Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Langsam erholte sich Olivia von ihrem Schrecken. Sie strich die Bluse glatt und zupfte in aller Ruhe den Rock gerade, ehe sie aufreizend ruhig sagte: »Tja, tut mir leid, dass du dich zu früh gefreut hast. Jetzt bin ich wieder hier.«
Paul zitterte noch immer, als er vor ihr stand. Einen Augenblick fürchtete Olivia, er würde sie schlagen. Doch dann wandte er sich plötzlich ab und begann, vor ihr hin und her zu wandern.
»Ein Glück, dass du wieder da bist«, brummte er endlich und brachte es nicht über sich, ihr in die Augen zu sehen. »Ich wundere mich ja selbst. Aber ich hab mir Sorgen gemacht.«
Um ein Haar hätte Olivia laut aufgelacht. Dieser Mann und Sorgen? Doch der Ausdruck in seinem Gesicht hielt sie davon ab, und so biss sie sich verlegen auf die volle Unterlippe. Plötzlich wurde ihr Herz schwer. Auf der ganzen Welt gab es niemanden, der sich Sorgen um sie machte. Außer diesem Mann, den sie nicht ausstehen konnte.
»Ich dachte, du bist froh, wenn du mich wieder los bist«, sagte sie und ärgerte sich, dass ihre Stimme zitterte.
»Dachte ich auch«, gab Paul zurück. »Muss wohl an Christine liegen. Sie hat mir das Versprechen abgenommen, auf dich aufzupassen, falls du hier aufkreuzen solltest.«
Olivias Augen wurden rund vor Staunen.
»Das hat sie gesagt?«, fragte sie ungläubig.
Paul beendete seinen rastlosen Marsch und ging in die Küche, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Überall strahlte ihm duftende Sauberkeit entgegen. Doch zu einem Lob konnte er sich nicht durchringen.
Olivia kümmerte das nicht. Sie lief hinter ihm her, um mehr über ihre Mutter zu erfahren.
»Warum?«
»Warum was?« Mit der Flasche in der Hand drehte sich Paul wieder zu ihr um.
»Warum hat sie das gesagt?«
»Weil du, verdammt noch mal, ihre Tochter bist und du ihr nicht halb so egal warst, wie du denkst«, schimpfte Paul und spülte seinen Unmut mit einem großen Schluck Bier hinunter. Erst jetzt bemerkte Olivia die Aufschrift auf der Flasche.
»Alkoholfrei?«, entfuhr es ihr ungläubig.
»Sei bloß still«, warnte Paul sie und ließ sie in der Küche stehen. Eine Weile hörte Olivia, wie er im Wohnzimmer herumkramte, und wollte schon in ihr Zimmer gehen, als er schließlich doch zurückkehrte.
»Da! Lies das!«, verlangte er und hielt ihr ein Blatt Papier hin. »Du kannst doch lesen, oder?«
Ärgerlich riss Olivia ihm das Blatt aus der Hand und überflog es. Als sie die Augen wieder hob, stand Panik darin geschrieben.
»Du hast mich auf dem Gymnasium angemeldet?« Kraftlos sank sie auf einen der Küchenstühle, auf die sie die geblümten Kissen gelegt hatte, die sie in einem Schrank gefunden hatte.
Paul lachte, zum ersten Mal seit Langem zufrieden mit sich und der Welt.
»Toll, nicht? Wir bleiben nur auf Erden, um zu wachsen. Das hat schon Robert Browning gewusst.« Er trank einen Schluck Bier, ehe er die Flasche verächtlich musterte. »Gut ist was anderes.«
Olivia hatte inzwischen nachgedacht.
»Soll das etwa eine Entschuldigung dafür sein, dass du so fies zu mir warst?«, fragte sie argwöhnisch und streckte die Hand aus, um eine Gartenblume in der Vase zurechtzurücken.
