Das Salz der Friesen. Andreas Scheepker
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Salz der Friesen - Andreas Scheepker страница 9
Kapitel 6
»Ich glaube kaum, dass Euch das etwas angeht. Schlaft erst einmal Euren Rausch aus!«, herrschte Rinelde Sanders Rimberti und Fockena an, die am frühen Morgen nach der durchzechten Nacht reichlich angeschlagen im Kontor standen.
»Tjark Andreesen, begleite die beiden Herren zum Ausgang«, sagte sie beiläufig und verharrte dann einen Moment, weil der Angesprochene nicht auf ihre Anweisung reagierte.
Am Fenster saß ein Junge, der etwa vierzehn Jahre alt sein mochte. Er war von kräftiger Gestalt und hatte blitzende hellblaue Augen. Seine blonden Locken ringelten sich lustig auf dem Kopf und um die Ohren. Tjark hatte Frau Rinelde nicht gehört. Er sah aus dem Fenster. Ein Junge in seinem Alter trieb draußen ein paar Kühe am Haus vorbei.
»Tjark!«, fuhr Rinelde Sanders den Jungen an, der sofort zusammenschrak. »Bist du in Gedanken wieder auf deinem Hof? Am besten wärst du geblieben, wo du herkommst. Nur weil mein Mann deinem Vater einen Gefallen schuldig war, sitzt du hier im Kontor und hast die Möglichkeit, eine Ausbildung zu erhalten, von der deine Brüder nur träumen können. Und du schaust den Kühen hinterher? Eine Schande bist du, Tjark Andreesen. Da, wo andere ihren Verstand im Kopf haben, hast du nichts als eine Fuhre Schweinemist. Ich weiß nicht, warum ich dich nicht sogleich aus dem Haus jage.«
Der Junge lief rot an vor Scham und erhob sich zögernd. Rimberti sah seine ungeschickten Bewegungen, er erkannte aber auch die klugen Augen, die alles sehr genau wahrnahmen, und eine Beherrschtheit, die der Junge schon lange verinnerlicht hatte. Sie half ihm wegzustecken, dass er von der Herrin vor zwei Männern bloßgestellt wurde.
»Ja, gewiss …« Tjark Andreesen nickte und wollte weitersprechen, aber Rinelde Sanders hatte die Tür lautstark geschlossen.
»Wir wollten dich nicht in eine unangenehme Situation bringen.« Ulfert Fockena klopfte dem Jungen auf die Schulter.
»Es ist …« begann Tjark, und Ulfert Fockena setzte den Satz fort.
»Es ist genau, wie die Herrin sagte. Du bist hier nicht glücklich.«
»Ich schäme mich dafür. Mein großer Bruder würde von einem solchen Leben träumen: Papiere, Zahlen, Buchstaben, Bücher, Listen, Briefe. Seht, mit was für einer Krakelschrift ich mich durch die Zeilen quäle. Ich schreibe so, wie mein Bruder pflügt.«
»Aber nicht er sitzt hier, sondern du«, stellte Lübbert Rimberti fest.
Tjark nickte. »Er ist der Ältere, und er übernimmt den Hof. So haben es die Eltern bestimmt. Obwohl Frerk nur ein Jahr älter ist.«
»Bei Esau und Jakob waren es vermutlich nur wenige Augenblicke«, bemerkte Rimberti.
»Ich werde meine Lehre zu Ende machen und lerne so viel, wie ich kann. Und dann muss es weitergehen, wie Gott, der Herr, es will«, schloss Tjark.
»Aber der Wille des himmlischen Vaters ist nicht immer derselbe wie der Wille des irdischen Vaters«, sagte Rimberti.
»Ich bringe Euch zur Tür. Danke für Eure freundlichen Worte«, sagte Tjark niedergeschlagen.
