Tod einer Bikerin. Klaus Heimann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Tod einer Bikerin - Klaus Heimann страница 10
Wie es unter uns Jungs üblich war, hatten wir uns regelmäßig über die Bräute unserer Hemisphäre ausgetauscht. Wo sie wohnten, wohin sie gingen, ob sie leicht zu stürmen oder von spröder Natur waren. So war ich bestens über die Mädchen informiert gewesen, die zu Arnfrieds Geburtstag eingeladen worden waren. Ich durfte mich nicht zu seinem engeren Freundeskreis zählen und hatte ihn erst anquengeln müssen, bis ich kommen durfte.
Wie ein Fremdkörper war Arnfried auf seiner eigenen Party herumgestolpert. Er hatte sich nicht getraut, eines der Mädchen anzubaggern. Seine weiblichen Gäste waren bald mit anderen Jungs beschäftigt gewesen. Ganz züchtig, versteht sich. Alles andere hätten Arnfrieds Eltern, die jede Viertelstunde unter irgendeinem Vorwand in der Kellerbar aufgetaucht waren, sofort unterbunden.
Lotte und mir hatte die ganze Atmosphäre nicht gefallen. Zu meinem Leidwesen knutschte ihre Freundin mit einem anderen herum, einem echten Adonis. Dass mir nur der Rückzug blieb, sah ich schnell ein. Ich schnappte mir die zweitbeste Lösung, brach mit meiner heutigen Gattin sehr zeitig auf und versprach ihr, sie nach Hause zu bringen. Das hielt ich auch – vier Stunden später erreichten wir ihre Wohnadresse in Stadtwald.
Wir waren an diesem lauen Sommerabend spazieren gegangen und vorn auf der Brehminsel, auf der Aussichtsplattform, hatte es zwischen uns gefunkt. Der erste Kuss. Dass ausgerechnet dieses Mädchen zu meiner Lebensgefährtin werden würde und das mittlerweile über vierzig Jahre – daran hätte ich damals nie geglaubt.
»Weiß du noch, wie sich seine Eltern angestellt haben, dass bloß nichts Unsittliches unter ihrem Dach vorging«, erinnerte sich Lotte.
Plötzlich kam alles wieder hoch. Ganz frisch.
»Als sie deine Freundin in den Armen dieses Adonis entdeckten, haben sie die beiden tatsächlich auseinandergezerrt.«
»Die süße kleine Sophie. Dieses Biest hat sich jedem an den Hals geschmissen.«
Oh. Hatte ich damals doch eine Chance vergeben? Halt deine Zunge im Zaum, Sigi. Kein Wort gegenüber Lotte!
»Ja. Jetzt erinnere ich mich wieder. Der schüchterne, unscheinbare Arnfried Nußbaum. Was für ein bekloppter Zufall! Das ist der, dessen Lebensgefährtin ermordet worden ist, während er besoffen nebenan im Schlafzimmer gekokst hat. Stand vor ein paar Wochen in der Zeitung. Erich arbeitet daran.«
»Arnfried ist in einen Mord verwickelt?«
Ich erzählte Lotte alles, was ich darüber wusste. Dabei vermied ich tunlichst, die Verbindung meines Ausflugs nach Werden mit dem Ansinnen, das Mordhaus aufzusuchen, zu beichten.
Aber wer Lotte kennt, der weiß, dass dieses Geheimnis nicht lange ungelüftet bleiben konnte. »Deshalb warst du heute in Werden unterwegs? Sigi, Sigi. Dass du mir nicht wieder Dummheiten machst. Denk an Namibia!«
Ich schämte mich dafür, ertappt worden zu sein. Lotte, diese Füchsin. Ich würde es wohl nie fertigbringen, etwas nachhaltig vor ihr zu verbergen.
»Keine Sorge«, versprach ich leichtsinnig, »darüber bin ich weg.«
»Das will ich gemeint haben. Jetzt aber dalli. Ab zum Getränkemarkt.«
Ich schleppte das Leergut zu unserem Auto und wir fuhren los. Das Fahren ist Lottes Job, denn ich hatte es lange aufgegeben. Vor vielen Jahren schon. Frage mich niemand, warum ich keinen Versuch mehr unternommen habe. Ich kann es nicht erklären.
