Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Vance Corliss hatte dummerweise keinen Fotografenapparat mit ins Land geschleppt, sonst hätte er sich jetzt die Zeit damit vertreiben können, Aufnahmen von Frona zu entwickeln und ihre Bilder an die Wand seines Zeltes zu hängen. Aber trotzdem sah er sie immer vor sich, so wie sie ausgesehen hatte, als sie ihm zum Abschied winkte: im flammenden Sonnenlicht vor einer dunklen Felswand, eine strahlende junge Gestalt, lächelnd wie der Morgen und in einem Rahmen von funkelndem Gold. Es wich nicht von ihm, dies Bild, aber immer leidenschaftlicher wurde sein Wunsch, das junge Mädchen in Wirklichkeit wiederzusehen, mit dem er seine Decken geteilt hatte. Sie war neu in seinem Leben, sie glich keiner Frau, der er je begegnet war.
Hinter ihm lag eine wohlbehütete Jugend. Immer hatte er in warmen und gut gelüfteten Zimmern gehaust, immer hatte er in Sonnenschein gebadet, wenn das Wetter schön war, und unter trockenem Dach gesessen, wenn es regnete. Als er alt genug geworden war, einen Beruf zu wählen, hatte er sich brav an die Arbeit gemacht und war auf dem geraden Wege geblieben. Das Ergebnis: ein wohlerzogener, netter junger Mann, über dessen Erscheinen sich die Mütter aller jungen Mädchen freuten, ein kräftiger und gesunder junger Mann, der seine Nervenkraft nicht vergeudet hatte; ein sehr gelehrter junger Mann, der sein Examen als Mineningenieur in Deutschland und ein zweites Examen an der Yale-Universität glänzend bestanden hatte; vor allem ein sehr selbstbewusster junger Mann.
Trotz alledem war Corliss in seiner Lebensform nicht erstarrt. Eines Tages erwachte auch in ihm, der in jungen Jahren schon ein gesättigter Bürger schien, die Unrast seiner Väter, die einst von Europa her als Abenteurer in die Neue Welt gezogen waren. Bei aller Gelehrtheit, aller Beständigkeit, war diese Unrast vielleicht Vances bester Besitz. Sie hatte ihn jetzt nach Alaska geführt, und als Fronas Bild lange genug durch die Winkel seines Zeltes gespukt hatte, in den Sonnenstäubchen bei Tag und im Flackern des Öfchens bei Nacht, hatte sie ihn abermals auf die Beine gebracht.
Den Sack voll Geld, hatte er sich aufgemacht, um Frona einzuholen, über den Pass und dann weiter zu den Seen und Flüssen hinab. Aber so leicht sein Geld die meisten Hindernisse überwand … Frona reiste unter dem Namen Welse, und der galt mehr als Reichtümer. So kam es, dass sie trotz allem vierzehn Tage früher als er in Dawson eintraf.
Nach seiner Ankunft ließ er ein paar Wochen darüber verstreichen, sich ein Haus zu kaufen, sich niederzulassen und seine Empfehlungsbriefe zu präsentieren. Er wollte Frona nicht wie ein Abenteurer entgegentreten. Als der Fluss zugefroren war, machte er seinen ersten Besuch in Jacob Welses Haus. Frau Sheffield, die Gattin des Goldkommissars und eine der großen Damen von Klondike, gab sich die Ehre, ihn einzuführen.
Vance zupfte sich an der Nase … das gab es also in Klondike! Ein Haus mit Dampfheizung, schweren Portieren zwischen Vorraum und Empfangszimmer … und ein Empfangszimmer, das jedem Haus in der Fünften Avenue Ehre gemacht hätte! Seine elchledernen Mokassins glitten über tiefe, weiche Teppiche. Mächtige Tannenscheite prasselten in zwei holländischen Kaminen. Auch ein Flügel war da, und jemand sang.
