Tod einer Bikerin. Klaus Heimann
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Kaum fiel die Wohnungstür hinter Lotte zu, verdrückte ich mich wieder in die Koje und gab mich erneut einer traumlosen, friedlichen Dunkelheit hin. Zweieinhalb Stunden später wachte ich mit geschwollenem Zäpfchen auf. Ich war wohl auf dem Rücken eingeschlafen und das bedeutete nach angenehm verbrachten Vorabenden regelmäßig, dass ich schnarchte wie ein Seeelefant im Rangkampf.
Als ich mir mittels einer gut gekühlten Flasche Mineralwasser Linderung verschaffen wollte, stellte ich fest, dass unser Leergut komplett war – nicht ein Schluck mehr im Haus. Widerwillig ersetzte ich die erfolgversprechende Medizin durch Leitungswasser. Es muss kribbeln im Hals, sonst schmeckt es mir nicht.
Was sollte ich mit einem derart verkorkst gestarteten Tag anfangen?
Der leichte Druck im Kopf verordnete mir auf jeden Fall frische Luft. Ich blinzelte zum Küchenfenster hinaus. Eine dünne Wolkenschicht bedeckte den Himmel – passables Wetter. Wo war gleich der Mord geschehen, über den wir uns gestern bei Guido unterhalten hatten? Ich erinnerte mich nicht daran, dass jemand die Adresse erwähnt hätte. Nur den Namen des Opfers kannte ich: Gertrud Fenger.
Wie kam ich jetzt darauf? Das ging mich nichts mehr an! Sollte Erich das klären. Ich war lange aus dem Verein ausgeschieden. Und wohin unautorisierte Schnüffeleien führten, war mir im Namibia-Fall schließlich schmerzlich vor Augen geführt worden.
Leider lassen mich knifflige Fragestellungen nur selten in Ruhe. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich jedoch noch nicht, wie weit meine Infektion durch den Fall fortschreiten würde.
Wir besitzen keinen festen Platz für unseren Computer. Er steht in einer Wohnzimmerecke und jeder, der ihn benötigt, setzt sich damit hin, wo er will. Ich schnappte mir den Laptop – das alte Schätzchen, das uns Lucy nach der Anschaffung ihres neuen überlassen hatte –, bezog Stellung in einem unserer Sessel, platzierte das Gerät auf dem Schoß und schaltete es ein. Mittlerweile bin ich einigermaßen vertraut mit dem Ding. Früher war es immer Möhrchen gewesen, die Recherchen am Computer durchführte. Heute war ich auf mich selbst gestellt.
Ich rief das Telefonbuch auf. Der Eintrag, den ich fand, war eindeutig. Die Ermordete hatte im Wesselswerth gewohnt. Ich merkte mir die Hausnummer und tippte den Namen Arnfried Nußbaum ein. Er tauchte nicht im Internet auf.
Ich schaltete den Laptop aus und klappte ihn zu. Starr im Sessel hockend, lief sich der kriminalistische Sektor meines Gehirns warm. Es gelang mir trotz Dunstglocke ums Oberstübchen nicht, den einfachen Weg zu beschreiten und die Geschehnisse zu ignorieren.
Zuallererst: Wie war der Täter in die Wohnung der Ermordeten gelangt? Hatte ihm jemand von drinnen geöffnet? Die Ermordete? Ihr Lebensgefährte? Oder ein Besucher, der anschließend spurlos verschwunden war? Musste man diesen Besucher als Mörder suchen?
Oder besaß der Täter einen eigenen Schlüssel? Hatte ihm irgendjemand einen zugesteckt? Aus welchem Grund? War es die berühmte Putzfrau?
So vieles war gestern Abend nicht zur Sprache gekommen. Wenn ich nur einen Blick auf diese Wohnung werfen dürfte! Nur einen einzigen, ganz kurzen Blick! Vielleicht könnte ich Erich aus seiner Misere befreien, könnte ihm helfen. So wie es bei Möhrchen geklungen hatte, benötigte er dringend Unterstützung. Er steckte fest.
An diesem Morgen ballte sich eine ungesunde Mischung verschiedenster Gefühle in mir zusammen. Einerseits dröhnte Lottes schroffe Abreibung in meinen Ohren. Ihr unterschwelliger Vorwurf der Nichtsnutzigkeit klebte mir in den Klamotten.
Dann war da Erichs leicht verzweifeltes Gesicht vom gestrigen Abend, in dem seine Schwierigkeiten geschrieben zu stehen schienen. Jedenfalls glaubte ich, solches darin gelesen zu haben. Man setzte ihn sichtlich unter Erfolgsdruck. Dem hatte er immer schon wenig entgegenzusetzen gehabt. Mir fiel Möhrchens entrüstete Zurückweisung ein, als ich sie gefragt hatte, ob Erich Hilfe benötigte. Heute schien mir ihre Reaktion deutlich überzogen ausgefallen, überzogen in dem Sinne, dass ich sie bei einem Gedanken dieser Art erwischt hatte.
