SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020. Thomas Röper

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SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020 - Thomas Röper

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Demokratieabbau. Anscheinend fühlen sich unsere „demokratischen“ Politiker vom demokratischen Willen der Bürger mehr und mehr gestört.

      Für Aufregung sorgte die letzte Frage im Interview, in der es um den Streit zwischen der Fidesz und EU-Kommissionspräsident Juncker ging. Hier zunächst die vollständige Antwort des ungarischen Justizministers: „An dieser Stelle haben wir nicht Juncker als Person angegriffen, sondern die schlechten Entscheidungen der Meinungsführer der Kommission. Wir haben in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die Kommission wie ein Politbüro aufgetreten ist. Wir glauben, die europäischen Verträge formulieren eindeutig. Die politische Richtung muss der Europäische Rat bestimmen, in dem die Staatsoberhäupter und Regierungschefs der Nationen sitzen. Heute sinkt aber immer mehr der Einfluss des Europäischen Rates. Aufgabe der Kommission ist es, den Geist der Verträge zu wahren und in der Richtung, die der Rat vorgegeben hat, zu verfahren. Stattdessen sehen wir, dass der Einfluss des Rates sich verringert und die Kommission die politische Richtung vorgeben will.“

      Wer will dem widersprechen? Er hat mit allem Recht. Tatsächlich sollte eigentlich der Europäische Rat die politische Richtung bestimmen, denn dort sitzen gewählte Regierungschefs. Die EU-Kommission schwingt sich aber tatsächlich immer mehr zu einer „europäischen Regierung“ auf, obwohl sie von niemandem gewählt wurde. Demokratie?

      Man stelle sich einmal vor, in Deutschland gäbe es keine Bundestagswahlen, sondern nur Landtagswahlen. Und dann würden die Ministerpräsidenten der Länder unter sich bestimmen, wer Mitglied eines „Deutschen Rates“ wird. Dieser „Deutsche Rat“ wiederum würde dann zusammen mit den Landesregierungen bestimmen, wer Bundeskanzler und Bundesminister wird. Der Kanzler und seine Minister wären also nicht gewählt, hätten aber die Macht.

      Wäre das demokratisch? Eher nicht.

      Aber so ist die EU aufgebaut. Und wenn Ungarn dies kritisiert, hat es in meinen Augen absolut Recht!

      Unsere Medien stören sich am undemokratischen Aufbau der EU jedoch überhaupt nicht, sondern greifen jeden an, der diese Zustände kritisiert. In allen Artikeln der deutschen Medien zu diesem Interview konnte man lesen, dass die merkwürdigen Ungarn Rechtsstaat und Demokratie gefährden und die „gute“ EU-Kommission als „Politbüro“ bezeichnen. Pfui Teufel!

      Jedoch wurden die Argumente Ungarns nirgendwo zitiert oder erwähnt. Und wer hat schon das ganze Interview in der FAZ gelesen?

      Haben Sie beim Lesen der kompletten Antwort des ungarischen Justizministers eine Provokation erkennen können? Ich nicht.

      Der Spiegel kürzte die Aussage des ungarischen Justizministers dann auch so, dass seine Argumente untergingen:

      „Auf die Frage: ‚War das Anti-Juncker-Plakat der ungarischen Regierung eine bewusste Provokation der EVP-Parteifreunde?‘ antwortete Trocsanyi: ‚An dieser Stelle haben wir nicht Juncker als Person angegriffen, sondern die schlechten Entscheidungen der Meinungsführer der Kommission. Wir haben in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die Kommission wie ein Politbüro aufgetreten ist.‘“

      Die wichtigsten Argumente, mit denen er seinen Standpunkt erklärt, wurden nicht zitiert. Hauptsache, das Pfui-Wort „Politbüro“ wird erwähnt. Ist das vollständige und objektive Berichterstattung?

      Stattdessen wird in den Medien immer behauptet, dass in Ungarn Rechtsstaat, Pressefreiheit und Demokratie in Gefahr seien. Dabei ist es Ungarn, das in Wahrheit für mehr Demokratie in der EU eintritt, während unsere Medien Ungarn dafür kritisieren. So sind die deutschen Qualitätsmedien.

