Tod einer Bikerin. Klaus Heimann
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Den Namen »Gertrud Fenger« fand ich unter der oberen Türklingel. Arnfried Nußbaum erwähnte das messingfarbige Täfelchen nicht. Vor der Haustür lag tatsächlich eine Fußmatte. Es kribbelte mir in den Fingern. Ob sie dort immer noch den Schlüssel verwahrten?
Sollte ich … Wie könnte ich dann in die Wohnung von Gertrud Fenger gelangen? Einen Nachbarn unter irgendeinem Vorwand hinausklingeln? Ihn auf die naive Art ausquetschen, um sachdienliche Informationen einzuholen? Leider besaß ich keinen Dienstausweis mehr, der mir Türen und Menschen öffnete.
Ich bremste mich selbst. Was trieb ich hier eigentlich? Meinen Dunstkopf spazieren tragen, ja. Aber was weiter? Was versprach ich mir von diesem Ausflug zum Tatort irgendeines Mordes? Eine plötzliche Entdeckung, auf die der gesamte Polizeiapparat bisher nicht gestoßen war? Eine geniale Momenteingebung?
Sigi Siebert, du bist ein Träumer! Der Alkohol vom gestrigen Abend hat deine Sinne vernebelt. Du bist raus! Die Essener Kapitalverbrechen gehen dich nichts mehr an. Du hast in diesem Haus, in der Wohnung, in der Gertrud Fenger ermordet worden ist, überhaupt nichts zu suchen. Keine Tatortinspektion, keine Zeugenaussagen aufnehmen, keine Beweismittel sichern. Vorbei.
Hin- und hergerissen zwischen diesen Polen, lungerte ich im Wesselswerth herum. Anscheinend machte mich dieses Verhalten verdächtig. Natürlich sind die Leute nach einem Verbrechen, wie es hier verübt worden war, alarmiert und beobachten das Geschehen vor ihren eigenen vier Wänden genauer als sonst. Ein Fenster rechts von der Haustür öffnete sich. Der Mann, der seine Rübe hinausstreckte, war vielleicht fünf Jahre älter als ich. Er musterte mich von oben bis unten. Ich nahm an, es handelte sich um den Großvater der Kinder, für die der Schlüssel unter der Fußmatte lag.
»Was suchen Sie hier?«
Die Wortwahl seiner Frage war unfreundlicher als sein Tonfall. Der Mann ertappte mich auf dem linken Fuß. Mit einer solchen Begegnung hatte ich nicht gerechnet.
Instinktiv trat ich die Flucht nach vorn an. Zu verlieren hatte ich schließlich nichts. »Ich möchte zu Herrn Nußbaum. Der wohnt doch unter dieser Adresse, oder? Ich habe bei Fenger geklingelt, aber da macht niemand auf.«
»Der sitzt«, klärte mich der Mann knapp und nicht ganz korrekt auf.
Ich spann den Faden meiner Scharade weiter. »Wie, der sitzt? Wo sitzt er denn?«
»Im Bau.«
»Um Himmels Willen. Meinen Sie im Gefängnis?«
»Genau.«
Mir gelang es leidlich, den Ahnungslosen zu mimen. »Das ist ja schrecklich. Was wirft man ihm vor?«
»Der hat seine Alte abgemurkst. Erschossen.«
Die Feststellung des liebenswerten Nachbarn traf die Sache natürlich nicht wirklich. Soweit mir Erich gestern Abend erklärt hatte, war Arnfried Nußbaum nachweislich kein Mörder. So schnell verselbständigte sich die Gerüchteküche! Das war mir keinesfalls fremd und in meinem Beruf immer wieder begegnet. Es verriet mir immerhin, dass dieser Wachhund nicht auf Arnfried Nußbaums Seite stand.