Möglich, dass die Dunstglocke um meinen Kopf diese Wahrnehmungen im Sinne meiner Wunschinterpretation einfärbte.
Jeder dieser Aspekte versetzte mir an diesem Morgen einen kleinen Schubs, mich in den Fall einzumischen. Mehrere kleine Schubse ergeben bekanntermaßen einen großen Stoß …
Nach einer eiskalten Dusche stand ich kaum eine Stunde später an der Haltestelle Martinstraße und wartete auf die Straßenbahn. Hätte ich nicht den dicken Kopf mit mir herumgetragen, wäre ich bei dem Wetter mit dem Rad gefahren.
Die Vernunft riet mir, in meinem Zustand darauf zu verzichten.
Mordadresse
Ich erwischte eine Straßenbahn der Linie 108. An der Schleife in Bredeney stieg ich aus und ging zur Bushaltestelle hinüber. Dort studierte ich den Fahrplan und wartete eine Weile auf die Linie 169 in Richtung Velbert.
Der Bus kam und ich stieg ein. An der nächsten Ampel bog er auf die Bundesstraße ab. Sie führt zweispurig durch ein Waldgebiet hinunter ins Ruhrtal. Essener nennen diesen Streckenabschnitt gerne Werdener Berg.
Als der Bus nach wenigen Stopps die Ruhrbrücke erreichte, erhaschte ich linkerhand einen Blick auf die Brehminsel, die den Fluss an dieser Stelle in einen Haupt- und einen Nebenarm teilt. Sie ist vom Ufer aus über eine Fußgängerbrücke erreichbar und stellt so etwas wie den Werdener Stadtpark dar. Mit ihr verbinde ich eine sehr persönliche Erinnerung, die ich mit Lotte teile. An der mir zugewandten Schmalseite der Insel, wo eine niedrige Mauer eine Art Aussichtsplattform im Dreiviertelkreis einfasst, hatte ich meine spätere Frau in einem Anflug tiefster Zuneigung zum ersten Mal geküsst. Die Erinnerung daran zauberte mir tatsächlich ein kleines Lächeln auf die Mundwinkel. Wie ein Trottel war ich gestern Nacht in die Bude gestolpert. Lottes aufbrausende Reaktion war aus nüchternem Blickwinkel betrachtet nur zu verständlich.
Beinahe hätte ich in meinem Anflug von Romantik versäumt, den Bus am Werdener Markt zu verlassen. Im letzten Moment sprang ich durch die sich bereits schließende Tür. Knapp geschafft.
Direkt neben der Bushaltestelle führt eine Treppe zur Kirche St. Ludgerus hinauf, deren Vorläufer bereits im 9. Jahrhundert als Abteikirche errichtet worden war. Das wusste ich, weil ich mich mal für die frühe Geschichte Essens mit ihren beiden historischen Kernen interessiert hatte, dem Stift Essen, das für die Töchter des sächsischen Adels gegründet worden war und in der City zu verorten ist, und eben die Abtei in Werden. St. Ludgerus selbst versteckte sich hinter hohen Bäumen.
Lotte und ich unternehmen häufiger Spaziergänge hier im Stadtteil. Allerdings vom Markt aus auf die Altstadt und den Baldeneysee zu. Die Straße, zu der ich heute aufbrach, lag in entgegengesetzter Richtung. Dort war ich tatsächlich bisher nie gewesen. Nicht einmal zu meiner aktiven Zeit bei der Polizei.
Ich folgte dem Klemensborn. Am Ende der Mauer, die das höher gelegene Gelände am linken Straßenrand abfängt, führte mein Weg am barocken Torhaus der ehemaligen Abtei vorbei. Sie beherbergt heute einen Teil der Folkwang Universität der Künste. In ihrer wechselhaften Geschichte waren die Räumlichkeiten der Abtei auch schon mal als Gefängnis genutzt worden.
Wenige Schritte weiter erreichte ich mein Ziel, die Abzweigung in den Wesselswerth. Dort verlangsamte ich mein Tempo und schlenderte die Häuserzeilen entlang. Die Baustile hier zogen alle Register von historisch bis modern. Stuckfassaden wechseln sich mit geglätteten Fronten gleicher Baujahre, unverputzten Ziegelwänden und Nachkriegsbauten aus verschiedenen Jahrzehnten ab.
Das gesuchte Haus lag im letzten Drittels der Straße. Ich