»Denk, was du willst«, winkte Paul lässig ab und gesellte sich zu ihr an den Tisch. Die gelungene Überraschung stimmte ihn versöhnlich. »So hübsch wie jetzt war es hier seit Jahren nicht.«
Olivia hörte ihn nicht. Sie starrte auf die Anmeldung fürs Gymnasium.
»Zum letzten Mal war ich vor über einem Jahr auf der Schule«, murmelte sie und warf den Kopf in den Nacken. Trotzig warf sie das Blatt auf den Tisch und starrte Paul herausfordernd an. »Ich geh da nicht hin.«
Damit hatte Paul nicht gerechnet. Er knallte die Flasche auf den Tisch und starrte Olivia ungläubig an.
»Und ob du da hingehen wirst! Weißt du eigentlich, was ich alles auf mich genommen hab deswegen? Meine alten Kollegen getroffen, mich zum Gespött gemacht.«
»Ich hab dich nicht darum gebeten«, fauchte Olivia. Es war die Angst, die sie so hilflos machte. »Komm schon, was willst du dafür von mir? Soll ich woanders wohnen?«
Paul antwortete nicht sofort. Er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, schloss die Augen und schien über eine Antwort nachzudenken. Als er sie wieder öffnete, hatte sich etwas geändert.
»Weißt du, deine Mutter hat dir deinen Namen vielleicht nicht umsonst gegeben. Der Zweig des Ölbaums ist ein Symbol für Frieden und Liebe«, erklärte er heiser. »Außerdem hast du mich an etwas erinnert. An meine Zeit als Oberstudienrat, als ich junge, hoffnungsvolle Menschen in deinem Alter unterrichtet habe …« An dieser Stelle brach er ab.
Olivia sah die Tränen in seinen Augen glitzern. Sie wollte es nicht, aber sie rührten trotzdem an ihr Herz.
»Warum hast du aufgehört damit?«, fragte sie leise.
Doch Paul schüttelte nur den Kopf. Er hob die Flasche an seine Lippen und leerte sie in einem letzten, großen Zug.
»Morgen wird früh aufgestanden. Wir haben noch viel zu tun, bis du nächste Woche mit der Schule anfängst«, beschloss er und erhob sich. Dabei klang er so entschieden, dass Olivia gar nicht daran dachte, ihm zu widersprechen. Mechanisch stand sie auf, sagte gute Nacht und ging in ihr Zimmer.
*
Nichts ahnend, welches Drama sich zwischen ihrem Sohn und seiner Freundin abgespielt hatte, kam Felicitas Norden am nächsten Morgen zu Danny.
Von ihrem Mann hatte sie erfahren, dass die Operation gut verlaufen war. Und auch die Nachtschwester, bei der sie vorher gewesen war, hatte Entwarnung gegeben. Das Fieber des vergangenen Abends war auf einen Normalwert gesunken. So dachte Fee an nichts Böses, als sie das Krankenzimmer gut gelaunt und bewaffnet mit einem Fresspaket von Lenni betrat.
»Guten Morgen, mein Lieber. Wie geht es dir denn?«, begrüßte sie ihren Ältesten strahlend.
»Geht schon«, kam die überraschend übellaunige Antwort.
Fee stutzte und trat ans Bett. Mit der äußeren Fixatur sah Dannys Arm aus wie aus einem Science-Fiction-Film.
»Hey, das klingt aber gar nicht gut.« Ganz besorgte Mutter beugte sich Felicitas über ihren Sohn. »Hast du Schmerzen?«
»Nein.«
»Kreislaufprobleme?« So etwas geschah häufiger nach Operationen. Doch auch das verneinte Danny.
»Die Narkose hab ich gut vertragen.«
»Machst du dir immer noch Sorgen, dass der Arm steif bleiben könnte?«, forschte Fee weiter nach der Ursache für seine schlechte Laune. »Jenny meinte, dass die Gefahr nicht sehr groß ist. Es ist ein