Ich blieb bei meiner Strategie, den Mann mit gespielter Ahnungslosigkeit zu locken: »Gibt es denn eine Frau Nußbaum? Ist Arnfried – oder war er etwa – verheiratet?«
»Nee. Verheiratet waren die nich. Vor ungefähr einem Jahr ist der bei Gertrud eingezogen. Gertrud Fenger. Wo Sie geklingelt haben.«
»Und Frau Fenger ist tot?«
»Genau. Die hat er auf dem Gewissen.«
»Ermordet?«
»Sie sagen es.«
Ich kratzte mich am Nacken und zog die Augenbrauen hoch. Zweite Klasse Laienschauspielschule.
»Sind Sie sicher, dass Arnfried etwas mit dem Mord zu tun hat? Wie ich den kenne, kann der keiner Fliege etwas zuleide tun.«
»Hat er aber wohl. Sonst hätten ihn die Bullen kaum in den Bau gesteckt.«
»Wann soll das passiert sein?«
»Zwei, drei Wochen ist das vielleicht her. Warten Sie. Ja genau, Ende Mai war das. Die Zeit rast …«
»Sie müssen verstehen, ich habe Arnfried lange nicht gesehen. Durch Zufall habe ich seine Adresse herausbekommen. Und nun erfahre ich so was …«
»War ein richtiger Schock. Mord unter dem eigenen Dach. Da läuft es einem kalt den Rücken runter.«
»Und sie? Ich meine diese Fenger. Wie lange hat die hier gewohnt?«
»Die war schon hier, als ich mit meiner Frau vor sieben Jahren eingezogen bin. War eine ganz Umgängliche. Manchmal war sie ein bisschen komisch. Wer ist das nicht? Wenn die Kinder im Hof gespielt haben und der Ball aus Versehen gegen ihre Karre flog, dann konnte sie richtig ausrasten. Das war das Einzige, was sie wirklich interessiert hat, diese Maschine. So ein dickes Motorrad, ’ne Honda, glaub ich. Ist jetzt verschwunden.«
»Gestohlen?«
»Keine Ahnung.«
»Wo stand es denn?«
»Das, mein Lieber, geht Sie gar nichts an.«
Das hatte so unfreundlich geklungen, wie die Wortwahl. Wollte ich mehr aus diesem Kerl herauskitzeln, musste ich vorsichtiger sein.
»Entschuldigung. Sie haben ja recht. Ich steh ein bisschen unter Schock, verstehen Sie. Würden Sie dem Arnfried denn einen Mord zutrauen?«
»Ein wenig stiekum, der Knabe. Hat nie viel von sich gegeben. Stille Wasser. Da weiß man nie …«
»Wer hat den Mord denn entdeckt?«
»Meine Frau hatte was mitgekriegt an dem Abend. Die Frauen und ihre übergroßen Ohren! Ganz entfernt hatte ich auch gemeint, etwas Ungewöhnliches gehört zu haben. Wir wohnen ja direkt drunter. Zuerst wollte ich ihr ausreden, die Polizei zu rufen. Aber sie hat darauf bestanden, dass es ein Schuss war.«
»Ich wüsste gar nicht, wohin mit meiner Angst. Haben Sie sonst was mitbekommen? Ist beispielsweise jemand aus der Wohnung geflüchtet?«
»Wir haben uns nicht vorgetraut. Die Holztreppe im Flur ist vorletztes Jahr durch eine Steintreppe ersetzt worden. Da hört man nicht viel.«
»Eine klappende Tür?«
»Wenn jemand hinten rausgeht, kriegen wir nichts mit.«
»Ein aufheulender Motor?«
»Nein. Hören Sie, das wollte dieser Schrank von der Polente auch alles wissen. Dreimal hat der uns bereits gelöchert. Gehören Sie zu dem Verein dazu?«
»Nein, nein«, log ich nicht einmal, denn ich gehörte ja seit Jahren wirklich nicht mehr dazu. »Das mit dem Arnfried haut mich einfach um. So ein lieber Kerl. Ich will es nicht wahrhaben.«
»Dann mal Tschüss. Muss Kartoffeln schälen.«
Der Mann schloss