Im Wahn gefangen. Hans-Otto Thomashoff
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Und wie stand es um Alice? Hatten sie sie ebenfalls hierher verschleppt oder ihr womöglich Ärgeres angetan, und, wenn sie hier war, würde sie dichthalten? Die Miene des Arztes hatte sich indessen verfinstert.
»Wie ich Ihrem fortgesetzten Schweigen entnehme, scheinen Sie die Tragweite meiner Ausführungen noch nicht ganz erfasst zu haben. Sollten wir nicht umgehend zu einer Einigung kommen, dann garantiere ich Ihnen, werden Sie bereits in Kürze alles, aber auch wirklich alles, was Sie wissen, neu überdenken. Oder anders ausgedrückt: Sie werden mich anflehen, mir das Wort sagen zu dürfen, mir aus der Hand fressen.«
Die Überheblichkeit, die der Psychiater ihm entgegenbrachte, machte Sperling trotz seines völligen Ausgeliefertseins und seiner Angst rasend. Wäre er frei gewesen, er wäre diesem Sadisten auf der Stelle an die Gurgel gesprungen. Sperling erschrak über die Heftigkeit der Gefühle, die der andere in ihm weckte.
»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zeit auf meiner Seite ist. Ich werde damit beginnen, die Dosis Ihrer Medikamente weiter zu steigern. Sie haben das Glück, mein Privatpatient zu sein, sodass ich mich in aller Sorgfalt Ihrer medizinischen Versorgung annehmen kann. Einen ersten Vorgeschmack darauf haben Sie ja bereits bekommen, aber ich werde Ihnen zur weiteren Einstimmung jetzt noch ein wenig aus dem Abschnitt über die Nebenwirkungen der mir zur Verfügung stehenden Mittel vorlesen, beschränke mich dabei auf die psychischen und neurologischen Reaktionen, die Sie geduldig abwarten dürfen.«
Er zückte einen Zettel aus seiner Kitteltasche und zelebrierte jede einzelne Silbe der ungewöhnlichen Worte, die er von sich gab. »Früh- und Spätdyskinesien, Parkinsonoid, Akathisie, epileptiforme Anfälle, malignes neuroleptisches Syndrom, depressive Verstimmung, Lethargie, delirante Syndrome und so weiter.«
Sperling war froh, dass er kaum etwas verstand, wenngleich die Auflistung fraglos eindrucksvoll klang.
»Ich kann auch neue Kombinationen entwerfen, die bisher kaum je versucht wurden, oder ich kann Sie ganz gezielt in eine Medikamentenabhängigkeit hineintreiben, bis Sie mich winselnd anbetteln werden, Ihnen mehr, immer noch mehr zu geben. Allerdings befürchte ich, dass meine Geduld dazu nicht ausreichen wird, ich also den schnelleren Weg bevorzugen werde. Nun, hat es Ihnen immer noch die Sprache verschlagen?«
Sperling saß in der Falle, und dieser Weißkittel flatterte um seinen Käfig herum und machte sich lustig über ihn. Sperling platze der Kragen. Er brüllte los: »Meine Kollegen sind bereits auf der Suche nach mir, und dann werden Sie die Konsequenzen zu spüren bekommen. Machen Sie mich auf der Stelle los.« Sperling war von sich selbst überrascht. Er bebte innerlich. Und doch, vielleicht konnte sein Wutanfall den Arzt einschüchtern, vielleicht war dessen überhebliches Selbstvertrauen nur vorgeschoben.
»Nein.« Vartans Antwort war knapp. Er nickte gelassen, zog spöttisch seine Augenbrauen hoch und sonnte sich in seiner Überlegenheit.
»Nein …, also nein?« Sperling schluckte.
»Das ist alles?«
Es entstand eine für Sperling unbehagliche Pause. Vartan räusperte sich und durchbohrte ihn mit einem zynischen Blick aufgesetzten Mitleids.
