Lucy fällt. Gaby Mrosek

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Lucy fällt - Gaby Mrosek

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backen. Das kann nur eine Metapher sein. Denn schließlich geht es um ihr Leben.

      „Es geht um dein Leben, Liebes. Das ist ganz sicher“, erwidert er, obwohl ihre Worte nichts als Gedanken waren. Gedanken, die er hören kann.

      „Aber zuallererst sage ich dir etwas wirklich sehr Wichtiges: dein wahres Leben kannst du nicht verlieren. Niemals. Das wäre unmöglich. Alles was es in Wahrheit gibt, währt ewig. Leben ist vom Schöpfer. Der Schöpfer ist allmächtig und erschafft alles so wie sich selbst. Das heißt nichts anderes, als dass du so bist wie er. Allmächtig und ewig. Das, was sterben kann, ist eine Fehlschöpfung oder auch einfach nur eine Illusion in einem Traum. Wenn du also wirklich deinen Lucy-Körper nicht mehr benutzen kannst, dann bekommst du einen neuen. Weil der Schöpfer das so will? Nein, weil du das so willst, mit all deiner Macht. Er, der Schöpfer, muss warten bis du aufhören willst zu träumen. Und macht ihn das wütend? Oder traurig? Nein, denn er ist nur Liebe und wartet einfach ganz geduldig auf deinen wahren Willen. Darauf, dass du dich erinnerst, wer du in Wahrheit bist. Und dann erwachst du ganz einfach aus deinen Fieberträumen. So, bevor du jetzt weiter fragst, will ich dir etwas über dich und deine Mitspieler erzählen. Über deinen geliebten Raffael, deine Eltern und Kollegen usw. Du musst nämlich etwas Grundlegendes begreifen, bevor du beginnst all deine Beziehungen anders zu betrachten und zu heilen. Dafür dieser Teig. Sieh ihn dir genau an.“

      Josua schaut sie prüfend an. Lucy bemerkt, dass das eine ganz praktische Aussage war und keine rhetorische. Sie betrachtet also den hellgelben Klumpen in ihren Händen. Er ist groß und warm und glatt und gibt schon bei geringem Druck nach.

      „Und?“, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen.

      „Mir fällt nichts weiter auf, als dass es ein großer Klumpen ist“, antwortet sie und ist damit selbst nicht zufrieden. Hier muss es doch um mehr gehen.

      „Genau“, strahlt er sie an, „ein großer Klumpen.“

      Lucy ist verunsichert. Das kann wohl kaum alles sein.

      „Genau genommen ist das alles. Die Schöpfung ist so einfach. Anhand dieses Teiges möchte ich dir etwas klar machen. Sagen wir mal so, ich erzähle dir jetzt die Schöpfungsgeschichte ganz anders, als du sie kennst.“ Er macht eine kurze Pause um zu überprüfen, ob Lucy bereit ist, ihm voll und ganz zuzuhören. Das ist sie. Also beginnt er zu erzählen:

      „Stell dir einmal vor, du hast einen schönen leckeren Teig, so wie den in deinen Händen, der eigentlich einen ganzen Kuchen ergeben soll. Einen einzigen und vollständigen Kuchen.

      Plötzlich hast du aber die Idee, lieber viele kleine Kuchen backen zu wollen. Du füllst den Teig - der ja ein Ganzes ist – separat in Muffinförmchen und backst ihn. Das könnten wir tun.

      Wenn du die Küchlein aus dem Ofen holst und betrachtest, sehen sie alle noch ziemlich gleich aus, und dennoch hast du sie durch den Backvorgang schon separiert.

      Das genügt dir aber noch nicht – nein. Also beginnst du, alles schön zu verzieren. Du benutzt ganz unterschiedliches Dekor. Ein paar deiner Muffins bekommen eine nette Sahnehaube, ein paar andere eine Zitronen- oder Schokoglasur, die nächsten einen Überzug aus Buttercreme. Zusätzlich verwendest du noch Lebensmittelfarben in allen Tönen, Zuckerstreusel, Liebesperlen, Fondantblümchen und vieles mehr. Du setzt deiner Fantasie keine Grenzen. Zum Schluss betrachtest du dein Werk und stellst fest, dass jedes Teilchen anders aussieht. Die Täuschung der Individualität ist perfekt. Und obwohl sich jedes vom anderen unterscheidet, ist dir klar, dass der Kuchenteig unter all der Verzierung ein und derselbe ist. Du weißt das, aber du denkst nicht mehr daran. Wieso solltest du auch? Viel zu schön und auffällig ist der Überbau darüber. Klar, der eine Muffin ist dir scheinbar besser gelungen als ein anderer. Vielleicht ist sogar einer dabei, dessen Häubchen zerdrückt ist, die Zuckerperlen verrutscht und die Farbzusammenstellung gar nicht appetitlich ausschaut. Aber nach Entfernen des Gusses stellst du fest, der Geschmack ist identisch mit allen anderen - sogar mit dem schönsten deiner Törtchen.

