Syltwind. Sibylle Narberhaus
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Читать онлайн книгу Syltwind - Sibylle Narberhaus страница 5
»Mir bleibt nicht viel Zeit zum Frühstücken, ich muss zum Training«, gab der junge Mann zurück und setzte den dampfenden Becher vorsichtig an die Lippen, während er mit der anderen Hand in den Brotkorb griff.
»Hier wird ordentlich gegessen. Schließlich brauchst du Kraft und Energie, wenn du den feinen Pinkeln vom Festland Paroli bieten willst!«
»Lass gut sein, Opa! Ich verhungere schon nicht. Außerdem nehme ich an einem Wettbewerb teil und ziehe nicht in den Krieg«, erwiderte Steen und legte eine Scheibe Käse zwischen die beiden Hälften des Brötchens, bevor er es zuklappte und hineinbiss.
»Wie du meinst. Ich will nur dein Bestes.«
Eine Weile saßen sich die beiden Männer über ihre Teller gebeugt gegenüber, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.
»Was ist denn mit dir passiert?« Steen hatte den Kopf gehoben und seinen Großvater zum ersten Mal an diesem Morgen richtig ins Antlitz gesehen. Nun ruhte sein Blick auf dessen Gesicht, in dem eine erhebliche Schramme zu erkennen war. Schorf hatte sich an der Stelle gebildet, umgeben von einer blauvioletten Verfärbung.
Doch Onno Larsen winkte ab. »Keine große Sache, ich habe mich unglücklich gestoßen.«
»Wobei?«, hakte Steen nach.
»Wie gesagt, kein Drama«, wich sein Großvater der Frage aus.
»Verdammt!« Steen schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, sodass das Geschirr klapperte und sein Großvater erschrak. »Hör endlich auf damit! Du machst alles nur schlimmer. Oma wird nicht wieder lebendig, sieh das doch endlich ein!« Mit diesen Worten sprang er abrupt auf, schnappte sich den letzten Bissen Brötchen und verließ hastig die Küche.
»Steen! Junge! Warte!«, versuchte Onno Larsen, seinen Enkel aufzuhalten, aber der junge Mann hatte das Haus bereits verlassen, was durch die lautstark ins Schloss krachende Haustür bestätigt wurde. Onno Larsen stieß einen lang gezogenen Seufzer aus und begann, den Frühstückstisch abzuräumen. Wenn sich nicht bald etwas änderte, würde er auch noch seinen Enkel verlieren, das war ihm bewusst. Das zu verhindern, lag allein in seiner Hand.
Auf der Westerländer Promenade knatterten bunte Fahnen im Wind und zerrten an ihrer Befestigung, als wollten sie sich mit aller Macht von ihren Fesseln befreien. Musik dröhnte vielerorts aus den aufgestellten Lautsprechern. Überall entlang der Eventmeile waren Zelte und Buden aufgestellt, in denen neben Speisen und Getränken auch Bekleidung und Surfzubehör angeboten wurden – eine abwechslungsreiche Mischung mit Festivalcharakter und Urlaubsfeeling. Neugierig drängten sich Besucherströme durch die enge Gasse. Der diesjährige Kitesurf-Cup stand unmittelbar vor der Eröffnung. Hier und dort wurde noch bis zur letzten Minute Hand angelegt, damit alles passte. Außerdem wurde für ausreichend Lebensmittel und Getränke für den starken Besucheransturm der nächsten Zeit gesorgt. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite, vom strahlend blauen Himmel schien die Sonne, und der Wind wehte kräftig aus Westen. Wenn man den Meteorologen Glauben schenken durfte, sollte diese Wetterlage auch in den nächsten Tagen Bestand haben. Somit konnten sich sowohl Teilnehmer als auch Zuschauer auf optimale Voraussetzungen für einen spannenden und erstklassigen Wettkampf freuen.
»Moin, Steen!«
»Moin, Leonie! Hey, Emma! Was ist passiert? Warum ist die Polizei hier?«
»Hast du es nicht gehört? In den Container von Kilian wurde eingebrochen. Jemand hat das Schloss geknackt«, erklärte die junge Frau aufgeregt.
»Wurde etwas geklaut?«, wollte Steen wissen und reckte seinen Kopf in die Richtung der Menschenansammlung. Neben der Polizei hatten sich Schaulustige um den Tatort herum versammelt.
