Die Vampirschwestern 12 - Ruhig Blut, Frau Ete Petete. Franziska Gehm
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Und auch er hatte sie offenbar nicht vergessen, nein, sie sogar in bester Erinnerung behalten. Schließlich bat er sie mit schmeichelnden Worten, nach Bindburg zu kommen und auf seinen Sohn Franz aufzupassen.
Frau Ete Petete drehte den Brief in den Händen und seufzte. Sie fühlte sich sehr geehrt, dass Mihai Tepes ihr seinen Sohn anvertrauen wollte. Doch zur Überraschung und Freude, die der Brief ihr bereitete, schlich sich allmählich eine tiefe, alte Angst. Diese Angst schlummerte seit Jahrhunderten in ihr, doch Frau Ete Petete wusste sie im Zaum zu halten.
Die Vampirsitterin stand auf, trat ans Fenster ihres Budnyks (wie die tropfsteinähnlichen Behausungen der Vampire in Bistrien genannt werden), hielt sich den Brief an die Brust und flüsterte: „Mihasi, Mihasi, du mein süßes, mopsiges Mondgesicht. Niemals werde ich dich vergessen.“ Sie lächelte, als sie an all die unvergleichlichen Momente zurückdachte, die sie mit Mihasi erlebt hatte. Seine ersten Flugversuche. Sein erster Eckzahn. Seine ersten Kritzeleien von blutenden Männlein.
Doch ihr Lächeln verschwand von einer Sekunde auf die andere, als sie sich an das grausame, plötzliche Ende ihrer gemeinsamen Zeit erinnerte. Noch heute, Jahrhunderte später, wurde ihr Körper bei dem Gedanken daran von Angst überflutet. Mihai selbst war damals noch zu klein gewesen, um das alles zu begreifen, geschweige denn, es überhaupt richtig mitzubekommen. Und offenbar hatte er es vollkommen vergessen – sonst würde er sie nicht als Babysitterin für seinen eigenen Sohn nach Deutschland holen wollen.
Mihasi war nicht nur der kleine Vampir gewesen, zu dem Frau Ete Petete am meisten Zuneigung empfand, sondern auch das Vampirbaby, bei dem ihr der größte Fehler ihrer Laufbahn als Nanny passiert war. Ein unverzeihlicher Fehler, der ihr noch jetzt in so mancher Nacht den Schlaf raubte.
Konnte sie Mihai Tepes und seiner Familie mit gutem Gewissen zusagen? Frau Ete Petete überflog ein letztes Mal den Brief. Dann faltete sie ihn zusammen, steckte ihn in die Rocktasche und fasste einen Entschluss.
Babysitterin im Anflug
Der Wind blies stark aus Südost. Graublaue Wolken rollten sich wie Krakenarme über den Bindburger Himmel aus, hatten die Sonne längst umschlungen und verschluckt. Der Lindenweg am nördlichen Rand der Großstadt lag verlassen im Halbdunkel. Kein Mensch, kein Haustier und kein Halbvampir befanden sich mehr auf der Straße oder in den Vorgärten. Eine weiße Plastiktüte taumelte verloren im Wind, wurde immer höher getragen und segelte über die Dächer ihrem Abenteuer entgegen.
Die Plastiktüte war nicht das Einzige, das an diesem stürmischen Abend in hohen Lüften einer unbestimmten Zukunft entgegenschwebte. Eine Babysitterin aus Transsilvanien befand sich im Anflug auf Bindburg. Es war ein Direktflug, und zwar ganz direkt: von der unterirdischen Vampirstadt Bistrien bis in den Lindenweg 23 zur Familie Tepes.
Die fliegende Babysitterin drehte noch ein paar Runden über dem Haus, als würde sie zögern und im letzten Moment abdrehen und davonfliegen. Doch schließlich ging sie zum Sinkflug über und landete kurz darauf sanft und elegant auf der Terrasse von Familie Tepes.
Mihai Tepes hatte sie bereits sehnsüchtig erwartet und öffnete ihr die Terrassentür.
„Boi Searo!“, rief er. „Welch unsagbar große Freude, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen! Wie war der Flug?“ Er streckte den Arm aus und gab der Babysitterin eine Kopfnuss, die diese mit formvollendeter Bewegung erwiderte.
„Datiboi. Der Flug war trotz einiger Turbulenzen äußerst angenehm“, erwiderte Frau Ete Petete.
„Boi venti!“, hieß Frau Tepes die weit gereiste Babysitterin auf Vampwanisch willkommen und reichte ihr die Hand.