Frona sprang vom Klavierschemel auf und streckte ihm beide Hände entgegen. Ihr Bild im Sonnenschein war vollkommen gewesen, aber jetzt im flackernden Schein des Feuers wirkte sie noch stärker. Als er ihre Hände in den seinen hielt, stieg ihm das Blut unerklärlich heftig zu Kopfe, und er bekam einen Schwindelanfall.
»Sie kennen sich schon?!« rief Frau Sheffield erstaunt.
»Wir haben uns auf dem Wege von Dyea getroffen«, antwortete Frona. »Wenn man sich auf diesem Wege begegnet ist, vergisst man einander nie.«
»Nein, wie romantisch!« strahlte Frau Sheffield. »Hat er Ihnen das Leben gerettet oder so etwas? Es sieht doch ganz danach aus! Und Sie haben mir kein Wort davon gesagt, Herr Corliss! Erzählt doch endlich, ich sterbe vor Neugier.«
Frona antwortete: »Er hat mir Gastfreundschaft erwiesen, das ist genug. Seine Bratkartoffeln sind erster Klasse, und sein Kaffee ist fabelhaft … wenn man sehr hungrig ist.«
Dann wurde Vance einem gutgewachsenen Leutnant der berittenen Polizei vorgestellt, der am Kamin stand und mit einem lebhaften kleinen Mann das ewige Verpflegungsproblem erörterte.
Es war eine richtige Gesellschaft, ein Fünfuhrtee mit Musik. Der Tee wurde aus chinesischem Porzellan getrunken, lauter wohlgekleidete Leute in weißen Hemden und mit steifen Kragen standen in Gruppen beisammen. Vance fand sich sofort in die gewohnte Atmosphäre und bewegte sich sicher von Gespräch zu Gespräch, sehr zum Neid von Del Bishop, der stocksteif in dem ersten Stuhl klebte, auf den er gestoßen war, und der sich sehr unglücklich fühlte. Er hatte sich nur auf eine Minute hereingewagt, um »Hallo, Miss Frona!« zu sagen, und saß jetzt wie eine Ratte in der Falle. Wie kam man aus einer so vornehmen Gesellschaft wieder heraus? Wie viel Schritte brauchte man, um zur Tür zu kommen? Wie verabschiedete man sich? Gab man reihum die Hand oder verbeugte man sich nur vor Miss Frona? Er war entschlossen, sich nicht vom Platze zu rühren, bis einer der Herren ihm den Abschied vormachte.
Vance hatte den Goldgräber sofort wiedererkannt, obwohl er ihn nur eine Sekunde lang durch seine Zeltöffnung in Happy Camp gesehen hatte. Das war der Mann, dem er es verdankte, dass Fräulein Frona für jene eine Nacht ohne Unterkunft war … Ein braver Mann, der im richtigen Augenblick selbst den Weg verloren hatte.
Bald zog Dave Harney, der Bonanza-König, Vance ins Gespräch. Er fühlte sich verpflichtet, hier so aufzutreten, wie es seinen Millionen entsprach, und obwohl er sein ganzes Leben lang nur die Gastfreundschaft des offenen Zeltes gekannt hatte, bei Fleischtöpfen, in die jeder hineingriff, machte es ihm Freude, einmal im Leben den Salonhelden zu spielen. Wie ein richtiger König hielt er Cercle, indem er an jeden, der ihm in die Quere kam, ein paar huldvolle Worte richtete, meist törichte Fragen, auf die es keine Antwort gab. Dabei sah er verliebt in einen Spiegel, denn so in der Verkleidung eines Stadtherrn hatte er sich selten gesehen. Frona hatte in diesen wenigen Wochen merkwürdige Verheerungen in Dawson angerichtet.
Den Höhepunkt des Nachmittags schuf Harney, als er Frona bat, das rührende Lied »Für dich hab’ ich mein Heim verlassen …« zu singen. Sie kannte es nicht; er ließ sich herbei, ihr die ersten Takte vorzusummen, sodass sie ihn nur zu begleiten brauchte. Dann riss eine Erinnerung