Lucy fällt. Gaby Mrosek
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„Du sagtest, es wurde gestoppt, und ich befinde mich tatsächlich noch im Fall. Also erstens sitze ich doch hier und fühle deutlich die Holzbank unter meinem Hintern und zweitens, wie kann denn ein Fall einfach stoppen? Das ist physikalisch total unmöglich. Eigentlich ist alles, was ich gerade erfahre, unmöglich. Es verstößt gegen sämtliche universelle Gesetze…“
„Tja, so hast du es bisher erfahren. Und als Körper ist das auch so. Auf der materiellen Ebene gibt es Raum und Zeit und Dualität. Es gibt die biologischen Gesetze, die chemischen, die physikalischen und noch viele andere. Sagen wir mal so, du befindest dich im Moment zwar noch immer in der Zeit und der Materie, aber du wurdest zum Zwecke des Lernens in eine Art Trainingslager katapultiert. Deinen Entschluss sterben zu wollen, hast du kurz vor dem Sprung hinterfragt. Hättest du noch ein paar Sekunden innegehalten, hättest mal in dich hineingeschaut, wäre da wohl auch für dich ein Liebesruf zu erkennen gewesen. Du wärst wieder hinabgestiegen und niemals gesprungen. Das war nun die einzige Möglichkeit, dich vor einer weiteren Körperrunde zu bewahren. Lerne deine Lektion jetzt, Lucy. Jetzt als Lichtträgerin. Dein Name ist nicht einfach nur so: Lucy.“
„Bleibe ich nun hier auf diesem Berg mit dir?“, fragt sie unsicher.
Josua lacht wieder dieses vertraute Lachen: „Nein, du bleibst nicht hier. Vergiss nicht, du befindest dich kurzfristig in einer kosmischen Ausnahmesituation. Eigentlich fällst du gerade und daran ändert sich nichts bis du unten angekommen bist. Auch wenn das nicht die Wahrheit ist.“
„Was ist denn die Wahrheit?“, fragt sie ungeduldig.
„Die Wahrheit ist, du bist geborgen und in Sicherheit, in der Einheit mit allem was ist. Frag jetzt nicht weiter. Wenn du deine Lektionen gelernt hast, wirst du verstehen. Die meisten verstehen es später…“, schmunzelt er.
„Aber wenn ich eigentlich falle, dann bin ich doch gleich tot“, sagt sie zittrig. Plötzlich weiß sie, dass sie nicht sterben will. Der Sprung war eine ganz dumme Idee.
„Noch einmal. Du bist in einer kosmischen Ausnahmesituation. Ich bin, wie gesagt, dein Bergführer. Zusammen schaffen wir es durch jede Etage. Und je tiefer du kommst, desto mehr wirst du gelernt haben. Vergiss nicht, du bist absolut nicht allein.“
„Josua? Ich habe Angst….“, flüstert sie und ihre
Hand, die noch immer in der seinen ruht, drückt fester zu.
„Du hast alle Macht. Kontrolliere deine Angst. Angst ist in keinem Augenblick gerechtfertigt. Wenn du in deiner Angst steckenbleibst, schaust du dir nicht deine Baustellen an. Vertraue und glaube mir, es ist niemals etwas Wahres und Göttliches bedroht. Das ist unmöglich. Nur in Träumen kann dir etwas Schlimmes und Grausames zustoßen. Wenn du das erst einmal begreifst, dann werden all deine Träume heller und schöner und lieblicher. Du bist da, um dich zu freuen und zu lieben. In Wahrheit BIST du einfach – gegenteillos. Jetzt stelle ich dir eine elementare Frage, Lucy: Bist du bereit dir deine Fehlschöpfungen anzuschauen, aufzugeben und durch Liebe, die immer schon dahinter floss, zu ersetzen? Hilfst du mir, dein Beziehungschaos - das nichts anderes ist, als alles Beziehungschaos der ganzen Welt – aufzulösen? Aufzulösen, um mit allem und jedem in einer einzigen Beziehung froh und in Liebe zu sein?“
Zum ersten Mal seit sie mit ihm zusammen sitzt, schaut er sie ernst an. Sein Blick dringt bis zu ihrem Innersten vor. Sie fühlt die Wichtigkeit hinter seinen Worten.
