Gesammelte Werke. Джек Лондон
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Джек Лондон страница 254
»Bill!« rief er.
Es war der verzweifelte Hilferuf eines starken Mannes, der in Not war, aber Bill wandte nicht einmal den Kopf. Der Zurückgebliebene sah ihn weitergehen. Sah, wie er grotesk dahinhumpelte, sich mit unsicheren Schritten den sanft ansteigenden Hang zu der dunstigen Kuppe des niedrigen Hügels hinauf schlich. Er sah ihm nach, bis er den Kamm erreicht hatte und hinter dem Horizont verschwunden war. Dann wandte er den Blick ab und ließ ihn langsam in dem engen Kreis schweifen, der jetzt nach Bills Verschwinden alles war, was ihm von der Welt geblieben.
Tief am Horizont glomm fahl die Sonne, fast verborgen hinter gestaltlosen Nebeln und Dämpfen, die wie dichte Massen, aber ohne feste Form und Linien wirkten. Der Mann nahm die Uhr heraus, während er sich mit seinem ganzen Gewicht auf das eine Bein stützte. Es war vier. Und da es schon Ende Juli oder Anfang August sein musste – er wusste seit einer Woche oder vierzehn Tagen das Datum nicht mehr genau –, zeigte die Sonne jetzt, wenn auch nur ungenau, die Nordwestrichtung an. Er warf einen Blick nach dem Süden – irgendwo dort unten jenseits der öden und windigen Hügel lag – das wusste er – der Große Bärensee. Er wusste auch, dass in dieser Richtung der Polarkreis die Einöden Kanadas durchschnitt. Der Fluss, in dem er jetzt stand, war ein Nebenfluss des Coppermine, der nach Norden strömte und in die Coronation-Bucht und in das Nördliche Eismeer mündete. Er war noch nie dort gewesen, hatte es aber einmal auf einer Karte bei der Hudson-Bay-Company gesehen.
Wieder durchmaß sein Blick den Kreis der Welt, die ihm geblieben war. Es war kein sehr erheiterndes Schauspiel, das sich ihm darbot. Wo er hinsah – überall derselbe weiche Horizont. Die Hügel waren alle sehr niedrig. Nirgends waren Bäume, nirgends Gebüsch oder Gras zu sehen … es gab nichts als erschütternde, furchtbare Öde und Einsamkeit. Langsam und leise tauchte unüberwindbare Furcht in seinen Augen auf.
»Bill!« flüsterte er, einmal, zweimal. »Bill!«
Er watete in das milchige Wasser hinein, als ob die ungeheure Öde ihn mit unwiderstehlicher Schwere weiterschob, während sie ihn mit grausamer, brutaler Freude zermalmte. Wie in einem Anfall von Schüttelfrost zitterte er, bis das Gewehr ihm aus der Hand und mit einem Plätschern ins Wasser fiel. Das brachte ihn wieder zu sich. Er bekämpfte seine Angst und nahm sich gewaltsam zusammen. Er bückte sich, suchte im Wasser, bis er sein Gewehr gefunden hatte, und hob es auf. Dann schob er sich das Bündel weiter auf die linke Schulter hinauf, als ob er dadurch dem rechten Fuß, den er sich verstaucht hatte, das Gewicht abnehmen wollte. Und langsam und vorsichtig näherte er sich, vor Schmerzen zuckend, dem anderen Ufer.
Hier blieb er nicht stehen. Mit einer verzweifelten Anstrengung, die an Wahnsinn grenzte, eilte er, ohne auf den Schmerz zu achten, den Hügel hinan, um den Gipfel zu erreichen, hinter dem sein Kamerad vorhin verschwunden war … noch grotesker und noch tragikomischer anzusehen, als sein humpelnder, springender Genosse es gewesen. Als er aber den Gipfel erreicht hatte, sah er vor sich nur ein flaches Tal, das von allem Leben entblößt war. Wieder bekämpfte er seine Angst, überwand sie, schob sich das Bündel noch weiter nach links hinüber und taumelte den Hang hinunter.
