Lucy fällt. Gaby Mrosek
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Читать онлайн книгу Lucy fällt - Gaby Mrosek страница 8
„Das, Liebes, ist Vergebung, wie ich sie dich lehren kann. In der Dualität ist Vergebung eine Farce. Schau dir an wie verrückt dieses Spiel ist, das ihr Menschen da spielt. Es wird gemordet und betrogen und belogen. Und dann verlangt ihr voneinander Vergebung für all das Schlimme, das ihr euch angetan habt. Jemand der die aller schrecklichsten Dinge, die ihm zu widerfahren scheinen, vergibt, gilt bei euch als großzügig, edel und charakterstark. Wenn jemand ein verzeihendes Opfer, womöglich ein sich aufopfernder Märtyrer ist, dann hat er eure ganze Bewunderung. Ich sage dir, Lucy, es ist nicht so. Das ist irre und wahnsinnig und hat nichts mit Vergebung zu tun. Denn sieh es mal richtig herum: kannst du einem Mörder wahrhaftig vergeben, wenn er dein Kind getötet hat? Und ich rede hier von wirklich getötet. Es wird nie wiederkommen. Er hat es dir weggenommen und ihm auch noch wehgetan. Lucy, wenn das die Wahrheit wäre, dann wäre Vergebung unmöglich. Dann wäre jeder Schmerz wahr und unwiderruflich geschehen. Dann würde es wohl keinen einzigen Menschen geben, der nicht letztendlich für seine Übertretung der zehn Gebote in der Hölle landen würde. Und es würde bedeuten, dass Gott ein rachsüchtiger Schöpfer wäre, der selbst auch töten könnte. Lucy, er könnte töten, was er in Liebe erschaffen hat. Das ist so verrückt und so paradox. Leben ist von ihm und er erschafft nur wie sich selbst. Also kannst auch du nur leben und lieben. Alles andere ist lediglich in einer Fehlschöpfung möglich, die nichts ist. Sie ist nichts als ein Traum, den du meistens als sehr real erlebst. Doch dieses reale Leben, das lebt um zu sterben, ist reine Science Fiktion. So, und jetzt erzähle ich dir, was wahre Vergebung ist. Vergebung, die der Schlüssel zum Erwachen ist. Deine Fahrkarte in die Freiheit. Du vergibst lediglich, was ein anderer und du nicht getan habt. Du vergibst deinen Traumgestalten, deinen Filmsequenzen, deinen Projektionen. Nur dein Erwachenwollen aus einem tiefen Schlaf, lässt dich langsam aber sicher erkennen, dass deine Augen täuschen und deine Ohren falsch hören. Letztendlich ist dir irgendwann klar, dass du eine Rolle in deinem eigenen inszenierten Stück spielst und jeder deiner Co-Mitspieler nur gemeinsam mit dir agiert. Wenn du wirklich und wahrhaftig erkennst, dass alle scheinbaren Taten, die guten und die bösen, die von dir begangenen oder von anderen, nicht echt sind, weil sie nichts Echtes bewirken können, dann lässt du sie vergehen. Du vergibst dir selbst für dein falsches Sehen und lässt alles in Liebe heilen.“
Er lehnt sich entspannt auf dem Stuhl zurück und isst einen der Vanillekipferl.
„Hm“, macht Lucy und versucht, die ganzen Informationen zu verarbeiten, „aber wie erkenne ich denn, dass ich etwas verursache und nicht der andere?“
„Du wirst alles besser verstehen lernen und zwar noch bevor du unten auf der Straße angekommen bist, Liebes. Aber um es ein für alle Mal deutlich zu machen: du bist für alles verantwortlich was du siehst und erfährst. Du willst nicht mit dieser Schuld leben, projizierst sie heraus und siehst sie dann in anderen, die scheinbar die unmöglichsten Dinge tun. Dann versuchst du das Außen zu verändern, was aber nicht den erwünschten Effekt hat. Wenn du deine Lektionen nicht lernst und nicht vergibst, wirst du wieder in ähnliche Situationen kommen. Stell dir vor, dein Gesicht ist schmutzig und anstatt es zu waschen, guckst du es dir im Spiegel an und putzt ihn energisch, in der Hoffnung, der Dreck würde so verschwinden.“
Lucy muss lachen und Josua erwidert: „Ja, das ist zum Lachen, weil es so ein klares Beispiel ist. Doch in deinem Leben siehst du das ganz anders und das, obwohl es in Wahrheit nichts anderes ist. Stattdessen wunderst du dich, warum dir wieder und wieder so ein Mist passiert, du ständig auf dieselbe Art von Mensch hereinfällst. Jetzt weißt du es und kannst das verändern. Doch kommen wir auf die Beziehungen zurück. Vergib mir als erstes, Lucy. Dann können wir den nächsten Schritt wagen.“
