Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Friedensstifter und Krieger! All die alten Geschichten zogen an Saxons Augen vorbei. Klar in allen Einzelheiten, denn sie hatte sie so oft beschworen, obwohl es Dinge waren, die sie nicht gesehen hatte. Die Einzelheiten waren deshalb auch teilweise Kinder ihrer eigenen Einbildungskraft, denn sie hatte nie einen Zug Ochsen, einen wilden Indianer oder ein Prärieschiff gesehen. Und doch sah sie wie eine Wirklichkeit aus Fleisch und Blut eine lange Karawane der landgierigen Angelsachsen von Osten nach Westen quer über den Kontinent ziehen, eingehüllt in eine sonnenblinkende Wolke vom Staub von zehntausend Hufen. Es war Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut. Sie hatte diese Sagen und wirklichen Ereignisse mit der Muttermilch eingesogen, sie von deren Lippen gehört, die selbst alles mitgemacht hatte. Deutlich sah sie vor sich den langen Wagenzug, die mageren, abgehärteten Männer, die voranschritten, während die Jungen mit Stachelstöcken die brüllenden Ochsen antrieben. Und durch dieses Fantasiegespinst flog wie eine Spindel, die mit Goldfaden das Bild einer Persönlichkeit webte, die Gestalt ihrer unüberwindlichen kleinen Mutter, acht Jahre alt und neun, ehe die große Wanderung zu Ende war, eine Geistermahnerin und Gesetzgeberin, die ihre eigenen Wege gehen wollte – und sowohl der Wille wie der Weg waren stets gut und richtig.
Am allerlebendigsten aber sah Saxon den Kampf bei Little Meadow und Daisy, wie zum Fest gekleidet, in Weiß, mit einer seidenen Schärpe um den Leib, einen Schmuckkamm und Seidenband im Haar und in beiden Händen einen kleinen Wassereimer – in den Sonnenschein auf das blumenübersäte Gras heraustreten aus dem Wagenkreis, wo die Verwundeten in Fieberfantasien schrien und vom rinnenden Quell fabelten, und sie sah sie im Sonnenschein, unangefochten von den Indianern, die das Erstaunen hinderte, ihre Waffen zu gebrauchen, bis zu dem hundert Schritt entfernten Wasserloch und wieder zurück gehen.
Saxon drückte einen leidenschaftlichen Kuss auf den kleinen roten spanischen Gürtel; dann rollte sie ihn schnell zusammen und nahm mit feuchten Augen Abschied von ihrem mystischen Mutterkult und all dem Rätselhaften und Wunderbaren, das Leben hieß.
Als sie im Bett lag, beschwor sie unter den geschlossenen Lidern die wenigen reichen Erinnerungen an die Mutter, die ihre Kindheit barg. Dies war ihre liebste Methode, den Schlaf zu rufen. So hatte sie es ihr ganzes Leben lang gemacht – war in das Todesdunkel des Schlafes mit dem letzten sterbenden, von der Erinnerung an ihre Mutter gefärbten Bewusstsein gesunken. Aber diese Mutter war weder die Daisy von der großen Prärie, noch die von der Daguerreotypie. Die war aus der Zeit, ehe Saxon lebte. Die Daisy, die sie nachts sah, war eine ältere, von Schlaflosigkeit geplagte Mutter, mutig wie jemand, der die Sorge gekannt hat, ein blasses, gebrechliches Geschöpf, sanft und geduldig, das nur lebte durch seine Willenskraft, ohne die es längst den Verstand verloren hätte; das nicht schlafen konnte, so gern es auch wollte, und dem alle Ärzte der Welt keinen Schlaf verschaffen konnten. Kroch – immer im Hause herumkroch – vom Krankenbett zum Krankenstuhl und wieder zurück, immer wieder, die langen qualvollen Tage und Wochen, aber stets ohne Klage, wenn auch ihr sieghaftes Lächeln von Schmerz verzerrt war und die klugen grauen Augen, die immer noch klug und grau waren, unverhältnismäßig groß und bodenlos tief geworden waren.
Aber in dieser Nacht glückte es Saxon nicht, schnell einzuschlafen; das Mütterchen kam und ging, und dazwischen prägte sich Billys Gesicht mit den hübschen verdrossenen Augen, in denen Wolken kamen und gingen, in ihre Lider ein. Und noch einmal, als der Schlaf sie in seine sanften Arme nahm, stellte sie sich die Frage: Ist dies der Mann?
*
Die Arbeit in der Plättstube ging schnell vonstatten, aber die drei Tage bis Mittwoch abend waren sehr lang. Saxon summte über dem Zeug, das rasch unter dem Eisen fortflog.
»Ich begreife nicht, wie du es machst«, sagte Mary bewundernd. »Wenn du so dabei bleibst, verdienst du diese Woche leicht dreizehn oder vierzehn.«
Saxon lachte, und in dem Dampf ihres Eisen sah sie goldene Buchstaben tanzen, die sich zu einem »Mittwoch« fügten.
»Wie gefällt dir Billy?« fragte Mary.
»Gut«, lautete die freimütige Antwort.
»Schön, aber dabei lass es auch bleiben.«
»Das kommt wohl auf mich selber an«, antwortete Saxon heiter.
»Lass das lieber bleiben«, lautete die warnende Antwort. »Du hast nur Kummer davon. Er denkt nicht ans Heiraten. Das hat schon mehr als ein Mädchen erfahren. Sie werfen sich ihm ja direkt an den Hals.«
»Ich beabsichtige mich weder ihm noch einem anderen Mann an den Hals zu werfen.«
»Ich wollte es dir nur sagen«, schloss Mary. »Du wirst gut tun, es dir zu merken.«
Saxon war ernst geworden.
»Er ist wohl nicht – nicht so …«, begann sie, sah aber im selben Augenblick die Bedeutung der Frage ein, die sie nicht formen konnte.
»Ach nein, gar nicht so – obwohl ich eigentlich nicht weiß, was ihn davon abhalten sollte. Er ist durch und durch anständig. Nur eben keiner von denen, die vor jedem Unterrock kapitulieren. Er tanzt