Sie nickt und fragt leise: „Jedes Problem ist irgendwie ein Beziehungsproblem, oder?“
„Gut erkannt Liebes“, nickt auch er, „solange du einen Körper benutzt – und den Frauenkörper der Lucy benutzt du immerhin schon fast 35 Jahre – solltest du erkennen, dass es letztlich nur um Beziehungen geht. Beziehungen in jeder Form. Wenn du das geheilt hast, dann fühlst du die Einheit wieder. Genau das macht dich für dich und alle anderen unschätzbar wertvoll. Nicht, dass du an deinem wahren Wert je etwas verändern könntest, aber du machst dich auf diese Art sichtbar für alle. Lucy – sei das Licht der Welt! Heile deine Beziehungen!“
Es ist ganz leise in der Hütte. Beide schauen sich an und schweigen in einer unendlich sanften und heilsamen Art. Eingehüllt, ja fast schon einbalsamiert, in Geborgenheit, ist ihre Angst vor dem Wahnsinn, der sich womöglich hinter all dem verbirgt, völlig aufgelöst. Sie ist jetzt hier mit Josua.
„Ich danke dir für das Wunder“, sagt sie gerührt.
In diesem Augenblick verschwindet die Hütte und stattdessen befindet sie sich erneut in freiem Fall beim Sturz vom Hochhaus…
20. Etage – Alles auf Anfang
Es geht alles sehr schnell. Lucy kann nichts wirklich gedanklich greifen. Sie stürzt kopfüber und rasant, dass ihr Magen nach oben zu schießen scheint. Doch wieder sind es lediglich die paar Meter, bevor das Fallen ein abruptes Ende hat. Wieder zerfließt die Kulisse und wieder umhüllt sie eine warme und tröstende Helligkeit.
Sanft dämmert eine neue Szene vor ihren Augen hinauf, während sie wie in Zeitlupe auf einem beige gefliesten Boden zum Landen kommt. Und obwohl es dieses Mal kein weiches Gras ist, sondern harte Keramik, fühlt sie keinen Schmerz beim Aufkommen. Sie fällt tatsächlich so zart wie eine Feder. Zunächst bleibt sie einige Sekunden liegen. Sie stellt fest, dass sie wieder ihre Winterjacke trägt, obwohl sie diese oben in der Hütte auf die Bank gelegt hatte.
Langsam bewegt sie ihre Glieder und setzt sich neugierig aufrecht.
Anders als vorhin in der Bergwelt überkommt sie jetzt keine Panik. Vor allem, weil ihr Blick direkt auf Josua fällt. Er steht am Tisch einer großen gemütlichen Küche. Mit den Händen steckt er tief in einem festen Teig. Lucy weiß sofort, dass der Ort hier nicht die Berghütte sein kann. Gleichzeitig erkennt sie aber diesen rustikalen Tisch. Ja, er ist es. Der Tisch aus der Hütte.
Sie steht auf und geht langsam auf Josua zu.
„Was machst du da?“, fragt sie und schaut sich gleichzeitig im Zimmer um. Es gibt nicht ein Fenster hier. Das findet sie merkwürdig. Auf einem Regal in der Küchenzeile steht doch tatsächlich wieder die weiße Teekanne. Auch Josua trägt dieselbe Kleidung wie vorhin, und wieder sind seine Füße nackt.
„Zieh die Jacke aus und komm zum Backen, Liebes“, sagt er ganz selbstverständlich. Seine Stimme klingt wie die eines liebenden Vaters. Wie auch gerade in den Bergen, spürt sie die Wärme im Raum. Dieses Mal geht sie wohl von dem sehr großen Backofen aus, der etwas Heimeliges verströmt. Heimelige Kuschelwärme, heimeliger zarter Vanilleduft. Lucy streift ihre Jacke ab und dieses Mal auch den zu dicken Pullover. Ihr verschossenes Batik-T-Shirt, das ein Dunkelrot erahnen lässt, eignet sich in seiner schäbigen Optik eigentlich nicht einmal mehr zum unterziehen. Aber vor Josua schämt sie sich nicht. Langsam tritt sie an den Tisch.
„Ich nehme an, ich befinde mich jetzt in Etage 20?“, fragt sie und er nickt lächelnd.
„Hilf mir beim Backen, Lucy“, sagt er und deutet mit dem Kinn auf den großen Teigklumpen, den er noch immer bearbeitet.
„Sieht aus wie Brotteig“, meint sie und tippt mit dem Zeigefinger dagegen.
„Ja, der Teig ist sehr fest. Aber darum geht es jetzt nicht. Nimm ihn in beide Hände“, fordert er sie auf und legt den großen Ballen in ihre geöffneten Handflächen. Er fühlt sich schwer und warm an. Fragend blickt sie Josua an. Er lächelt und sagt schließlich: „Es geht um mehr, als nur ums Kuchenbacken. Das kannst du dir sicher denken….“
Lucy