Silvania, Daka und Franz starrten die Babysitterin an. Sie sah aus wie ein Ausrufezeichen, das auf dem Kopf stand. Der schwarze, große Dutt ganz oben auf ihrem Kopf bildete den Punkt. Ihre Kleidung war altmodisch, aber tadellos rein und gebügelt. Nur der Leberfleck rechts oberhalb der Lippe schien aus der Reihe zu tanzen.
„Sie sind also Frau Ete Petete. Wir freuen uns sehr, dass Sie die weite Reise auf sich genommen haben, um auf unseren Franz aufzupassen. Mein Mann hat nur so von Ihnen geschwärmt“, sagte Frau Tepes.
Kurz trübten sich Frau Ete Petetes Augen, dann blinzelte sie. „Hat er das? Nun ja, das freut mich selbstverständlich. Auch ich habe den kleinen Mihasi in allerbester Erinnerung.“
„Mihasi?“, platzte es aus Daka heraus, bevor sie sich lachend krümmte. Auch Silvania konnte kaum an sich halten. Franz wusste zwar nicht, worum es ging, freute sich aber, dass sich seine Schwestern so freuten.
„Was soll denn das? Jetzt seid doch nicht so albern.“ Mihai Tepes hob beschwichtigend die Hände.
Frau Ete Petete ging auf die drei Halbvampire zu. „Ihr seid also Mihasis Kinder.“
Kaum hatte sie „Mihasi“ gesagt, prusteten Silvania und Daka abermals los. Franz gluckste.
„STRUNZ!“ Frau Ete Petete stampfte einmal mit dem Fuß auf, sodass der Wohnzimmerboden bebte.
Franz verschluckte sich vor Schreck beim Glucksen und bekam einen Schluckauf. Silvania und Daka verstummten augenblicklich.
„Oder RUHE, falls ihr kein Vampwanisch versteht“, fügte Frau Ete Petete hinzu. Sie zog die schwarze Weste nach unten und reckte das Kinn. „Ich bin ab heute eure Nachtmutter. Oder Babysitterin oder Nanny – ihr könnt es nennen, wie ihr wollt. Von absoluter Wichtigkeit ist nur: Ich übernehme postwendend das Kommando. Meinen Worten ist ohne Widerrede Folge zu leisten. Verstanden?“
Daka runzelte die Stirn. „Moment mal, eigentlich braucht nur Franz einen Babysi–“
„STRUNZ!“ Frau Ete Petete beugte sich zu Daka und flüsterte mit klarer Stimme: „Ohne Widerrede, habe ich gerade gesagt.“ Dann richtete sie sich auf und betrachtete die drei Halbvampire von oben bis unten. „Wie ich sehe, kommt allerhand Arbeit auf mich zu.“
Daka sah fragend zu ihrer Schwester, die nur die Schultern zuckte. Franz machte „Hicks!“.
„Keine Sorge, meine Lieben. Ihr seid jetzt in den besten Händen. Tadelloses Benehmen, angenehmes Äußeres und Schicklichkeit werden nun in diese gute Kinderstube Einzug halten.“ Frau Ete Petete bedachte die Zwillinge mit einem strengen Blick. Kurz bevor sie sich umdrehte, zwinkerte sie Franz zu, der daraufhin hickste.
Frau Ete Petete im Einsatz
Frau Ete Petete war in den Heizungskeller eingezogen. Mihai Tepes hatte ihr einen Klappsarg bereitgestellt und den Heizungskeller mit blutroten Tüchern, einer alten Kommode, Kerzenständern und einer Metallleine, die er mit einem Seidenschal umwickelt hatte, gemütlich eingerichtet.
Die Unterkunft war umsonst, nur um die Verpflegung musste das Kindermädchen sich selber kümmern. Die Blutkonserven, die Mihai Tepes aus dem rechtsmedizinischen Institut mit nach Hause brachte, reichten auf Dauer dafür nicht aus.
Die transsilvanische Babysitterin hatte sich schnell an die Zeitumstellung und die menschlichen Gepflogenheiten im Hause Tepes gewöhnt. Was erstaunlich war, wenn man ihr hohes Alter von 7335 Jahren bedachte. Zunächst hatte sie es vermieden, bei Sonnenschein das Haus zu verlassen. Doch ausgestattet mit einem Sonnenschirm und einer dicken Schicht Sonnencreme, war auch das schon bald kein Problem mehr.