Die Sohle des Tales war feucht. Dichtes Moos klebte wie nasser Schwamm an den Fersen. Das Wasser quoll bei jedem Schritt, den er machte, unter seinen Füßen hervor. Und jedes Mal, wenn er den Fuß wieder hob, gab es ein glucksendes, saugendes Geräusch, wie wenn das Moos nur zögernd seinen Griff um den Mokassin aufgab. Er suchte sich vorsichtig die Stellen aus, wo er den Fuß hinsetzen konnte, und folgte dabei nach Möglichkeit der Fährte seines Kameraden zwischen den Felsblöcken, die sich wie kleine Inseln aus dem Meere von Moos erhoben.
Obgleich allein, war er doch nicht verloren. Er wusste, dass er ein Stück weiter eine Stelle erreichen musste, wo abgestorbene Tannen und Kiefern verwachsen und verdorrt das Ufer eines kleinen Sees umsäumten, der in der Sprache der Eingeborenen Titchinniechilie hieß. Das Land selbst wurde das »Land der kleinen Zweige« genannt. Und durch diesen See strömte ein kleiner Fluss, dessen Wasser nicht milchig war. An diesem Fluss wuchs auch Schilf, dessen entsann er sich noch, aber Wald war nicht da. Diesem Fluss wollte er bis zur ersten Wasserscheide folgen. Die wollte er dann überschreiten, bis er den nächsten Fluss traf, der nach Westen floss, und der ihn bis zu dem größeren Dease-Fluss führen musste. Hier würde er unter einem umgekippten Kanu und mit vielen großen Steinen bedeckt ihr Depot finden. In diesem Depot befanden sich Munition für sein leeres Gewehr, Angelhaken und -leinen, ja sogar ein kleines Netz – kurz, alles Gerät, das zum Fangen und Töten der verschiedenen Tiere notwendig war. Dort würde er auch Mehl – freilich nicht sehr viel –, ein Stück Räucherspeck und einige Bohnen finden.
Wahrscheinlich wartete auch Bill dort auf ihn. Sie konnten dann gemeinsam den Dease bis zum Großen Bärensee hinunterpaddeln. Den überquerten sie dann in südlicher Richtung, immer weiter nach Süden, bis sie den Mackenzie erreichten. Und weiter, immer weiter nach Süden würden sie ziehen. Während der Winter ihnen vergeblich nachlief und die Eiskruste selbst die Strudel erstarren ließ und die Tage kalt und klingend klar machte, würden sie selbst immer weiter nach Süden wandern, bis sie eine behagliche Station der Hudson-Bay-Company erreichten, wo der Wald hoch und reich wuchs und wo es Lebensmittel ohne Ende gab.
Solche Gedanken schössen durch den Kopf des Mannes, der sich langsam und mühselig vorwärts kämpfte. Aber wenn er auch große Anforderungen an seinen Körper stellte, so war doch der Kampf, den er mit seiner Seele führte, nicht weniger hart. Vergebens versuchte er sich vorzutäuschen, dass Bill ihn gar nicht verlassen hätte, dass Bill sicher beim Depot auf ihn warten würde. Er war gezwungen, aus allen Kräften an diesem Glauben festzuhalten, denn sonst wäre er gar nicht imstande gewesen weiterzuschreiten; er hätte sich einfach hingelegt und wäre gestorben. Und als der düster glimmende Sonnenball langsam hinter dem nordwestlichen Hügelrand verschwunden war, ging er in Gedanken, immer wieder, jeden Zoll durch, den Bill und er südwärts ziehen mussten, um dem kommenden Winter zu entfliehen. Und ein Mal über das andere stellte er sich die Lebensmittel im Depot und die, welche er bei der Hudson-Bay-Station erhalten würde, vor Augen. Seit zwei Tagen hatte er nichts zu essen bekommen, und schon seit langem hatte er nicht