Lucy fällt. Gaby Mrosek

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Lucy fällt - Gaby Mrosek страница 9

Lucy fällt - Gaby Mrosek

Скачать книгу

Lucy hat sie noch niemals zuvor gesehen, aber sie fühlt gleich eine große Zuneigung. Langsam steuert sie auf die Frau zu.

      „Wo ist Josua?“, fragt sie vorsichtig. Es klingt fast schüchtern.

      Die Frau beginnt herzhaft zu lachen. Statt die Frage zu beantworten, erwidert sie einfach: „Komm in den Salon, Lucy.“

      Sie macht eine einladende Handbewegung, und so huscht Lucy schnell durch die Tür. Innen sieht es aus, als sei die Zeit im 19. Jahrhundert stehengeblieben. Sämtliches Mobiliar sowie Tapeten und Bilder wirken alt. Aber nicht alt im Sinne von abgenutzt und aufgebraucht. Denn das trifft ganz und gar nicht zu. Es riecht auch nicht muffig wie in einem typischen Museum, in dem man Räume aus längst vergangener Zeit bestaunen kann. Nein, es ist einfach altmodisch und gleichzeitig unbenutzt, frisch eingerichtet sozusagen.

      „Setz dich, Liebes“, fordert die Dame Lucy auf, „nachdem du Tee und Plätzchen hattest, frage ich dich, ob du dennoch etwas trinken oder essen möchtest. Deine Reise nach innen macht durstig und hungrig, was?“

      Sie zwinkert Lucy heiter entgegen und diese fragt sich, ob das wohl ernst gemeint war mit der Hungrigkeit durch Innenreisen.

      „Nein danke“, antwortet sie höflich und setzt sich etwas steif auf das beigefarbene Chaiselongue. Die Frau lässt sich auf den Polstersessel gegenüber sinken und streicht ihre Dienstmädchenschürze glatt. Dann ist es ganz still. Lediglich die große Pendeluhr tickt in einem beruhigenden Rhythmus.

      „Wann kommt denn Josua?“, fragt Lucy nach einer gefühlten Ewigkeit vorsichtig.

      „Hm“, macht ihr Gegenüber und schaut sie sanft mit unendlich liebevollen braunen Augen an. Lucy fühlt deutlich, dass sie ihr etwas mitteilen wollen. Also senkt sie nicht ihren Blick, sondern erwidert ihn. Tiefe Wärme durchströmt sie. Es fühlt sich an, als sei sie dieser Person mit kaffeebrauner Haut und mittleren Alters sehr vertraut. Sogar noch mehr als das….

      „Wo ist denn Josua?“, flüstert Lucy sehr leise, ohne ihre Augen abzuwenden.

      „Bei dir natürlich“, erwidert die Frau ebenso leise.

      „Hier – in diesem Raum?“, fragt Lucy mit klopfendem Herzen.

      Die Frau nickt einfach nur mit einem ganz entspannten Lächeln.

      „Du…..“, raunt Lucy. Mehr kommt nicht über ihre

      Lippen. Die Frau steht auf und setzt sich ganz dicht neben sie auf das Chaiselongue. Sie greift Lucys Hand und antwortet: „Ja, ich bin Josua. Und bevor du jetzt wieder die ganzen Fragen stellst - du weißt schon, diese Art von Fragen auf dem Berg - erkläre ich es dir jetzt sofort. Ich benutze keinen Körper mehr. Eigentlich. Ich habe diesen vor langer Zeit abgelegt, weil ich selbst kein Egodenksystem mehr für mich gemacht habe. Auch zeige ich mich den Menschen nicht körperlich. Das, was du jetzt siehst, sind Bilder in deinem Geist. Ich bin ein Gedanke in deinem Geist. Ich, dein Bruder, bin untrennbar eins mit dir. Erinnere dich an den Teig. Ich bin ein wahrer und ewiger Gedanke, eine schöpferische Ausdehnung des Vaters. Genauso wie du. Aber eben nur du. Nicht dein erdachtes System, deine Rolle, dein Körper, dein Menschsein, deine Persönlichkeit. Du, in deiner ewigen Reinform – in Liebe und Ewigkeit. Du fühlst das alles noch nicht wirklich. Du hörst das alles zum ersten Mal und identifizierst dich noch ganz und gar mit dem Manuskript der Lucy. Das ist der Grund – und der einzige Grund – weshalb du noch Körper siehst und sie dir aus Lernzwecken dienlich sind. Jetzt sehe ich für dich aus wie eine Dienstmagd und ja, ich bin weiblich und wir schreiben ein anderes Jahrhundert. Alles das sind Ideen in deinem Geist, und wir nutzen das jetzt. Ich wiederhole: du lernst auf deinen Wunsch hin, bis du zu Füßen deines Hochhauses angekommen bist.“

      „Oh, Josua!“, seufzt sie und dann fragt sie erschrocken: „Darf ich dich überhaupt Josua nennen? Ich meine, du bist jetzt eine… Frau?!