Sie zieht eine Braue nach oben und stutzt. Als er nichts weiter tut als zu lächeln, fragt sie ihn: „Warum um alles in der Welt, sollte ich dir denn vergeben? Du warst doch ein guter und heiliger Mann als Jesus. Das verstehe ich nicht.“
„Gut und heilig passen schon mal gar nicht zusammen“, lächelt er, „gut impliziert immer auch böse. Nur Egos können gut sein - in einem Traum. Heilig trifft es genau. Doch nicht, weil ich etwas Besonderes war, sondern weil ich selbst erkannt hatte, dass ich träumte, in Wahrheit weiterhin reiner Geist war, untrennbar von allen andern und damit ganz. Ganz bedeutet, ich war und bin heil. Heilig kommt von heil. Meine geistige Gesundheit war wiederhergestellt. Ich bin nicht als Erlöser der Welt gekommen – zumindest nicht als Erlöser deiner Welt, Lucy. Ich habe meine Welt erlöst. Die Welt, die ich mir als Kulisse erschaffen habe. Ich habe alles um mich herum, mich eingeschlossen, in Frage gestellt, solange, bis der Frieden eingekehrt ist. Ich war lediglich ein Vorbild, weil ich all das einfach gelehrt und dabei gelernt habe, um aufzuwachen. Lucy – ich bin aufgewacht. Es ist nicht mehr und nicht weniger. Wenn deine falsche Vorstellung von mir nun heilen kann, dann können wir weitergehen und zwar so weit, dass deine Heilung beginnen kann. Willst du das?“ Lucy schaut ihn an. Diesen jungen und wunderschönen Mann. Erst jetzt fällt ihr auf, dass nicht nur seine Augen leuchten, sondern auch seine Haut, seine wuscheligen Haare. Vor allem ist es dieses Leuchten, dieses Innere nach außen kehren, was ihn so schön sein lässt.
„Ja, ich will das wirklich. Du bist nicht für die Welt gestorben, hast dich nicht aufgeopfert. Ich bin mir sicher, dass kein Schöpfer so etwas von seiner Schöpfung verlangt. Oh Mann, das leuchtet mir total ein, und es gibt mir so eine Sicherheit. Und mir wird klar, dass es egal ist, ob ich Gott sage oder Vater oder Allmacht oder Liebe… Liebe ist im Moment das Wort, das mir am meisten weiterhilft…“, sagt sie, und ihr geht es dabei besser denn je.
„Dann sage auch Liebe. Was dir hilft in den Frieden zu kommen und die Wahrheit aufdämmern zu lassen, ist die richtige Wahl“, lächelt er.
„Ich habe das Gefühl, dass ein uralter Denkfehler, der Grausamkeit und Opfer im Zentrum hatte, gerade aufgelöst wird. Ich danke dir Josua – Jesus… für diese Ehrlichkeit und für meine ganz neue Wahrnehmung deiner Person…“, flüstert sie und eine wärmende Woge des Glücks umhüllt sie sanft. Seine Haut wirkt immer strahlender. Irgendwann ist da fast nur noch Licht. Und mit diesem Licht wird ihr eigener Körper immer unwirklicher. Sie kann noch seine sanften Augen erkennen und hört sehr leise seine liebevolle Stimme: „Danke…“ – und den Bruchteil einer Sekunde später fällt Lucy weiter.
19. Etage – Die Kommode
Wieder pfeift der kalte Wind um Lucys Ohren. Wieder zuckt eine tiefe Angst durch ihren ganzen Körper. Wieder bleibt sie einfach mitten in der Luft hängen. Dieses Mal ist es nicht kopfüber, sondern beinahe aufrecht mit den Füßen nach unten. Sie nimmt die Tiefe unter sich wahr und wird sogleich erneut in den Farbwirbel gezogen, der sich in ein helles einladendes Licht verwandelt. Unendlich sanft landet sie mit den Zehenspitzen zuerst, einer Ballerina gleich, auf einem hellbraunen Dielenboden.
Für einen kurzen Augenblick bleibt sie wie angewurzelt stehen. Sie schaut an sich hinunter und stellt fest, dass sie wieder ihre Winterjacke trägt und auch der Pullover schaut ein Stück hervor. Beides hatte sie doch zum Backen ausgezogen. Wie kommt das alles nur zustande? Das muss einfach ein Traum sein! Ein ziemlich verrückter zwar, aber ein Traum.
Aufgeregt schaut sie sich um. Was wird jetzt wohl passieren? Sie scheint sich in einem alten Haus zu befinden. Der Holzboden knarzt unter ihren Schritten, die sie vorsichtig Richtung altehrwürdiger Treppe macht. Links von sich sieht sie eine aufwendig mit Intarsien verzierte Tür; rechts eine großzügige Flügeltür mit geschliffenen Glasfenstern in der Mitte.
Vor der Treppe bleibt sie stehen und lugt in die erste Etage hinauf. Viele alte Gemälde mit Porträts feiner Leute und auch Landschaften hängen an der Wand des Aufganges.
„Josua?“, ruft sie hinauf.
Nichts passiert. Sie ruft ein weiteres Mal: „Jesus?“
„Da