»Schauen Sie, Sie sind aktenkundig in der Psychiatrie. Sie sind akut schizophren psychotisch und hochgradig suizidgefährdet, und da spricht wohl kaum etwas dagegen, dass es uns trotz aller unserer Bemühungen nicht gelingen wird, Sie davon abzuhalten, sich tragischerweise das Leben zu nehmen. Selbstverständlich wäre das nicht rühmlich für uns, aber Wunder können auch wir nicht vollbringen. Das ist sicher bedauerlich, aber ich nehme an, Sie verstehen?«
»Sie wollen doch nicht …?«
»Ich will. Da können Sie beruhigt sein. Nur ist meine Geduld begrenzt, so wie Ihre Zeit. Wäre das anders, fände ich es durchaus interessant herauszufinden, wie lange es dauern würde, bis Sie mich anflehen, endlich sterben zu dürfen. Doch wie gesagt, es geht mir um Wichtigeres.«
Aus den Fängen des Arztes gab es für Sperling kein Entkommen. In dem Moment, in dem Vartan das gesuchte Passwort hätte oder herausfände, dass er das Wort gar nicht kannte, ginge es ihm an den Kragen. Zu viel wusste er bereits. Seine einzige Möglichkeit bestand darin, die Absurdität seiner Lage an seinen Gegenspieler zurückzugeben. »Ich kann Ihnen das Wort doch gar nicht sagen, weil Sie mich dann umbringen müssen.«
Ein boshaftes Lächeln huschte über das Gesicht des Arztes, und das Blau seines nicht verdeckten Auges schien dämonisch aufzuleuchten. »Da haben Sie wohl nicht ganz Unrecht.« Diesen Satz ließ sich der Psychiater auf der Zunge zergehen, kostete unverhohlen sein kunstvoll nachgeschobenes Schweigen genüsslich aus. »Wir oder vielleicht besser Sie stehen offenbar vor einem tragischen Dilemma. Ob Ihre Willenskraft so stark sein wird, sich zu beherrschen? Na, wir werden sehen: Ein Vöglein schwatzt wohl manches …«
»… kein Mensch doch kann’s verstehen.« Intuitiv griff Sperling den Ball auf, erkannte im selben Moment die Stimme Vartans wieder als diejenige des Sängers, der so bedauernswert falsch die Opernaufnahme begleitet hatte. Ein Begeisterter und doch Gescheiterter stand hier vor ihm.
Der Arzt wurde von Sperlings Kennerschaft überrumpelt und empfand auf einmal einen gewissen Respekt für sein Opfer. Ein geheimes Band war geknüpft. »Ich glaube, Sie beginnen mir zu gefallen.«
Sperling war unschlüssig, ob er sich über diesen Anflug von Zuneigung freuen sollte. Aber wenn er überhaupt eine Chance in diesem Spiel bekommen sollte, dann lag sie jetzt vor ihm, und er musste sie ergreifen. »Sie haben mich in der Hand. Das steht außer Frage. Sie können mich quälen, gegen Sie bin ich machtlos. Nur bleibt Ihnen das Risiko, dass ich trotzdem schweigen werde. Und sollte mir durch Ihre Torturen etwas zustoßen, laufen Sie Gefahr, zu spät an das Codewort zu kommen, denn auch Ihre Zeit ist begrenzt, wie Sie sehr wohl wissen. Wie ich Ihnen schon sagte, muss ich doch davon ausgehen, dass Sie mir etwas antun werden, sobald ich Ihre Forderung erfülle. Sie sehen, ich brauche von Ihnen eine Sicherheit, dass mir nichts geschehen wird. Warum sollte ich Ihnen dann das Wort nicht einfach geben und sogar ein wenig an dem partizipieren, was für Sie oder für wen auch immer dabei herausspringen mag? Was habe ich schließlich mit dieser Geschichte zu tun?«
Der Oberarzt blickte ihn misstrauisch prüfend an, doch Sperlings Argumente trafen offensichtlich seine Denkweise. Sperling spürte, dass er seinen Köder geschluckt hatte.
»Besorgen Sie mir eine Garantie, und machen Sie mir ein Angebot, das verlockend genug ist, dass ich ihm nicht widerstehen werde.«
Sperling empfahl sich dem Psychiater als Gleichgesinnten an, und der war empfänglich dafür, biss endgültig an.
»Da muss ich mit gewissen Leuten Rücksprache halten.«
Erleichtert nahm Sperling zur Kenntnis, dass seine Strategie, Zeit zu gewinnen, vorerst aufgegangen war. Er hatte sich den Respekt des Arztes verschafft, der allenfalls zu bedauern schien, dass ihm sein Spielzeug sadistischer Lust abhandenkam.
Vartan stand auf und stellte seinen Stuhl zurück an den vorgegebenen Platz neben dem Waschtisch. »Vorerst bleiben Sie in der Fixierung, damit Sie nicht in Versuchung geraten, sich aus unserer Abmachung herauszustehlen. Dafür erlasse ich Ihnen bis auf Weiteres die Medikamente, werde aber, damit alles seine Ordnung hat, in Ihrer Krankenakte vermerken, dass ich Ihnen eine Spritze mit einem Depot gegeben habe, deren Wirkung einige Tage lang anhält. Verhalten Sie sich möglichst unauffällig, dann belassen wir es im Augenblick dabei, und ich werde wieder auf Sie zukommen, sobald ich mehr weiß. So viel Zeit bleibt uns ja, und wer weiß …« Mit dieser vieldeutigen