SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020. Thomas Röper

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SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020 - Thomas Röper

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      Übrigens ist das auch die Masche von Alexei Navalny. Der ruft immer an Feiertagen zu Demonstrationen auf, und zwar an Orten, an denen Volksfeste stattfinden. Das wird natürlich abgelehnt, und die von der Stadt angebotenen alternativen Standorte lehnt er ab. So wird er immer an russischen Feiertagen kamerawirksam festgenommen, sitzt danach 14 bis 30 Tage Ordnungshaft ab, und das Spiel beginnt von vorne. Aber dieses Vorgehen garantiert ihm ständige Aufmerksamkeit in den westlichen Nachrichten.

      Was in Deutschland ebenfalls nicht berichtet wurde, ist, dass bei den Demonstrationen in Moskau circa die Hälfte derer, die vorübergehend in Gewahrsam kamen, gar nicht in Moskau leben. Man fragt sich also, warum Leute, die von der regionalen Wahl nicht betroffen sind, dort hinreisen, um zu demonstrieren.

      Um das zu verstehen, muss man nur die deutschen Medien aufmerksam lesen. Im Zusammenhang mit den Demonstrationen war immer wieder die Rede von der „Bürgerrechtsorganisation OVD“. Klingt gut, oder? Diese Organisation meldet den deutschen Medien die Zahlen der Festgenommenen, die regelmäßig höher sind als die Zahlen der Polizei.

      Das Problem dabei: Die OVD ist keine russische „Bürgerrechtsorganisation“, sondern ein vom Westen finanziertes Propagandainstrument.

      Diese Feinheiten werden dem Leser der westlichen Medien jedoch vorenthalten. Und wer sich mit dem Maidan und ähnlichen Farbrevolutionen beschäftigt hat, erkennt an der Liste der Sponsoren der OVD das Who‘s who der Farbrevolution-Unterstützer. Auch damals haben diese dafür gesorgt, dass reichlich Demonstranten aus dem Land zum Beispiel zum Maidan kamen, so wie wir nun auch viele Auswärtige bei den Moskauer Demonstrationen sehen. Nach den Erfahrungen der Orange Revolution, dem Maidan oder auch der Rosenrevolution in Georgien hat Russland allen Grund, schnell durchzugreifen. Wie wir sehen: nicht hart durchzugreifen, sondern einfach nur schnell und konsequent.

      Denn im Gegensatz zu den Demonstrationen der Gelbwesten in Frankreich, wo die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse gegen die Demonstranten einsetzt, geht es in Russland friedlich zu. Die Polizisten führen die Leute ab, und selbst Gummiknüppel kommen praktisch nie zum Einsatz. Tränengas und Wasserwerfer haben die Demonstranten in Russland noch nie erlebt, von Gummigeschossen ganz zu schweigen.

      Wie friedlich es in Moskau zuging, sieht man daran, dass der einzige, der nach der Demonstration eine Nacht im Krankenhaus verbringen musste, ein Polizist war, dem bei der Verhaftung eines Demonstranten die Schulter ausgerenkt worden war.

      Ein weiteres Klischee über Russland ist, dass die Medien über solche Proteste nicht berichten. Das stimmt ebenfalls nicht, weil das russische Fernsehen ausführlich und landesweit berichtet hat. Das ist erstaunlich, denn im Grunde waren es kleine und unwichtige Demonstrationen, die es in den vergangenen Wochen in Moskau gegeben hat. In einer Stadt mit mehr als zwölf Millionen Einwohnern haben sich zwischen 1.000 und 4.000 Demonstranten eingefunden. Zum Vergleich: Berlin hat vier Millionen Einwohner, das wäre entsprechend so, als wenn sich in Berlin circa 300 bis 1.300 Demonstranten versammeln.

      Wäre das ein Bericht in bundesweiten Nachrichtensendungen wert? Oder würden die Medien gar von einem „Massenprotest“ gegen Merkel sprechen? Wohl kaum! Aber die deutschen Medien bauschen die Proteste in Moskau zu Massenprotesten gegen Putin auf. Dabei geht es nicht einmal um Putin, sondern um eine Regionalwahl.

      Ich finde es immer interessant, wie sich die Überschriften nach der Veröffentlichung eines Artikels verändern. Das kann man nämlich anhand der Internetadresse des Artikels feststellen. So auch dieses Mal. Der ursprüngliche Titel lautete: „Russland — Opposition spaziert in Moskau gegen die Regierung“. Das war der Spiegel-Redaktion dann aber offensichtlich zu harmlos, man muss Russland ja als böse darstellen. Also wurde die Überschrift dramatischer formuliert. Dass „der Staat eskaliert“, und zwar gegen das „spazierende Volk“, hatte dann den gewünscht bösen Ton. Dass es anders herum war und die Demonstranten Polizisten beschimpften und beleidigten sowie teilweise bewaffnet zur Demo gingen, das braucht der deutsche Leser ja nicht zu erfahren.

      Warum haben wir in Deutschland davon nichts in den Medien gehört?

      Ganz einfach: Die Demonstration war genehmigt und verlief ohne Zwischenfälle, weil die Demonstranten dort protestierten, wo es genehmigt war. Und zwar auf einem großen Platz vor einem wichtigen Bahnhof, direkt am Ufer der Neva gegenüber dem Stadtzentrum.

      Natürlich berichteten die deutschen Medien nicht, dass in Russland ganz legal und problemlos demonstriert werden darf, wenn man sich an die Genehmigung der Behörden hält — so wie in Deutschland auch.

      Und während die EU am Sonntag nach der Demonstration medienwirksam forderte, alle 600 Festgenommenen sollten sofort freigelassen werden, waren diese fast alle schon wieder zu Hause. Nur einige wenige, denen Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen wird, waren noch auf Polizeiwachen.

      Nun noch zu der Wahl, um die es bei den Demonstrationen ging. In Russland gibt es einmal jährlich einen „großen Wahltag“, an dem alle regionalen Wahlen abgehalten werden.

      Um die Wahl einzuordnen, muss man aber den Unterschied zum deutschen Wahlsystem kennen. Die Parlamente der Oblaste (in Deutschland wären es die Landtage) werden nicht nach Parteilisten gewählt, sondern es werden Direktkandidaten gewählt, die natürlich zum Teil Parteien angehören und von ihnen unterstützt werden, aber es gibt auch unabhängige Kandidaten. Die Gouverneure (in Deutschland wären es die Ministerpräsidenten der Länder) werden hingegen direkt vom Volk gewählt und nicht vom Parlament.

      Vor allem bei den Wahlen zum Gouverneur spielen daher „bundespolitische“ Themen keine so große Rolle wie in Deutschland bei Landtagswahlen. Die Menschen haben in dem Gouverneur jemanden, den sie direkt und persönlich für Erfolge und Misserfolge verantwortlich machen können. Wenn Schulen oder Lehrer fehlen, die Infrastruktur schlecht ist und nicht verbessert wird, wenn es nicht genügend Kindergartenplätze gibt, dann sehen sie die Verantwortung beim Gouverneur – im Guten wie im Schlechten. Und da diese Themen die Menschen direkt betreffen, sind die Wahlentscheidungen bei den Gouverneurswahlen viel stärker abhängig von regionalen Themen als von „bundespolitischen“ Themen.

      Es gibt auch einen Amtsbonus, vergleichbar mit dem „Kanzlerbonus“ in Deutschland. Überall auf

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