»Das weiß ich nicht. Ich habe Kilian bislang nicht gesprochen. Da hinten ist er!«
Steen war gerade im Begriff, sein Fahrrad abzuschließen, als ein junger Mann wütend auf ihn zustürmte.
»Hey, Larsen! Was hast du dir dabei gedacht?«, schleuderte er ihm aufgebracht entgegen.
»Beruhig dich! Wovon genau sprichst du?«, gab Steen unbeeindruckt zurück.
»Tu nicht so scheinheilig! Wenn du glaubst, mich mit der Nummer ausbremsen zu können, um dir einen Vorteil zu verschaffen, hast du dich gewaltig geschnitten. Da musst du schon andere Geschütze auffahren, Larsen!« Am liebsten hätte er seinen Kontrahenten am Kragen gepackt, doch in Anbetracht der Polizeipräsenz in der Nähe gab er seinem Impuls nicht nach.
»Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Und jetzt lass mich in Ruhe.« Mit diesen Worten drehte Steen ihm den Rücken und verschwand im Inneren des Surfclubs.
Kilian wollte zu einer Antwort ansetzen, entschied sich jedoch im letzten Moment dagegen und begab sich zurück zum Strand.
»Glaubt Kilian ernsthaft, du hättest mit dem Einbruch zu tun?«, fragte Leonie, die Steen wie ein Schatten gefolgt war. »Warum solltest du so etwas machen? Ihr seid zwar Konkurrenten beim Kiten, aber keine Feinde.«
Steen zuckte lediglich die Schultern. »Frag ihn!«
»Außerdem bekommt er sowieso eine neue Ausrüstung von seinem Sponsor zur Verfügung gestellt für den Fall, dass tatsächlich etwas gestohlen sein sollte. Wozu dann eben dieses Theater?«, überlegte sie weiter, wobei sich auf ihrer Stirn mehrere Falten bildeten. »Emma und ich finden es ohnehin eine Frechheit, dass die Firma ›Kitetex‹ ihn unterstützt und nicht dich. Schließlich stammst du von der Insel, und Sylter Unternehmen sollten in erster Linie ihre eigenen Talente fördern und nicht irgendwelche fremden Sportler. Findest du nicht auch? Das ist total ungerecht! Ich an deiner Stelle würde mir das von diesem aufgeblasenen Schröder nicht bieten lassen. Emma sieht das genauso und einige andere auch«, ereiferte sie sich. Ihre Freundin nickte zustimmend.
»Ach ja? Und was sollte ich eurer Meinung nach bitteschön tun?«
Leonie wartete kurz, bevor sie antwortete. »Na ja. So genau weiß ich das auch nicht, aber wenigstens würde ich …«
»Lass gut sein, Leonie! Das ist nett gemeint, dass du mir helfen willst, aber du brauchst dir wirklich nicht meinen Kopf zerbrechen. Ich komme gut allein klar«, gab Steen der jungen Frau deutlich zu verstehen, dass er nicht gewillt war, das Thema weiter zu vertiefen. Stattdessen schnappte er sich seinen Neoprenanzug und ging sich umziehen.
Die Tür öffnete sich derart schwungvoll, dass sich Uwe vor Schreck gehörig an seinem Salamibaguette verschluckte und augenblicklich einen Hustenanfall bekam.
»Guten Morgen, Herr Wilmsen! Habe ich Sie etwa erschreckt? Dann tut es mir leid. Das war ganz und gar nicht meine Absicht«, entschuldigte sich Staatsanwalt Matthias Achtermann.
Ein kurzes Anklopfen wäre nett gewesen, dachte Uwe, behielt den Gedanken jedoch für sich. »Geht schon wieder«, presste er stattdessen hervor. Mit dem Handrücken wischte er sich die letzten Tränen aus den Augen und erhob sich anschließend, um seinem Besucher zur Begrüßung die Hand zu reichen.
»Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Ihnen meinetwegen etwas zustoßen würde. Sie sind einer meiner wichtigsten Mitarbeiter«, säuselte er.
Uwe rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten, Herr Achtermann?« Seine Stimme klang noch eine Spur rau.
Der Blick des Staatsanwaltes