»Moment noch«, erwiderte Ulfert Fockena mit gedämpfter Stimme. »Euer Kaufmann war lange Zeit verreist.«
Tjark blinzelte gewitzt. »Ihr seid die Männer, die im Auftrag des Grafen Erkundigungen einziehen.«
Fockena fiel es schwer, seine Stimme gedämpft zu halten. »Woher weißt du …?«
»Ich bin vielleicht dumm«, antwortete Tjark. »Aber ich bin nicht doof. Ich bekomme mehr mit, als die Sanders’ ahnen. Der Kaufmann war viele Wochen fort. Und seine Frau wusste nicht, wo er war. Obwohl sie immer vorgab, es zu wissen.«
»Und du weißt, wo er war.«
»Niemand wusste das, und der Kaufmann hat nie auch nur ein Wort darüber verlauten lassen. Niemand von uns durfte davon sprechen. Schnitt einer von uns aus Neugierde oder aus Zufall das Thema an, lenkten der Kaufmann und seine Frau das Gespräch gleich auf ein anderes. Oder sie gaben uns deutlich zu verstehen, dass wir nicht zu fragen, sondern nur auf ihre Fragen zu antworten hätten.«
»Könnte jemand etwas wissen?«
»Hilko Boyen. Er hat oft mit dem Kaufmann zusammengearbeitet. Meistens waren das die großen Geschäfte, die für einen allein nicht zu schaffen waren. Ich bin ja noch nicht lange hier, obwohl es mir schon zu lange vorkommt. Wenn einer etwas weiß, dann ist es Hilko Boyen.«
»Hast du einen Verdacht?«, fragte Fockena lauernd.
»Ich habe wirklich keine Ahnung. Aber als der Kaufmann hier war, war er verändert. Er wirkte auf einmal so anders.« Der Junge suchte nach Worten. »Er wirkte, als ob er in den Wochen um Jahre gealtert wäre. Im Kontor war er manchmal fahrig. Mitunter kam er gar nicht ins Kontor, und manchmal ging er tagsüber für längere Zeit fort.«
»Gab es ein besonderes Ereignis vor der Reise deines Kaufmanns?«, wollte Rimberti wissen.
»Nein.« Tjark Andreesen rieb seine sommersprossige Nase. »Es war eigentlich alles so wie sonst auch.« Er sah zu Boden.
»Was überlegst du? Es muss vielleicht gar nichts Außergewöhnliches sein. Gab es eine Angewohnheit deines Herrn, die dir aufgefallen ist, auch wenn sie dir nicht der Rede wert zu sein scheint? Kamen Leute zu ihm? Hat er etwas verändert? Eine Gewohnheit vielleicht?«
»Der Kaufmann hat sich oft mit Freunden getroffen. Nicht hier im Haus, nur zweimal waren sie hier, und da wurde ich weggeschickt.«
»Weißt du, wo diese Treffen stattfanden?«
»Im alten Speicher am Hafen. Und als der im letzten Herbst abgebrannt ist, trafen sie sich in einem anderen Speicher. Dort war auch ein kleines Kontor eingerichtet. Ich nehme an, dass sie dort zusammensaßen.«
»Das nimmst du an, aber du weißt es nicht?«, unterbrach ihn Rimberti. »Kennst du denn jemanden, der zu diesen Treffen kam?«
»Nein. Ich bin einige Male mit dem Kaufmann gegangen und habe den großen Korb mit Essen und Trinken getragen. Aber der Kaufmann hat mich nicht mit hereingelassen. Vor der Tür hat er mich wieder nach Hause geschickt und hat selbst den Korb mitgenommen.«
»Ein Mann mit einer Gesichtsnarbe unter schwarzem Bart – trieb der sich ab und zu hier herum?«, fragte Rimberti.
Tjark nickte. »Ich habe so einen Mann zweimal gesehen. Aber der gehörte nicht zu den Freunden, mit denen sich mein Kaufmann traf. Einmal wartete der Mann mit der Narbe vor dem Haus, als ich hinausging, um einen Botengang zu erledigen. Ich wollte umkehren, weil ich noch etwas vergessen hatte. Da sah ich, dass dieser Mann hineinging, ohne zu klopfen. Ein anderes Mal war ich noch am späten Abend damit beschäftigt, einen Vertrag abzuschreiben. Beim Aufsetzen des Vertrages hatte ich einen Fehler gemacht und musste nun alles noch einmal schreiben. Da betrat der Mann das Kontor. Und als er mich sah, eilte er gleich durch den Raum in die Wohnung des Kaufmanns. Da kam nach wenigen Augenblicken der Bruder des Kaufmanns zu mir und sagte, ich solle für heute Schluss machen.«
»Du hast ein gutes Gedächtnis«, lobte ihn Fockena.
Plötzlich stand Rinelde Sanders in der Tür. »Habe