Lucy fällt. Gaby Mrosek

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Lucy fällt - Gaby Mrosek

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schon. Da gibt es diese kleine alte Frau mit den vielen weißen Löckchen…“

      „…die du beinahe täglich siehst?“, beendet er ihren Satz. „Sie fährt stets mit ihrem Fahrrad an dir vorbei oder du schaust gerade aus dem Fenster, wenn sie genau dort lang strampelt. Egal wo du dich in der Stadt befindest, sie ist in deiner Nähe.“

      „Wow“, ruft Lucy aus, „ja! Das hat mich schon so oft erstaunt! Aber, sag mal, woher weißt du das alles? Das über mich? Du kennst mich total gut, kannst meine Gedanken lesen und weißt auch ansonsten verdammt viel – über Beziehungen und so…

      „Lucy, das kommt daher, weil ich ein Teil von dir bin.“

      „Ein Teil von mir? Wie meinst du das?“, fragt sie unsicher.

      „Na, wir sind das Kuchengleichnis durchgegangen, oder etwa nicht?“, lächelt er sie an.

      „Naja, das schon. Aber ich sehe mich immer noch als getrenntes Wesen und dich ebenso…wer auch immer du bist….Josua… Josua? Wer bist du?“, Lucy bekommt plötzlich Angst, denn sie denkt wieder an ihren Selbstmordversuch, an den freien Fall, der unterbrochen wurde und sie weiß nicht, was hier eigentlich wirklich vor sich geht, außer, dass sie etwas lernen, etwas heilen soll, beziehungstechnisch.

      „Ich bin ein Teil von dir, so wie ich ein Teil von jedem anderen auch bin. Das hat nichts, aber auch rein gar nichts mit Körpern zu tun. In der Dualität, der materiellen Welt, kann ich nicht eins mit dir sein. Auf geistiger Ebene schon, da wird die Tatsache, dass es Trennung gar nicht geben kann, völlig verstanden, weil sie so normal ist. Abtrennung von Leben, das sich nur ausdehnen will, ist unnormal. Also, ich bin kein Körper, ebenso wie auch du keiner bist. Noch nimmst du dich als Frau wahr, identifizierst dich sogar damit. Doch dein Sahnehäubchen ist nichts als Spielerei und wird nicht bleiben. Mich nimmst du lediglich als Mann wahr, weil du eine Lernhilfe benötigst. Ich benutze ansonsten keinen Körper mehr, weil ich sämtlichen Zuckerguss längst aufgegeben habe. Ich habe dir versprochen, dass ich dich nie verlassen werde, Liebes. Und das habe ich nie getan. Erinnere dich…“, er schaut Lucy prüfend an. Sie versucht sich währenddessen zu erinnern. Wer ist Josua? Und wann hat er gesagt, dass er sie nie verlassen würde?

      „Ich bin bei euch alle Tage…“, seine Stimme ist so gütig und liebevoll und Lucys Herz setzt einen Schlag aus. Sie umklammert mit beiden Händen die seinen und flüstert: „Du bist… Jesus….“

      „Ja, so nennt man mich“, erwidert er lächelnd.

      Spontan dreht sie seine warmen Hände in den ihren um und sucht nach Nagelspuren.

      „Du wirst nicht finden, wonach du suchst“, sagt er ernst, „ich habe mich von meiner letzten sinnlosen Reise, die Tod am Kreuz beinhalten sollte, befreit. Ich bin kein Körper, ich war niemals einer. So war es mir möglich, meinen scheinbaren Peinigern und Verrätern vollständig zu vergeben. Ich bin nicht gestorben. Ich bin auferstanden und lebe nach wie vor und zwar vollkommen geheilt und ganz und frei.“

      „Aber das sind doch deine Zeichen…“, druckst sie ein wenig herum und ihre Zweifel werden lauter: „Du hängst in jeder Kirche am Kreuz und wirst mit durchbohrten Händen dargestellt. Du bist doch der Heiland, der Erlöser der Welt…“