Unterwegs kamen weitere Erinnerungen an Arnfried Nußbaum hoch. Ein Musterschüler war er gewesen. Bei keinem unserer Streiche hatte er mitgemacht. An ein kleines Wunder hatte es für uns gegrenzt, dass ihm die Eltern diese Geburtstagsparty im Keller erlaubt hatten. Es blieb das einzige Mal. Er war ständig der Beobachtung seiner Mutter ausgeliefert gewesen. Völlig unbegründet, harmlos wie mir sein Verhalten rückblickend erschien. Ob seine Fantasie ebenso unschuldig war, das konnte ich natürlich nicht beurteilen. Genauso wenig wie Einflüsse, die später gegebenenfalls Spuren in seinen Lebenslauf gegraben hatten.
Und so keimte, befeuert durch die persönliche Beziehung zu einem in den Werden-Fall Verwickelten, ein neuer Antrieb in mir auf, mich damit zu befassen. Ich war neugierig darauf, wie es meinem langweiligen, neunmalklugen Schulkameraden Arnfried Nußbaum über die Jahre ergangen war. Schließlich hatten ihn uns die Lehrer mehr als einmal zum Beispiel empfohlen. Diese Neugier an der Person mischte sich unselig mit meiner erwachten kriminalistischen Neugier.
Später redete ich mir gerne ein, es wäre mir um Arnfried gegangen. Nein, so war es nicht. Auch, wenn ich das lieber als Schutzschild vor mir hergetragen hätte. Von Anfang an war es mir um die Aufklärung eines undurchsichtigen Falls gegangen. Darum, mir und anderen ein weiteres Mal etwas zu beweisen.
Nur darum!
In den nächsten Tagen gelang es mir trotz des neuen Antriebsmoments ganz gut, die Gedanken an den Mord in Werden auszublenden. Wie sollte ich auch Weiteres herausbringen? Ein Herumfragen in der Wesselswerther Nachbarschaft hätte mich nur verdächtig gemacht. Ich ließ es lieber.
Das Wetter blieb stabil, sommerlich warm, und ich brach stattdessen zu ein paar Radtouren auf. Ganz für mich alleine. Am Wochenende besuchte ich gemeinsam mit Lotte Bekannte im Willinger Upland. Zusammen unternahmen wir herrliche Wanderungen über die Höhenzüge. Die Gedanken an den Werden-Fall wurden überdeckt von fröhlichen Gesprächen, deftiger Kost, selbstverständlich etlichen Bierchen, dem einen oder anderen Schnaps und Ausblicken in die Upländer Natur.
Am Montag hatte Lotte freigenommen und so wurde es ein verlängertes Wochenende. Heim ging es nach dem Frühstück mit den Bekannten und einer letzten Wanderung, die ich nur mit Lotte unternahm, am späten Montagnachmittag.
Besuch an alter Wirkungsstätte
Erst am Dienstagmorgen, nachdem meine Gute zur Arbeit aufgebrochen war und ich die Tageszeitung zur Hand nahm, wurde ich wieder mitten hineingezogen in die Werdener Ereignisse.
»Tatverdächtiger auf freiem Fuß«, titelte der Journalist im Essener Teil, was sofort meine Aufmerksamkeit fesselte. Schon nach dem dritten Satz wusste ich, dass Erichs Befürchtung eingetroffen war: Sie hatten Arnfried Nußbaum am Montag entlassen. Er wurde zwar nicht namentlich erwähnt, aber die geschilderten Umstände passten hundertprozentig. Weiter stand im Artikel zu lesen, dass es keine neuen Tatverdächtigen gab und die Polizei im Dunkeln tappte.
Armer Erich. Ich vermochte einzuschätzen, wie so ein Pressebericht in den Mauern des Polizeipräsidiums aufgefasst wurde. Der Erfolgsdruck stieg für meinen ehemaligen Kollegen.
Ich legte das Blatt aus der Hand und überlegte kurz, ob ich schwach werden sollte. Keine Sekunde später war es um mich geschehen. Ich tauschte mein knittriges Home-Outfit gegen etwas Vorzeigbares und nahm meinen langjährigen Weg zur Arbeit unter die Hufe.
Meine anfängliche Entschlossenheit bröckelte, je mehr ich mich meiner ehemaligen Wirkungsstätte näherte. Wie würde mein Ex-Kollege den Besuch auffassen? Als Einmischung? Als Spott über seine Erfolglosigkeit? Oder als Unterstützung in einer schwierigen Situation? Ich hoffte, Letzteres.
Keine zehn Minuten später betrat ich meine ehemalige Arbeitsstätte durchs Hauptportal und meldete mich beim Pförtner. Der Mann kannte mich aus meiner aktiven Zeit. Nach einem kurzen Smalltalk – »Wie geht’s?«, »Beneide Sie«, »Alles Gute« –, ging ich hoch zu meinem alten Büro, in dem Erich unverändert residierte.
Die Tür, die einmal meinen