      Sicherlich ist dir sonnenklar, worauf ich hinaus möchte. Es ist jetzt auch an der Zeit, dieses Kuchengleichnis zu verlassen. Schauen wir uns lieber unseren vollständigen und heiligen Geist an: Dieser eine Geist, eine liebevolle Ausdehnung unseres Schöpfers, ihm total gleich, kam auf die wahnsinnige Idee, aus dem kompletten Ganzen, viele kleine Teile zu separieren. Frage nicht warum. Warum-Fragen bringen uns hier nicht weiter. Das Gegenteil ist der Fall – sie führen dich tiefer in den Traum von Trennung. Akzeptiere einfach, dass du einen idiotischen Wunsch nach Einzigartigkeit gehegt hast. Eine Einzigartigkeit, die dich nicht nur besonders machen sollte, sondern als Konsequenz auch die totale Trennung von Gott und ein Aufsplittern deines Selbst in unzählige Teile nach sich zog. Aber – und jetzt kommt das Wichtige, das es zu wissen gilt – da du bist wie dein Schöpfer, sein Ebenbild, konntest du dich nicht wirklich zerteilen und abgrenzen. Eine wahrhaftige Einheit bleibt eine wahrhaftige Einheit. Da gibt es nichts dran zu rütteln. All das ist nur in einer Wahnidee möglich. In einem Traum. Du allmächtiges Kind, eines allmächtigen Vaters, wolltest eine Trennungserfahrung und nichts und niemand konnte dich aufhalten. Wie gut, dass wir aus der Liebe kommen, die kein Gegenteil hat. Und so hat die Liebe unseres Lebens - das ist tatsächlich keine Wortspielerei, sondern wortwörtlich zu nehmen – uns eine grandiose Kommunikationsverbindung gegeben. Diese Kommunikationsverbindung ist der Heilige Geist, und er reicht in unseren Traum der Dualität und Trennung. Er ist sozusagen der Wecker Gottes. Denn ansonsten würden wir Runde um Runde einfach weiterpennen und träumen, dass wir reich sind und arm, verletzt wurden und alles verloren haben und plötzlich der Kaiser von China sind. So und so fortlaufend, ohne die Möglichkeit unseren verrückten Film zu stoppen. Doch wie schon gesagt, unser Schöpfer ist heil und ganz und einfach nur Liebe. Er kennt davon kein Gegenteil. So hat er das Heilmittel für unsere Fieberträume sogleich in unseren schlafenden Geist gelegt – das ist der Heilige Geist. Jeder einzelne kann ihn hören und hat ihn auch schon gehört, ohne das zu bemerken oder gar zu wissen. Diejenigen, denen das Traumspiel langsam dämmert, beginnen, ihn hören zu wollen.

      Oder, um noch einmal auf unser Kuchengleichnis zurückzukommen, sie beginnen unter ihre Glasur, die hier unser Ego darstellt, zu schauen. Noch können sie all das Zuckerzeug nicht komplett entfernen, aber sie betrachten es schon mal. Und nach und nach nehmen sie eine Perle nach der anderen herunter, ebenso die Blümchen und die Sahne. Das machen sie solange bis sie erkennen, dass sie genau dasselbe sind, wie das Törtchen neben sich. Dann können sie noch eine Zeitlang so nebeneinander stehen, ganz bewusst, wer sie sind. Zwei, die eigentlich ein Ganzes darstellen sollten…

      Und das ist letztlich deine Aufgabe: entferne deinen Überbau. Vergib dir selbst, was du nicht bist!“

      Lucy trägt noch immer den Teig in ihren Händen. Mittlerweile umgreift sie ihn, wie einen prallen Ball. Ganz still steht sie da und schaut mit ihren grünen Augen auf die Masse. Josua lächelt schlicht, dreht sich um und kocht noch einmal einen Tee.

      Ganz vorsichtig legt sie den Klumpen auf den Tisch, wischt ihre etwas fettigen Hände an der Hose ab und setzt sich auf einen der vier Stühle.

      „Ich bin dieser Teig, ja?“, fragt sie beinahe schüchtern, weil sie es nicht glauben kann.

      „Du bist, metaphorisch gesehen, dieser Teig. Korrekt. Stark vereinfacht und doch so anschaulich. Abgesehen davon ist nichts, was vom Schöpfer kommt, wirklich schwierig. Du bist ein Teil von ihm, und er gibt sich dir ständig zu erkennen. Eins musst du wissen: Er liebt dich unendlich. Du bist sein ganzes Glück. Seine Freude. Niemals ist er fern von dir. Niemals würde er dich irgendwo alleine aussetzen – dich verlassen. Das alles geschieht nur in deinen verrückten Träumen.“

      Josua bringt den Tee an den Tisch, ebenso die Tassen und ein Blech mit noch heißen Keksen, die er soeben aus dem Ofen gezogen hat.

      „Keine Muffins?“,

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