusse aufgewachsen und hatte keine Kenntniß von der Noth und dem Elend der Menschen, aber über Nacht schwand der Reichthum unseres Hauses, und als ich meinen Vater begraben sollte, war kaum das Geld da für seinen Sarg. Ich habe Jahre gekämpft um das Dasein, habe die Sorge, den Kummer kennen gelernt, und den Hunger und schlaflose Nächte und Angst und Krankheit. Ich habe mit meinen Brüdern um Besitz und Vortheil gerungen, habe betrogen und bin betrogen worden, habe geraubt und bin beraubt worden, habe Anderen das Leben genommen und war selbst dem Tode nahe, Alles um dieses teuflische Gold und Eigenthum, und ich habe den Staat, dessen Bürger ich war, leidenschaftlich geliebt, und das Volk, dessen Sprache ich spreche, und habe Amt und Würde bekleidet und zur Fahne meines Landes geschworen, bin mit zorniger Begeisterung in den Krieg gezogen, und habe Andere gehaßt und verfolgt und getödtet, nur weil sie eine andere Sprache redeten, und habe für meine Liebe nur Schande geerntet, und für meine Begeisterung Spott und Verachtung.

      »Ich habe es auch verstanden, gleich den Kindern Kains, auf Kosten Anderer von dem Schweiße meiner Brüder zu leben, welche ich zu meinen Knechten, meinem Werkzeug erniedrigte, und habe mich nicht bedacht, mit fremdem Blute meine Genüsse und Belustigungen zu bezahlen. Aber ich habe auch mehr als einmal das Joch getragen, die Peitsche gefühlt, für Andere mich gemüht, und habe unermüdlich nach Gewinn gestrebt, und rastlos gearbeitet vom Morgen bis zum Abend, und im angstvollen Traume der Nacht noch meine Zahlen summirt, und bei Tag und Nacht, im Glück und im Unglück, Noth und Ueberfluß habe ich stets nur Eines gefürchtet – den Tod. Ich habe vor ihm gezittert; bei dem Gedanken, von diesem geliebten Dasein zu scheiden, Thränen vergossen; bei dem Gedanken der Vernichtung, mich und die ganze Schöpfung verflucht. O! ich habe entsetzliche Angst gelitten und entsetzliche Qualen, so lange ich noch etwas hoffte.

      »Aber es kam die Erkenntniß über mich. Ich sah den Krieg der Lebendigen – ich sah das Menschenleben, wie es ist – und sah die Welt, wie sie ist.«

      Der Alte nickte mit dem weißen Haupte vor sich hin und versank in Nachdenken. »Und welche Erkenntniß ist dir geworden?« sprach ich nach einer Pause.

      »Die erste große Erkenntniß,« fuhr er fort, »ist die, daß ihr armen thörichten Menschen in dem Wahne lebt, Gott habe diese Welt in seiner Weisheit, Güte und Allmacht so gut als möglich erschaffen und eine sittliche Ordnung in diese Welt gesetzt, und Jener, der böse ist und böse handelt, störe diese Ordnung und diese gute Welt und verfalle der zeitlichen und ewigen Gerechtigkeit. Ein trauriger verhängnisvoller Irrthum! Die Wahrheit ist, daß diese Welt schlecht und mangelhaft und das Dasein eine Art Buße ist, eine schmerzliche Prüfung, eine traurige Pilgerschaft, und alles was da lebt, lebt vom Tode, von der Plünderung des Anderen!«

      »Der Mensch ist also nach deiner Einsicht auch nur eine Bestie?«

      »Allerdings! die vernünftigste, blutgierigste und grausamste der Bestien. Keine andere ist so erfinderisch ihre Brüder zu berauben, zu knechten, und so ist, wohin du blicken magst, im Menschengeschlechte wie in der Natur der Kampf um das Dasein, das Leben auf Kosten Anderer, Mord, Raub, Diebstahl, Betrug, Sklaverei. Der Mann der Sklave des Weibes, die Eltern ihrer Kinder, der Arme des Reichen, der Bürger seines Staates. Alles Mühen, alle Angst ist nur um dieses Dasein, das keinen anderen Zweck hat, als sich selbst. Leben! Leben! will ein Jeder, nur sein Leben weiter fristen und dies unselige Dasein auf Andere fortpflanzen. Und die zweite große Erkenntniß – aber du wirst mich nicht verstehen, Kain!«

      »Vielleicht doch.«

      Der Greis sah mich mitleidig an.

      »Die zweite Wahrheit ist,« sprach er mit sanftem Ernst fort, »daß der Genuß nichts Wirkliches ist, nichts an sich, nur eine Erlösung von nagendem Bedürfniß, von dem Leiden, das dieses schafft, und doch jagt ein Jeder nach Genuß und Glück, und schließlich

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