      „Nein, Liebes, ich bin keine Frau. Ich verwende nur einen weiblichen Körper, damit du dich nicht auf diesen Fleischklops fixierst. Der junge Mann aus den Sequenzen davor war dir lieber, nicht wahr? Du fandest ihn ziemlich attraktiv…“, sie lacht amüsiert, besonders, weil sie sieht, dass sie voll ins Schwarze getroffen hat. „Ich bin kein Körper. Nimm mich so, wie ich bei unseren Treffen auftrete. Das dient nur zu deinem Besten. Lass dich niemals von einer Hülle täuschen. Ach, und ja, du darfst Josua zu mir sagen. Das ist sogar völlig in Ordnung.“

      Lucy atmet tief durch. Dabei hält sie ihre Augen geschlossen. Ihre Logik, ihr Verstand, schlägt Purzelbäume und versucht irgendwelche Puzzleteile zusammenzusetzen, die gar nicht zusammengesetzt werden können. Sie hat nur zwei Möglichkeiten: entweder alles skeptisch zu hinterfragen und hierbei nicht mitmachen zu wollen, weil es so irre ist, oder auf ihr Gefühl zu hören, das genau in der Bauchmitte ganz warme Wellen wirft. Liebe durchströmt sie da und eine Ahnung, dass sie ihre Monster anschauen muss, wenn sie etwas lernen will, das sie aus ihrer selbstgemachten Hölle befreit. Ihr wird gerade deutlich klar, wie sehr sie Menschen nach der Optik beurteilt. Ja, da ist eine Enttäuschung, weil er sich nicht mehr als äußerst attraktiver junger Mann zeigt, sondern als dickliche Frau, mittleren Alters. Und nein, das will sie nicht mehr.

      „Josua, sag mir, was du mir in diesem Haus zeigen möchtest“, bittet sie.

      „Du bist wahrhaftig bereit, Liebes. Bevor ich dir gleich etwas sehr Wichtiges zeige, geht es noch einmal in einen theoretischen Teil. Dann bist du endgültig vorbereitet. Und zwar so gut, dass wir endlich loslegen können.“ Ein Lächeln zieht sich über das volle schwarze Gesicht, und es ist so einladend, dass Lucy meint, ein Leuchten zu erkennen. Trotzdem hakt sie nach: „Aber ich dachte, wir hätten schon längst losgelegt. Ich war schon in der Berghütte und habe die Teigmetapher gelernt. Ich habe meine Beziehung zu dir überdacht und bemerkt, dass ich ganz neu auf all die Religionen, die stark begrenzen und gar nicht liebevoll sind, schauen sollte. Ich habe dich als Bruder akzeptiert und habe dich…hm…darf ich es sagen? Ich habe dich vom Kreuz genommen – in meinem Geist…“

      „Juchu Lucy!“, freut sich Josua und umarmt sie so herzlich, dass ihr vor lauter Glück ganz warm ums Herz wird.

      „Das ist genau der richtige Ausgangspunkt. So kann ich dir hilfreich zur Seite stehen. So bin ich dir ganz nahe – näher noch als dein Herz. Und dass du diese Dinge tatsächlich jetzt aussprichst, zeigt mir deine Bereitwilligkeit. Dennoch waren alle Sequenzen, die du während deines Fallens erlebt hast, bis jetzt lediglich Vorbereitungen. Dein Geist muss felsenfest überzeugt sein, dass er heilen will in all seinen scheinbaren Außenbeziehungen. Vertrauen ist das aller wichtigste. Du vertraust mir doch?“

      „Und ob ich dir vertraue!“, ruft sie aus.

      „Ich habe erstens schon lange nicht mehr so intensiv etwas gewollt, wie zu heilen und nochmal neu auf alles zu schauen, und zweitens habe ich noch nie jemandem so sehr vertraut wie dir gerade…“

      „Dann geht es jetzt wirklich los, Lucy – Lichtträgerin…“, Josua schaut sie noch einmal prüfend an und sagt feierlich: „Du bist bereit. Dann lehn dich entspannt zurück und höre mir gut zu.“

      „Okay, Bruder Josua“, lacht sie heiter und spitzt ihre Ohren.

      „Glaubst du, dass es irgendein lebendiges Wesen in dieser Welt gibt, das nicht früher oder später mit Leid konfrontiert wird? Egal ob es sich dabei um das eigene Leid oder das eines anderen handelt? Die Formen können dabei stark variieren. Bei dem einen ist es eine schwere Krankheit oder auch nur ein leichter Schnupfen. Bei dem anderen handelt es sich um den Verlust eines geliebten Menschen durch Tod oder ganz einfach, weil dieser nicht mehr mit ihm sein will. Leid hat viele Facetten und unzählige Nuancen. Und sehr oft begegnet es dir so geschickt verkleidet, dass du

Скачать книгу