      Verkehrte Welt.

      Übrigens: „Rat“ heißt auf Russisch „Sowjet“. Und so war die „Sowjetunion“ eben auf Russisch „Sowjetski Sojus“. Aber „Sowjet“ klingt natürlich auf Deutsch böser und einprägsamer als „Rat“. Man hätte im Westen anstatt von „Obersten Sowjet“ ja auch vom „Obersten Rat“ sprechen können oder anstatt von der „Sowjetunion“ als der „Räte-Union“.

      Noch schöner wird es aber, wenn man die heutigen Begriffe auf Deutsch und Russisch vergleicht: „Europäische Union“ heißt auf Russisch „Evropeski Sojus“, das erinnert an „Sowjetski Sojus“. Auch nicht schlecht, oder? Und „Rat der Europäischen Union“ heißt auf Russisch „Sowjet Evropeskogo Sojusa“. Da haben wir doch tatsächlich – zumindest sprachlich – ein paar interessante Parallelen.

      Da die Medien in der ersten Jahreshälfte 2019 eine Riesenshow um die Europawahl veranstalteten, sollte man sich einmal im Detail anschauen, welche Rechte dieses Parlament eigentlich hat. Ich habe das Thema eben schon gestreift.

      In einer Demokratie, so lernen wir immer, geht alle Macht vom Volke aus und das Volk wählt seine Vertreter, die es dann stellvertretend regieren. In der EU fanden im Mai 2019 Wahlen zum EU-Parlament statt, und man sollte meinen, dass wir dann von den Abgeordneten regiert werden, die wir gewählt haben.

      Stimmt das? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich einmal anschauen, welche Vollmachten und Entscheidungsbefugnisse das Parlament überhaupt hat.

      Ein Parlament kann normalerweise Gesetze ausarbeiten, vorschlagen und dann über ihre Annahme abstimmen. Das EU-Parlament darf das nicht. Es darf keine Gesetze einbringen, sondern darf nur über die Gesetze mitentscheiden, die von der EU-Kommission ins Parlament eingebracht werden. Die Betonung liegt auf mitentscheiden, denn das Parlament trifft die Entscheidung zusammen mit dem EU-Rat, in dem die Vertreter der Regierungen der EU-Staaten sitzen. Und da Kommission und Rat ihre Initiativen in der Praxis absprechen, steht das Parlament im Zweifel auf verlorenem Posten.

      Wenn das Parlament, was selten genug vorkommt, mal mit einem neuen Gesetz nicht einverstanden ist, dann gibt es einen Vermittlungsausschuss, wo die Fraktionschefs sich hinter verschlossenen Türen mit dem EU-Rat auf einen Kompromiss einigen, der in der Regel vom ursprünglichen Gesetzestext kaum abweicht. Zuletzt gab es das bei den umstrittenen Upload-Filtern, wo sich das Parlament zur Abwechslung einmal auf die Hinterbeine gestellt hat. Das Gesetz ging am Ende trotzdem praktisch unverändert durch.

      Das bedeutet in der Praxis, dass Gesetze in der EU von der Kommission in Absprache mit dem Rat vorbereitet werden und das Parlament dann mit dem Rat darüber reden darf. Am Ende hat es keine andere Wahl, als sie durchzuwinken. Eigene Gesetze kann das Parlament nicht einbringen, und Vorschläge endgültig ablehnen kann es auch nicht.

      Aber es gibt auch reichlich Bereiche, wo das Parlament praktisch gar kein Mitspracherecht hat. So muss das Parlament im Bereich der Wettbewerbspolitik lediglich konsultiert werden. Auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hat es gemäß Art. 36 EUV kaum Mitspracherechte.

      Und das wichtigste Recht eines Parlaments ist es in einer Demokratie, über den Haushalt zu entscheiden. Schließlich hängt am Ende alles am Geld. Man kann ein Projekt beschließen, aber wenn es nicht finanziert wird, dann stirbt es einen schnellen Tod. Leider sieht es

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