      „Und genau das ist der elementare Fehler. Weißt du was, Lucy? Wir beginnen mit deiner Heilung der Beziehung zu mir. Denn du hast mich, wie der Großteil der Menschheit, falsch verstanden. Ich bin nicht für die Sünden der Welt gestorben und es gab niemals einen rachsüchtigen Gott, der das gewollt hätte. Gott ist mein lieber Vater, sowie er auch dein lieber Vater ist. Bei mir war es so, ich habe früh erkannt, dass ich nicht der Körper bin, sondern ich selbst, mit allen anderen, eine große Fehlschöpfung kreierte. Ich erkannte es, hörte die Stimme für Gott und löste vergebend meine Sahnehaube auf. Irgendwann war wirklich nur noch der Teig übrig, in einem Förmchen zwar noch, aber jeder, der Vergebung lernen wollte, konnte mir nachfolgen. Ich habe nur Liebe gelehrt, nichts als Liebe. Solange bis meine Aufgabe erfüllt war. So konnte ich den Tod am Kreuz in Liebe überwinden. Denn Liebe besiegt den Tod. In Wahrheit aber stimmt nicht einmal das, denn es gibt in Wahrheit nur Liebe. Die ist echt und muss sich nicht gegen eine Fatamorgana wehren. Kein Krieg also – kein Besiegen. Was ein Fehler ist, verblasst ganz einfach, bis es ganz verschwindet. Warum war das dann alles überhaupt nötig? Warum nimmst du dich jetzt überhaupt als Frau wahr, Lucy? Dein Ziel war die Trennung und sich loslösen aus der Einheit. Das war nichts als ein wahnsinniger kleiner Wunsch. Aber da dein und mein und ein jeder Geist so mächtig ist, wie der seines Vaters, ist dein Wunsch Befehl. Du machtest eine Welt der Formen und Farben und Besonderheiten – siehe Kuchengleichnis. All das sollte eine Zeitlang leben, um dann zu Staub und Asche zu zerfallen. Da du bist wie dein Vater und der nun mal die Liebe und das Leben selbst ist, kannst auch du nicht sterben und lebst nun viele kleine Leben in vielen zerbrechlichen Körpern und zerstörst und zerstörst und zerstörst. Ganz zerstören konntest du dich nicht und eine echte Trennung von allem war dir auch nicht möglich, weil das Leben nun mal so ist, wie es ist: es lebt. Über Gottes Kind fiel also ein tiefer Schlaf, und nun träumt es von Leid und Tod und manchmal scheinen seine Träume ihm gnädig zu sein und es freut sich, und bekommt schöne Dinge, die ganz plötzlich in ihr Gegenteil umschlagen können. Denn eins ist sicher: so sicher wie das Zentrum dieser Welt Leid und Schuld und Tod ist, so sicher ist dann konsequenter Weise auch, dass alle Lust, alles Glück in sein Gegenteil umschlagen wird. Denn die Welt der Materie begrenzt letztendlich alles und lässt es zu Staub zerfallen. Nichts ist hier konstant, auf nichts kannst du dich verlassen, nur auf den Tod, der jeden früher oder später ereilt. Unser Vater hat dir alle Macht gegeben und kann dein perfides Spiel nicht stoppen. Ansonsten würde er seine eigene Macht stoppen, und das ist unmöglich! Doch er hat ein Heilmittel, eine Aufwachhilfe, direkt neben dein Drama gepackt. Es ist der Geist, der alles verbindet, alles vereint. Es ist der Heilige Geist, unsere grandiose Kommunikationshilfe. Du kannst ihn hören. Oder du kannst auf dein Computerprogramm, genannt Ego, hören. Beide Stimmen sind als Gedanken in dir. Das Ego spricht vorschnell und laut, der Heilige Geist ist sehr sanft und du wirst durch inneren Frieden bemerken, dass du auf seine Worte hörst, nicht auf die deines Egodenksystems. So kannst du tatsächlich heilen und aus dem Traum der Trennung erwachen. Das wird geschehen, wenn du all deine Beziehungen in Liebe geheilt hast und dein innerer Frieden dauerhaft geworden ist.“ Josua beendet seine kleine Ansprache und schaut Lucy tiefgründig an.

      „Weißt du“, sagt sie nach einer kleinen Weile, „was du sagst, klingt irgendwie logisch und vertraut. Es klärt auch diese kleinen Gedankenfehler auf. Z.B. fragte ich mich immer – wie die meisten anderen Menschen wohl auch – wie kann Gott das alles zulassen? Das ist ja schon fast eine Standartfrage. Für Atheisten ist klar, dass es Gott nicht geben kann, weil es so viel Gräuel auf der Welt gibt, und die Gläubigen fragen sich, ob sie geprüft werden oder so… Wenn ich verantwortlich bin, dann habe ich ja all den Mist zusammen mit allen in Gang gesetzt. Ist wohl an der Zeit aufzuräumen.“

      „Ja, Lucy, du bekommst genau jetzt die Chance, dein Leben und all deine Beziehungen anders zu betrachten und in Liebe zu heilen. Hab keine Angst! Die gilt es zu kontrollieren! Ansonsten dringst du nicht zur Wahrheit vor.

      Schau dir einfach die Welt an, in der du lebst. Sie ist scheinbar bunt, aufregend und voller Chancen. Sie steckt aber auch voller Dramen, Ungerechtigkeiten und Chaos. Alles ist hier möglich oder auch nicht. Du lebst mitten in einer Wundertüte. Du weißt ja, wie das mit Wundertüten ist: Du betrachtest sie von außen, bist ganz neugierig und reißt sie voller Erwartungen auf. Dann freust du dich entweder oder bist enttäuscht. Irgendwann verlässt du aber deine Kindheit, in der du dich von Wundertüten, Überraschungseiern und Geschenkverpackungen hast ködern lassen. Du wirst erwachsen und erkennst ganz einfach, dass deine Welt nicht deine Welt ist. Du erkennst die Kulisse, hinter der es hohl und leer ist. Wenn du wirklich erwachsen geworden bist – und ich meine geistig erwachsen, nicht körperlich, denn der Körper täuscht gewaltig – dann suchst du den Ausgang aus der Matrix.“

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